Freitag, 20. April 2012

DER ARME POET (oder: "money´s magick power")



In Deutschland denkt man bei diesem Titel sogleich an Spitzwegs armen Dichtersmann, einsam unterm Regenschirm in der Dachkammer. Die unbeauftragte Wortklauberei ist offensichtlich damals keine Existenz sichernde Tätigkeit gewesen und ist es bis heute nicht. Ein wenig lächerlich wirkt er auch, der arme Poet des Biedermeier, in seiner unverdrossenen Weltabgeschiedenheit und kleinlichen Unbehaustheit. 

Der Künstler der Moderne nimmt keine Hagiographie-Aufträge entgegen, die Künstlerin  der Gegenwart schreibt nicht für das Theater des Fürsten oder die Stiftung der Bankenaufsichtsräte, allenfalls als schnöde (und eben „unkünstlerische“)  Brotarbeit werden Anweisungen entgegen genommen und Wünsche von Geldgebern erfüllt. Kunst ist was anderes. Kunst ist, was nicht bestellt wird, aber gebraucht. Meint jedenfalls der Künstler. Was Kunst ist, entscheidet am Ende aber nicht der oder die, die produzieren, sondern ein Publikum, um dessen Kunstsinn und Belesenheit es im Großen und Ganzen bescheiden steht (wenn auch nicht, darauf lege ich Wert, bescheidener als in früheren Zeiten, ganz im Gegenteil). Marktstrategien haben im Selbstverständnis der modernen, der „autonomen“ Kunst keinen Platz. Es gibt sie wohl, aber man rümpft die Nase. Das geschäftliche Kalkül als Motor des Kunstschaffens? Pfui Teufel! Obwohl auch Dichtersleut´ und Künstler:innen in neokapitalistischen Zeiten immer häufiger von ihren Arbeitszeiten und Aufwendungen reden, um die geldwerten Investitionen darzustellen, die im Werke stecken, gilt weiterhin: Kunst ist insofern keine Arbeit, insofern die Entscheidungen des Kunstschaffenden idealiter unabhängig von seiner Existenzsicherung getroffen werden. „Sie hat noch zwei Kapitel mehr geschrieben, damit es sich besser als Hardcover verkauft.“ – so was mag im Bereich der Unterhaltungsliteratur angehen, ein wahrer E-Künstler aber lässt sich das nicht gerne nachsagen.

Die Situation ist nicht neu. Aus der Malaise entstand das erste Urheberrecht, um das im 18. Jahrhundert auf der britischen Insel der Maler und Kupferstecher William Hogarth kämpfte. Hogarth sah sich als Künstler zwei ausbeuterischen Kräften gegenüber: der Druckpiraterie, durch die seine Kupferstiche als billige Kopie unters Volk gebracht wurden und den Kunsthändlern, die seine Distributionswege einschränkten, um selber höhere Profite zu machen. Dieses differenzierte und differenzierende Problembewusstsein Hogarth´ erreichen viele gegenwärtige Kunstschaffende allerdings nicht (jüngst z.B. Jan Delay und Sven Regner). Sie sehen sich allein durch erstere bedroht, während ihnen die Machenschaft der Kunst- und Kulturindustrie gleichgültig sind oder zupass kommen, da sie zu den schon etablierten Künstlern gehören, die von einer Beschränkung der Zugänge zum Publikum nur profitieren können. Hogarth dagegen kämpfte seinerzeit keineswegs für ein Verwertungsrecht der Händler (entsprechend.: „Leistungsschutzrecht“).


Auch von Hogarth gibt es ein Gemälde, das einen „Distressed Poet“ in einer ärmlichen Dachkammer zeigt. Hier hausen der Dichter, seine junge Frau und ihr kleines Baby. In der Tür steht die Milchfrau, die fordernd eine lange Rechnung präsentiert. Die Frau, die am Kamin sitzend die Hose des Dichters flickt, schaut besorgt auf die Rechnung, während der Dichter im Erker das Gesicht abwendet, grübelt, bevor er weiterschreibt. Der Dichter schmückt sich mit den Attributen des Gentleman: Perücke und Schwert. Als Gentleman entgeht er der Verpflichtung zu arbeiten, kann sich allein der Vervollkommnung seiner selbst durch dichterische Produktion widmen. In krassem Gegensatz dazu präsentiert sich seine häusliche Umgebung. Überall wird Armut und Not sichtbar: Der Schrank über der Milchfrau ist vollkommen leer, das Dachstübchen ist eng und unordentlich, das Baby schreit vor Hunger.

Auf den ersten Blick illustriert Hogarth Bild die Satire Alexander Popes auf die mittellosen Dichter. Im „Duncian“ hatte Pope die verarmten und erfolglosen Dichter geschmäht und verlacht. Wo Spitzweg den armen Poeten zärtlich verspottet, ist Pope boshaft. Im „Grub Stree Journalt“, das im  Gemälde auf dem Boden liegt,  wurde zu jener Zeit die fiktive Geschichte eines Mannes erzählt, der eine gute Schulausbildung genossen, eine Anstellung in einer Anwaltskanzlei aufgegeben und sein Erbe verloren hatte, weil er sich allein seinen Ambitionen als freier Schriftsteller widmen wollte. Pope und andere machten sich mit dieser Geschichte über den Anspruch eines bürgerlichen Dilettanten auf ein Gentlemanleben lustig. Sie taten dies aus der Sicht der Arrivierten, die schon gesellschaftliche Stellung und künstlerische Reputation besaßen. Die Komik lag eben darin, dass auch die Untalentierten und Armen den Anspruch auf einen Lebensstil erhoben, der allein den  Reichen und Begabten zukam, wie Pope und seine Freunde meinten.

Hogarth´ Gemälde schlägt aber nur vordergründig in dieselbe Kerbe. In der ersten Fassung hängt hinter dem Poeten eine zeitgenössische Karikatur Popes. Pope wird als ein Affe mit Papstkrone dargestellt, ein Esel ist ihm als Sprecher zugesellt. Der Esel bezieht sich auf das Titelblatt von Popes „Dunciad“; die Affengestalt erinnert an ein zeitgenössisches Wortspiel: P—o—ape. Die zweite Fassung des Stiches schließlich zeigt eine andere, von Hogarth selbst erfundene Karikatur. Hier ist Pope als bösartiger Held dargestellt, der den Fuß auf seinen am Boden liegenden Widersacher Curll setzt. Er behandelt Curll wie ein aristokratischer Jagdherr seine Beute. In der ersten Fassung hat der arme Poet sich die Karikatur Popes quasi als Rache für dessen Schmähungen an die Wand gehängt, in der zweiten hängt Pope wie ein „Heroe“, ein Vorbild hier. Das verschärft die Kritik an Pope  eher noch. Denn das Bild an der Wand illustriert den Geisteszustand des armen Dichters, der damit seine Wand schmückt. Während er zunächst noch in der Lage war, sich gegen Pope und dessen Schmähung zu wehren, hat er im zweiten dessen Ansprüche so verinnerlicht dass er den ihnen innewohnenden Vernichtungswillen gegen sich selbst  ignoriert. In der dritten Fassung hat Hogarth ganz auf eine Darstellung Popes verzichtet. Nun hängt stattdessen hinter dem Dichter eine Zeichnung der Goldminen von Peru an der Wand. Diese Goldminen hatten bei den Spekulationen im Zusammenhang mit dem „South Sea Bubble“ eine Rolle gespielt. Die Goldminen standen für den Traum von Reichtum und Glück jenseits erniedrigender Arbeit. Der Zusammenbruch dieser Spekulation war Hogarth bereits 1721 zum Thema geworden, in seiner ersten auf ein aktuelles Ereignis bezogenen Satire: The South Sea Scheme. Die Tory-Partei, der Pope nahestand, hatte das Spekulationsprojekt unterstützt. Im Kommentar hatte Hogarth geschrieben: „So much for monyes magick power, Guess at the Rest you find out more.“ Auch die dritte Fassung enthält mithin eine – wenn auch verdeckte – Anspielung auf Pope. Pope war von Hogarth in „The South Sea Scheme“ als Profiteur eines betrügerischen Unternehmens und als Dieb „geistigen Eigentums“ attackiert worden.

Hogarth hat – anders als Spitzweg – den armen Poeten nicht einsam dargestellt, sondern als Familienvater, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Bei ihm wird der verarmte Dichtersmann nicht verspottet, weil er hohe Ansprüche hat an Kunst und Leben, die er mangels Talent und/oder Status nicht einlösen kann. Das Versagen des armen Dichters bei Hogarth ist kein Versagen in der Kunst, sondern eines im Leben. Der Vorkämpfer für das Urheberrecht sah den Künstler nicht als Solitär, der einsam seine Werke produziert, sondern eingebunden in familiäre und gesellschaftliche Verpflichtungen. Statt sich die Aufträge am Fürstenhof zu besorgen, fühlte er sich beauftragt von seinen Mitbürgern, an deren politischen  Auseinandersetzungen er mit seinen Werken teilnehmen wollte.

Diese Position verträgt sich freilich nicht mit der Publikumsverachtung des modernen Künstlers. Hogarth wollte die Teilhabe von „Jedermann“ und „Jederfrau“ an Kunst und Kultur, nicht nur als bürgerliche Ideologie des „unvoreingenommenen Sehens und Lesens“, sondern tatsächlich realisiert im Alltag. Er schuf selbst billigere Abzüge seiner Gemälde und Stiche, die auch weniger vermögende Käufer erwerben konnten. Zugleich mühte er sich, öffentliche Räume für die Kunst zu erobern, die keine Hemmschwelle gegenüber weniger Privilegierten aufbauten. Er stellte zum Beispiel in den Vauxhall Gardens, einem Vergnügungspark aus und im St. Bartholomews Hospital. Diese Ausweitung von „the public in general“ war eine Herauforderung gegenüber jener bürgerlichen Öffentlichkeit, die sich gerade etablierte. Zwar grenzte sie im Ideal niemanden aus, blendete aber stets die ökonomische Unsicherheit als Faktor, der Teilhabe unmöglich machen konnte, aus. Hogarth konfrontierte die Aufsteiger seiner Zeit mit ihrer Herkunft, mit der Möglichkeit des Misserfolgs und mit dem Preis des Erfolgs. Mit seiner offensiven Vermarktungsstrategie forderte er sie gleichsam auf, Kunst nicht als Privatleute zu goutieren, sondern ihr die öffentlichen Räume zu öffnen, Kunst in ihr Leben und ihre Vergnügungen zu integrieren. Damit stellte er zugleich die Qualitäten in Frage, die in der bürgerlichen Gesellschaft Kunst erst als Kunst auszeichnen, nämlich: Verachtung für Gemeinplätze und "Kitsch", Intensität (Verdichtung statt Vielfalt) und Authentizität (Echtheit statt Vervielfältigung), Kohärenz und Konsequenz (statt Kontingenz). All jene Maßstäbe also, die man sich leisten können muss und die geeignet waren (und sind) Kunst vor allem als "soziales Kapital" (Pierre Bourdieu) einzusetzen.

Wer Eigentümerrechte haben und nutzen will, muss bereit sein, auf dem Markt zu agieren, statt angewidert „Igitt“ zu rufen und sein (potentielles) Publikum zu verachten. Dem muss es darum gehen, (Gegen-)Öffentlichkeit herzustellen statt Freiheitsrechte einzuschränken und der Abmahnindustrie in die Hände zu arbeiten. Das Neue an den "neuen Medien", am Netz, ist nicht, dass geistiges Eigentum "geklaut" werden kann und wird (schon Hogarth beklaute Rembrandt und in meiner Jugend kursierten täglich auf dem Schulhof die Tapes). Das Neue ist, dass die Verfügung über  Produktionsmittel und Distributionswege nicht mehr in der Hand weniger liegt. Es kommt heute, denke ich, darauf an, eine Kunst zu produzieren, die der Eigentümergesellschaft und das heißt: dem Kapitalismus etwas entgegensetzt. Eine Verschärfung des Urheberrechts spült keinen Cent mehr auf die Konten von Künstler:innen, kleinen Verlagen und Galeristen. Das könnte viel eher durch eine "Kulturflatrate" erreicht werden.

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