Fertig! Der Weihnachtstee gekauft, die Tannenzweige abgezwackt und in die Vase gestellt, „Adventskalender“ ans Treppengeländer gehängt (Liest du das, Weihnachtsmann – morgen früh sollt ein Zuckerl drin stecken...)...
Ich mag die Weihnachtszeit. Daheim. Auf Weihnachtsmärkten fühle ich mich eher unwohl. Das Gedränge löst schnell Panik aus. Und die Musik gefällt mir auch nicht. Die Düfte schon eher. Aber heutzutage werden die Kräuter- und Glühweindämpfe fast überall von Frittierfettgestank überlagert. Egal. Es ist alles sehr kitschig: rote Zipfelmützen, goldene Engel, Schokoladenäpfel, bunte Lichter. Und Kitsch ist mit dem Bösen im Bunde, meint Hermann Broch, den Walhallada in „Die Dschungel“ zitiert. Ich bin unschlüssig. Das kenne ich: Wie eine süße Zuckrigkeit alles verpappt, so dass es gegen die klebrige Bosheit, Verkommenheit und Verrohung keine Gegenwehr mehr gibt. Aber: Es gilt ja nur, wenn der Kitsch die Verlogenheit tarnt.
Als wir Kinder waren gehörte das „Weihnachtsbuch mit Schnüpperle“ in jedem Jahr zu unseren Vorweihnachtsritualen. Jeden Tag las uns die Mama eine Geschichte vor, in späteren Jahren las ich für meinen Bruder. Wir schnitten Mistelzweige, wenn Schnüpperles Mama ihm die Geschichte von der heiligen Barbara erzählte, wir bastelten Engel aus Gold- und Silberpapier wie Schnüpperles Schwester Annerose mit ihrer Freundin, wir warteten auf unseren Papa als Weihnachtsmann und gaben vor ihn nicht zu erkennen, anders als Schnüpperle, der es wirklich nicht merkte. Wir stritten uns auch, mein Bruder und ich, und fochten unsere Kämpfe mit Kochlöffeln aus. So was kam in dem Buch allerdings nicht vor. Meine Mutter hat das Kinderbuch von Barbara Bartos-Höppner aufgehoben. Es ist tatsächlich auch immer noch bei Amazon zu bestellen, obwohl es erstmals bereits 1969 erschienen ist. Meine Mutter sagt, es sei „überholt“. Sie hat es rausgesucht, um es ihren Enkeln vorzulesen, aber sie meint, die „heile Welt“, die es vorstelle, sei für die Kinder nicht mehr nachvollziehbar: die traditionelle Familie, die stereotypen Geschlechterrollen – das alles scheint ihr nicht mehr zeitgemäß. „Aber damals war´s schön für euch.“, sagt sie. Das stimmt auch. Ich weiß, dass die Idylle, die das Buch beschreibt, kitschig ist. Aber ich erinnere mich, wie mein Bruder ungelenk aus einem Spielzeugkatalog einen Teddy ausschnitt, um einen Wunschzettel zu kleben wie Schnüpperle. Schreiben konnte er noch nicht und er wollte auf keinen Fall, dass ich ihm den Brief an den Weihnachtsmann schrieb. Wir führen sehr verschiedene Leben heute, mein Bruder und ich. Doch wir bleiben uns eng verbunden durch die Erinnerungen an eine laute und streitlustige, aber sehr glückliche Kindheit, zu der auch die (kitschigen) Weihnachtsrituale, die Engel, das Plätzchenbacken und das grässliche Flötenspiel gehörten.
Für heute Abend ist das alljährliche große Mamaweihnachtsplätzchenpaket angesagt. Ich freu mich drauf. Und bin dankbar.
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