Donnerstag, 1. Dezember 2011

PUNK PYGMALION (20): Sein Gesicht

Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans: PUNK PYGMALION


Emmi wird nervös. Dass ich im Blog vor zwei Wochen ankündigte, ihren Ex Björn am kommenden Wochenende zu treffen, ließ ihr keine Ruhe. Im Kommentar drängte sie: „Und jetzt?“ Als ich nicht reagierte, schickte sie Mails. Schließlich sogar einen Hinweis, der die Geschichte voranbringen kann: den Namen und die Adresse einer Frau in Kopenhagen, die ich kontaktieren solle: Maja B.  Sie will mich weiter manipulieren. Zugleich scheint sie unter Druck zu stehen. Sie ist jetzt schon beinahe ein halbes Jahr „untergetaucht“. Die Polizei allerdings sieht das nicht so. Emmi, ließen sie ihre Mutter wissen, sei ein erwachsener Mensch und könne entscheiden, wo sie leben und bei wem sie sich melden wolle. Ich kann mir dennoch ein Gefühl der Schadenfreude nicht verkneifen, wenn ich in meinen Mailordner schaue, wo seit Tagen eine Mail nach der anderen eingeht. Ich habe noch keine beantwortet: Eine Retourkutsche, nachdem sie mich so lang und so gründlich an der Nase herumgeführt hat.

Tatsächlich war die Begegnung mit Björn (und wird mein Bericht darüber) ein retardierendes Moment des Dramas, das du aufführen willst, Emmi. Ganz kann ich nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet das dich so aus der Reserve lockt. Aber vielleicht ist dies nur ein weiteres Missverständnis und dort, wo du bist, geschieht etwas ganz anderes, was ich (noch) nicht verstehe. Was glaubst du denn, was er gesagt hat?

Björn machte mir klar, wie wenig ich von dir weiß, Emmi. Das war meine Verblendung, durch die es dir möglich wurde, dein Spiel in Gang zu setzen: Dass ich dachte, wir wären „alte Freudinnen“. Ich kenne dich fast mein ganzes Leben. Wir hatten zusammen Gummitwist gehüpft, waren beide – aber nicht gleichzeitig - in Hubert verknallt, lagen zusammen auf deinem Bett und philosophierten über das Leben. Ich dachte, wir stünden uns nahe. Tatsächlich habe ich seit jenem Sommer 84 so gut wie nichts von dir gewusst. Wir trafen uns zwei- oder dreimal im Jahr, telefonierten gelegentlich, später schrieben wir Mails. Du lebtest, nahm ich an, in „serieller Monogamie“, wie man das nennt, während wir eine Familie gründeten. Die meisten deiner Lebensgefährten, die ich flüchtig kennenlernte, mochte ich, keinem kam ich nahe. Wenn du dich trenntest, teiltest du mir mit: „Es ging einfach nicht mehr.“ Ich habe nie nachgefragt. Denn - das ist wahr: Seit Ansgars Auftauchen habe ich dich nie nach etwas gefragt, worüber du nicht von selbst gesprochen hast. Da war eine unsichtbare Wand, die du um dich gezogen hattest, ein Signal: bis hierher und nicht weiter.

Björn erzählte mir, wie Hals über Kopf ihr zueinander gefunden habt. Wie du schon wenige Wochen später bei ihm eingezogen bist. Wie sehr ihn dies Unbedingte erstaunt habe – und ihm geschmeichelt, natürlich. Aber auch er, sagt er, hat im Nachhinein den Eindruck, dass er nie wirklich gewusst habe, was in dir vorging. Du wolltest bei ihm sein, mit ihm leben, du wolltest ihn, das habest du unmissverständlich gezeigt. Aber was du dir wünschtest, erhofftest, wie du mit ihm habest leben wollen, das habe er nicht verstanden. Du seiest einfach da gewesen, eingeschmiegt in sein Leben, sein Kino, seine Musik, seine Freunde. Er habe sich nicht gefragt, was vorher den Platz eingenommen habe, den nun er und seine Interessen, Vorlieben, Wünsche so vollkommen ausfüllten. Es sei auch alles sehr gut gegangen. Bis zu dem Umzug nach Berlin, meint er im Rückblick. Da habe dein Enthusiasmus nachgelassen, schleichend. Auch vorher schon gab es diesen einen Konflikt: Er wollte ein Kind. Du schwiegst dazu, aber er sah, dass du weiter die Pille nahmst. Kein Kind. Mir hast du immer erzählt, wie sehr du dir eines wünschtest, wie du mich darum beneidest, Kinder zu haben. Du wolltest auf keinen Fall ein Kind, sagt Björn. Geschrien und geweint habest du, als du die Pille einmal vergessen hättest. Aber alle seine Versuche, mit dir darüber zu reden, habest du abgeblockt. Ganz geschickt. Nie sei es zum Streit darüber gekommen. Immer wäre es dir gelungen, das Thema zu wechseln, ihn woanders hinzuführen. Ich vermute, wegen seines Lächelns als er das sagte, zwischen die Laken. Das sagte er aber nicht. Und dann Berlin. Immer wieder habe dich dort eine Starre überfallen. Halbe Tage seiest du verschwunden gewesen. Einmal habe er dich unter einer Eisenbahnbrücke gefunden, völlig verkrampft gegen die Wand gedrückt. Keine Antworten auf seine Fragen. „Das Gesicht....“, habest du einmal geflüstert, „Es war sein Gesicht....“ Und dann sei auch mal der Name Ansgar gefallen. „Es war Ansgar...“ Am Kanal hättest du die Hände um das Geländer geklammert und das gesagt. Zum Schluss habest du gar nicht mehr mit ihm gesprochen. Es ginge eben nicht mehr. Fertig. Natürlich  habe er versucht zu kämpfen. Aber es sei völlig aussichtslos gewesen.

Ich habe immer gefühlt, dass da noch etwas fehlt. Ihr habt mir glaubhaft versichert, Ansgar und du, es sei keine Vergewaltigung gewesen, was damals in Berlin geschah, 1983, als ihr euch traft. Aber es war gar nicht Ansgar, der mir die Mail schrieb, nicht wahr, Emmi? Ansgar ist nur in diesen Briefen aus dem Schuhkarton, die du mir gabst. Ein Jahr in Briefen, vom Sommer 1983 bis zum Sommer 1984. Ein Treffen bei uns daheim. Dort habe ich ihn gesehen. Du hast ihn nicht erfunden. Ich habe gesehen, wie er dich gefickt hat hinter dem "Up-and-Down". Dann fuhr er nach Süden, nistete sich ein im Hinterland von Barcelona, experimentierte mit Drogen und Sex, flehte dich an zu kommen. Du fuhrst hin. Davon bin ich inzwischen überzeugt. Und dort? Hier sind noch einige Briefe von ihm aus jenen Tagen bei Barcelona, unveröffentlicht. In den Mails bittest du mich, flehst du mich geradezu an, sie im Blog einzustellen. Warum, Emmi?

Wer ist der junge Mann, den du bei dir hast? Oder bei dir hattest? Den du Ansgars Rolle spielen lässt, der aussieht wie Ansgar 1984. PUNK PYGMALION. Ich dachte, es ginge darum, wie Ansgar dich verwandelt hat. Deine Bereitschaft, dich auszuliefern. Aber es warst du, die alles inszeniert hat. Von Anfang an?

Ich habe Maja geschrieben und warte auf ihre Antwort.  Dann stelle ich den nächsten Brief ein.

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