In
Deutschland denkt man bei diesem Titel sogleich an Spitzwegs armen Dichtersmann, einsam unterm
Regenschirm in der Dachkammer. Die unbeauftragte Wortklauberei ist
offensichtlich damals keine Existenz sichernde Tätigkeit gewesen und ist
es bis heute nicht. Ein wenig lächerlich wirkt er auch, der arme Poet des
Biedermeier, in seiner
unverdrossenen Weltabgeschiedenheit und kleinlichen Unbehaustheit.
Der
Künstler der Moderne nimmt keine Hagiographie-Aufträge entgegen, die Künstlerin
der Gegenwart schreibt nicht für
das Theater des Fürsten oder die Stiftung der Bankenaufsichtsräte, allenfalls
als schnöde (und eben „unkünstlerische“) Brotarbeit werden Anweisungen entgegen genommen und Wünsche
von Geldgebern erfüllt. Kunst ist was
anderes. Kunst ist, was nicht bestellt wird, aber gebraucht. Meint jedenfalls
der Künstler. Was Kunst ist, entscheidet am Ende aber nicht der oder die, die
produzieren, sondern ein Publikum, um dessen Kunstsinn und Belesenheit es im
Großen und Ganzen bescheiden steht (wenn auch nicht, darauf lege ich Wert,
bescheidener als in früheren Zeiten, ganz im Gegenteil). Marktstrategien haben
im Selbstverständnis der modernen, der „autonomen“ Kunst keinen Platz. Es gibt
sie wohl, aber man rümpft die Nase. Das geschäftliche Kalkül als Motor des
Kunstschaffens? Pfui Teufel! Obwohl auch Dichtersleut´ und Künstler:innen in
neokapitalistischen Zeiten immer häufiger von ihren Arbeitszeiten
und Aufwendungen reden, um die geldwerten Investitionen darzustellen, die im Werke
stecken, gilt weiterhin: Kunst ist insofern keine Arbeit, insofern die Entscheidungen des Kunstschaffenden idealiter unabhängig von seiner
Existenzsicherung getroffen werden. „Sie hat noch zwei Kapitel mehr
geschrieben, damit es sich besser als Hardcover verkauft.“ – so was mag im
Bereich der Unterhaltungsliteratur angehen, ein wahrer E-Künstler aber lässt
sich das nicht gerne nachsagen.
Die
Situation ist nicht neu. Aus der Malaise entstand das erste Urheberrecht, um
das im 18. Jahrhundert auf der britischen Insel der Maler und Kupferstecher
William Hogarth kämpfte. Hogarth sah sich als Künstler zwei ausbeuterischen
Kräften gegenüber: der Druckpiraterie, durch die seine Kupferstiche als billige
Kopie unters Volk gebracht wurden und den Kunsthändlern, die seine
Distributionswege einschränkten, um selber höhere Profite zu machen. Dieses
differenzierte und differenzierende Problembewusstsein Hogarth´ erreichen viele
gegenwärtige Kunstschaffende allerdings nicht (jüngst z.B. Jan Delay und Sven Regner). Sie sehen
sich allein durch erstere bedroht, während ihnen die Machenschaft der Kunst-
und Kulturindustrie gleichgültig sind oder zupass kommen, da sie zu den schon
etablierten Künstlern gehören, die von einer Beschränkung der Zugänge zum
Publikum nur profitieren können. Hogarth dagegen kämpfte seinerzeit keineswegs
für ein Verwertungsrecht der Händler (entsprechend.: „Leistungsschutzrecht“).
Auch
von Hogarth gibt es ein Gemälde, das einen „Distressed Poet“ in einer ärmlichen
Dachkammer zeigt. Hier hausen der Dichter, seine junge Frau und ihr kleines
Baby. In der Tür steht die Milchfrau, die fordernd eine lange Rechnung präsentiert.
Die Frau, die am Kamin sitzend die Hose des Dichters flickt, schaut besorgt auf
die Rechnung, während der Dichter im Erker das Gesicht abwendet, grübelt, bevor
er weiterschreibt. Der Dichter schmückt sich mit den Attributen des Gentleman:
Perücke und Schwert. Als Gentleman entgeht er der Verpflichtung zu arbeiten,
kann sich allein der Vervollkommnung seiner selbst durch dichterische
Produktion widmen. In krassem Gegensatz dazu präsentiert sich seine häusliche
Umgebung. Überall wird Armut und Not sichtbar: Der Schrank über der Milchfrau
ist vollkommen leer, das Dachstübchen ist eng und unordentlich, das Baby
schreit vor Hunger.
Auf
den ersten Blick illustriert Hogarth Bild die Satire Alexander Popes auf die
mittellosen Dichter. Im „Duncian“ hatte Pope die verarmten und erfolglosen
Dichter geschmäht und verlacht. Wo Spitzweg den armen Poeten zärtlich
verspottet, ist Pope boshaft. Im „Grub Stree Journalt“, das im Gemälde auf dem Boden liegt, wurde zu jener Zeit die fiktive Geschichte eines Mannes erzählt, der
eine gute Schulausbildung genossen, eine Anstellung in einer Anwaltskanzlei
aufgegeben und sein Erbe verloren hatte, weil er sich allein
seinen Ambitionen als freier Schriftsteller widmen wollte. Pope und andere
machten sich mit dieser Geschichte über den Anspruch eines bürgerlichen
Dilettanten auf ein Gentlemanleben lustig. Sie taten dies aus der Sicht der
Arrivierten, die schon gesellschaftliche Stellung und künstlerische Reputation
besaßen. Die Komik lag eben darin, dass auch die Untalentierten und Armen den
Anspruch auf einen Lebensstil erhoben, der allein den Reichen und Begabten zukam, wie Pope und seine Freunde
meinten.
Hogarth´
Gemälde schlägt aber nur vordergründig in dieselbe Kerbe. In der ersten Fassung
hängt hinter dem Poeten eine zeitgenössische Karikatur Popes. Pope wird als ein
Affe mit Papstkrone dargestellt, ein Esel ist ihm als Sprecher zugesellt. Der
Esel bezieht sich auf das Titelblatt von Popes „Dunciad“; die Affengestalt
erinnert an ein zeitgenössisches Wortspiel: P—o—ape. Die zweite Fassung des
Stiches schließlich zeigt eine andere, von Hogarth selbst erfundene Karikatur.
Hier ist Pope als bösartiger Held dargestellt, der den Fuß auf seinen am Boden
liegenden Widersacher Curll setzt. Er behandelt Curll wie ein aristokratischer
Jagdherr seine Beute. In der ersten Fassung hat der arme Poet sich die
Karikatur Popes quasi als Rache für dessen Schmähungen an die Wand gehängt, in
der zweiten hängt Pope wie ein „Heroe“, ein Vorbild hier. Das verschärft die Kritik
an Pope eher noch. Denn das Bild
an der Wand illustriert den Geisteszustand des armen Dichters, der damit seine
Wand schmückt. Während er zunächst noch in der Lage war, sich gegen Pope und
dessen Schmähung zu wehren, hat er im zweiten dessen Ansprüche so verinnerlicht
dass er den ihnen innewohnenden Vernichtungswillen gegen sich selbst ignoriert. In der dritten Fassung hat
Hogarth ganz auf eine Darstellung Popes verzichtet. Nun hängt stattdessen
hinter dem Dichter eine Zeichnung der Goldminen von Peru an der Wand. Diese
Goldminen hatten bei den Spekulationen im Zusammenhang mit dem „South Sea Bubble“
eine Rolle gespielt. Die Goldminen standen für den Traum von Reichtum und Glück
jenseits erniedrigender Arbeit. Der Zusammenbruch dieser Spekulation war
Hogarth bereits 1721 zum Thema geworden, in seiner ersten auf ein aktuelles
Ereignis bezogenen Satire: The South Sea Scheme. Die Tory-Partei, der Pope nahestand, hatte das Spekulationsprojekt
unterstützt. Im Kommentar hatte Hogarth geschrieben: „So much for monyes magick
power, Guess at the Rest you find out more.“ Auch die dritte Fassung enthält
mithin eine – wenn auch verdeckte – Anspielung auf Pope. Pope war von Hogarth
in „The South Sea Scheme“ als
Profiteur eines betrügerischen Unternehmens und als Dieb „geistigen
Eigentums“ attackiert worden.
Hogarth
hat – anders als Spitzweg – den armen Poeten nicht einsam dargestellt, sondern als Familienvater, der seinen Verpflichtungen nicht
nachkommt. Bei ihm wird der verarmte Dichtersmann nicht verspottet, weil er
hohe Ansprüche hat an Kunst und Leben, die er mangels Talent und/oder Status
nicht einlösen kann. Das Versagen des armen Dichters bei Hogarth ist kein
Versagen in der Kunst, sondern eines im Leben. Der Vorkämpfer für das Urheberrecht sah den Künstler nicht
als Solitär, der einsam seine Werke produziert, sondern eingebunden in
familiäre und gesellschaftliche Verpflichtungen. Statt sich die Aufträge am
Fürstenhof zu besorgen, fühlte er sich beauftragt von seinen Mitbürgern, an deren politischen Auseinandersetzungen
er mit seinen Werken teilnehmen wollte.
Diese Position verträgt sich freilich nicht mit der Publikumsverachtung des modernen
Künstlers. Hogarth wollte die Teilhabe von „Jedermann“ und „Jederfrau“ an Kunst
und Kultur, nicht nur als bürgerliche Ideologie des „unvoreingenommenen Sehens und Lesens“,
sondern tatsächlich realisiert im Alltag. Er schuf selbst billigere Abzüge seiner Gemälde
und Stiche, die auch weniger vermögende Käufer erwerben konnten. Zugleich mühte
er sich, öffentliche Räume für die Kunst zu erobern, die keine Hemmschwelle
gegenüber weniger Privilegierten aufbauten. Er stellte zum Beispiel in den
Vauxhall Gardens, einem Vergnügungspark aus und im St. Bartholomews Hospital.
Diese Ausweitung von „the public in general“ war eine Herauforderung
gegenüber jener bürgerlichen Öffentlichkeit, die sich gerade etablierte.
Zwar grenzte sie im Ideal niemanden aus, blendete aber stets die
ökonomische Unsicherheit als Faktor, der Teilhabe unmöglich machen konnte, aus.
Hogarth konfrontierte die Aufsteiger seiner Zeit mit ihrer Herkunft, mit der
Möglichkeit des Misserfolgs und mit dem Preis des Erfolgs. Mit seiner
offensiven Vermarktungsstrategie forderte er sie gleichsam auf, Kunst nicht als
Privatleute zu goutieren, sondern ihr die öffentlichen Räume zu öffnen, Kunst
in ihr Leben und ihre Vergnügungen zu integrieren. Damit stellte er zugleich die
Qualitäten in Frage, die in der bürgerlichen Gesellschaft Kunst erst als Kunst
auszeichnen, nämlich: Verachtung für Gemeinplätze und "Kitsch", Intensität (Verdichtung statt Vielfalt) und
Authentizität (Echtheit statt Vervielfältigung), Kohärenz und Konsequenz (statt Kontingenz). All jene Maßstäbe also, die man sich leisten können muss und die geeignet waren (und sind) Kunst vor allem als "soziales Kapital" (Pierre Bourdieu) einzusetzen.
Wer Eigentümerrechte haben und nutzen will, muss bereit sein, auf dem Markt zu agieren,
statt angewidert „Igitt“ zu rufen und sein (potentielles) Publikum zu
verachten. Dem muss es darum gehen, (Gegen-)Öffentlichkeit herzustellen statt Freiheitsrechte einzuschränken und der Abmahnindustrie in die Hände zu arbeiten. Das Neue an den "neuen Medien", am Netz, ist nicht, dass geistiges Eigentum "geklaut" werden kann und wird (schon Hogarth beklaute Rembrandt und in meiner Jugend kursierten täglich auf dem Schulhof die Tapes). Das Neue ist, dass die Verfügung über Produktionsmittel und Distributionswege nicht mehr in der Hand weniger liegt. Es kommt heute, denke ich, darauf an, eine Kunst zu produzieren, die der Eigentümergesellschaft und das heißt: dem Kapitalismus etwas entgegensetzt. Eine Verschärfung des Urheberrechts spült keinen Cent mehr auf die Konten von Künstler:innen, kleinen Verlagen und Galeristen. Das könnte viel eher durch eine "Kulturflatrate" erreicht werden.
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