Samstag, 8. Dezember 2012

***TRIGGER-Warnung*** MOEPSE UND ABNEHMEN

Eine Erkrankung am Tourette-Syndrom ist bei mir bislang nicht diagnostiziert worden. Seit dem Sommer jedoch hat sich ein Tic ausgebildet, der sich in jüngster Zeit in immer kürzeren Intervallen und heftigeren Ausbrüchen zeigt. Ich habe mich zu einer öffentlichen Darstellung durchgerungen, weil ich mir ganz egoistisch Trost durch andere Betroffene erhoffe und andererseits selbst diesen Mut machen will. Wahrscheinlich handelt es sich bei meinen Symptomen gar nicht um einen klassischen Fall von Tourette, sondern um eine Abart, die sich dadurch auszeichnet, dass sie nur durch einen bestimmten Auslöser (***Trigger***) hervorgerufen wird.

Seit dem Sommer werden unmittelbar vor der von mir als konservativer Frau an Alltagen regelmäßig eingeschalteten "Tagesschau" (ARD) Werbespots für ein Diätmittel ausgestrahlt. In der Sommervariante dieser Spots rennt eine  brünette Frau im gelben Bikini mit schmaler Taille, aber großen, beim Rennen hüpfenden Brüsten an einem Strand entlang und an zwei muskelbepackten, Six-Pack besitzenden jungen Männer vorbei, die ihr auf die wippenden Brüste starren und dabei feist grinsen. Sie lächelt ihnen, offenbar geschmeichelt durch diese Blicke, zu. Neben ihr her läuft ein fetter Mops. (Ha, gemerkt? Der Kalauer: Möpse! Hahaha! Die Werbefuzzis, die sich das ausgedacht haben, müssen sich vor Begeisterung beinahe überschlagen haben.) In der Wintervariante sitzt die gutaussehende Frau in einem Taxi und begutachtet kritisch ihren wohlgestalteten Körper. Der Mops ist auch dabei. (Hahaharrrr!) Sie kommt am Ziel an, steigt aus und schlägt ihren Mantel auf, um dem Gastgeber, der die Tür geöffnet hat, ihren Körper, der in ein eng anliegendes Abendkleid gehüllt ist, zu präsentieren. "Wow", sagt der, "du hast abgenommen." Sie freut sich - und der Mops auch! (Hahahahaaarrrrrrrrrgrrrr!) Am Ende vom Spot erklärt jedes Mal ein eher rundlicher Apotheker die tolle Wirkung des Abnehmmittels, dessen Name hier nicht genannt werden soll.

Jedenfalls: Im Sommer, immer wenn die zwei grenzdebilen Strandjungs ins Bild kamen, spürte ich schon dieses Zucken in den Extremitäten und hinten in meiner Gurgel bildeten sich so Worte, die ich hier nicht ausschreiben möchte, schlimme Worte, hasserfüllte Worte, wüste Beschimpfungen und Drohungen. Oben unter der Schädeldecke entwarf mein Gehirn ein Kopfkino, in dem den Herren Dinge angetan wurden, die ich so noch in keinem Splatterfilm gesehen habe und auch nicht sehen möchte, die aber offenbar mein Hirn ohne Weiteres produzieren kann. Im Sommer, auch wegen einer längeren Unterbrechung meines Tagesschau-Konsums, gelang es mir jedoch weitgehend, den Tic unter der Oberfläche zu halten. Das kostete mich viel Energie, war aber insgesamt deutlich dem Zustand vorzuziehen, der sich seit einigen Wochen entwickelt hat. Jedes Mal, wenn der Mops auf der Bildfläche erscheint, fangen meine Füße an zu zucken, meine Hände schlagen um sich, Krallen werden ausgefahren und aus meinem Mund sabbert es. Ich verwandele mich in eine Werwölfin. Wenn dann der Kerl im Bild auftaucht und sein Sprüchlein absondert: "Wow. Du hast abgenommen." kann sich das Tier in mir nicht mehr beherrschen und fängt an zu fauchen und die wüsten Beschimpfungen, die nicht jugendfreien Worte und die nicht straffreien Drohungen erfüllen den sonst so friedlichen und weihnachtlich geschmückten Raum. Der Ausbruch hat sich in den letzten Wochen, wie schon erwähnt, in Intensität und Länge gesteigert. Außerdem habe ich beim Vorübergehen an Apotheken und bei der Begegnung mit Möpsen schon mehrfach das wilde Verlangen gespürt, blutige Verbrechen zu begehen, die sich in allen Einzelheiten vor meinem inneren Auge abbildeten.

Es hilft nur eins: Ich muss auf die ersten Minuten der "Tagesschau" verzichten, um diesen Spot nicht mehr, nie mehr!, zu sehen. Wahrscheinlich wären auch andere Maßnahmen möglich, mir fällt aber keine ein, die mit dem geltenden Recht in Einklang steht und auch keine, die nicht gegen meine eigenen moralischen Standards verstößt (Gewaltfreiheit, Pazifismus und so!). Andererseits: Ich habe recherchiert, Werbefuzzis! Ich weiß, wo ich euch finde!

11 Kommentare:

  1. Ich sehe die Nachrichten - falls ich sie mir noch ansehe, denn ich finde ihre Qualität erbärmlich - auf 3sat. Ohne Werbungsbelästigung.

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    1. Erbärmlich, stimmt. Es ist nur eine Gewohnheit, eine schlechte gewissermaßen. Aber eben tief verwurzelt. 20.15 Tagesschau, so war es, seit ich denken kann. Der Tipp mit 3sat ist gut.

      Andererseits schwanke ich immer noch: Der Spot verdient keine zusätzliche Aufmerksamkeit, an so prominenter Stelle platziert, sollte er aber auch nicht unkommentiert bleiben, dieses Scheiß-Macho-Machwerk!

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  2. Oh ja, ich hab da auch tourette..aber vorallem bei Menschen, die dies alles für Realität halten, was so als Werbung egal ob print oder nicht gezeigt wird. Letztens in der U-Bahn habe ich ein paar Early-Twens gesehen, die die H&M Werbung fotografiert haben...nun ja...

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  3. liebe melusine, es gibt gar keinen grund, sich dafür zu rechtfertigen: eine verwandlung in einen werwolf ist angesichts solch schwachsinnig-übler machwerke nicht nur verständlich, sondern sogar ehrenhaft! ... da würde ich mich über mehr werwölfInnen freuen.
    ... viele leben ja im tal der ahnungslosen, und finden sowas alles nicht so schlimm (so möpse & diäten). oder sie sind schon so extrem emanzipiert, dass sie da total drüberstehen! ... auch das wiederum (für mich jedenfalls) ein "trigger"; ich pflege mich bei solchen gelegenheiten stets in "the incredible hulk" zu verwandeln.

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  4. Wie schön, eine Leidensgenossin sich hier outen zu lesen! Auch in meinem Umfeld haben sich einige Personen - ich gebe zu: initial waren es zwei Männer – mächtig über die beiden Spots echauffiert, woraufhin es im Freundeskreis fast zum Sport avancierte, den späteren Spot sich anzuschauen – und dann blitzschnell die Tagesschau abzuwürgen, um nicht den einen Ekel mit etwas beinahe Üblerem zu verwässern.

    Als Heilmittel habe ich mir persönlich eine kleine Umbesetzung in den Spots überlegt. Im ersten könnte ein normal gewichtiger Mann den Part der dringend die beworbenen Schlankheitspillen benötigenden, jungen Läuferin übernehmen, während zwei normal formatierte junge Damen (1.84m, 44kg, Cupgröße D) die schmunzelnde Jury spielen würden. Im zweiten Spot würde dann der dank besagter Pillen sich auf ein sozialverträgliches Volumen herunter konsumiert habende Mann seinen Mantel vor zum Beispiel einer der beiden jungen Damen vom Strand lupfen, welche daraufhin die durchaus die Interpretation der wohlwollenden Begutachtung seines männlichen Stolzes etc. pp. mit den inkriminierenden Worten 'Wow, Du hast abgenommen' ganz ins Belieben der Betrachter dieser Szene stellen könnte.

    Dummerweise nehme ich an, diese kleine Korrektur fiele kaum auf und würde mit etwa dem gleichen - ich nenne es in Ermangelung eines vernichtender klingenden Wortes - Schmunzeln goutiert, welches die zwei ja schon irgendwie appetitlichen – war das zuzugeben jetzt verkehrt? - Strandboys im ersten Spot spazieren führten.

    Ein unglücklicher Umstand, befürchte ich, der am Mops liegen muß. Ein Mops in den Medien entschuldigt eben einfach alles!

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    1. Ich bin überzeugt, dass die "kleine Korrektur" sehr heftige Reaktionen auslösen würde. Deswegen: Zur Untermalung des von mir gleichfalls gut gehassten Songs und vollkommenen Parallelisierung müsste schon im Sommer-Spot etwas am "Normmann" im Takt hüpfen und schwingen wie eben - nicht wahr? - im Original die Brüste der Frau. Aus ästhetischen und anderen Gründen sollten das bei ihm eher nicht die Brüste sein, sondern das Gemächt etwas weiter unten, das dann am besten in eine sogenannte Borat-Badehose gehüllt sein sollte (um die Schwingung voll zur Geltung zu bringen). Die perfektionierten Damen müssten ihren Blick exakt auf diese Schwingung/Schwellung lenken und damit der Gag (das Wortspiel, harhar) nicht verloren ginge, wäre es wohl angebracht, wenn kein kurzschwanziger Mop, sondern z.B. ein Labrador mit langer, wedelnder Rute den Abnehmwilligen begleitet. Blickrichtung und Wedeln müssten selbstverständlich im 2. Spot übernommen werden.

      Bei gelungener Ausführung (Casting!) bekämen wir dann etwas zu sehen, was Frau und Mann um 20.00 Uhr so noch nicht und erst recht nicht in der Werbung gesehen haben: Das beste Stück des Mannes als durch Frauen zu begutachtendes und zu bewertendes Objekt in Szene gesetzt. Und dann freut sich der Geschlechtsmerkmalsträger total, dass seine Rute so viel Gefallen erzeugt, gelle?. Sein Laufstil müsste im Übrigen gleichfalls der Präsentationsabsicht angepasst sein, damit das Schwingen auch richtig klappt.

      Bei dieser Parallele wäre ich zwar vielleicht von meinen Symptomen befreit, aber ich bin ziemlich sicher, dass es empörte Reaktionen gäbe. U.a. vom der Deutschen Bischofskonferenz (und so). Auch nicht wenige Frauen täten sich aufregen, weil sie´s nämlich ganz schlimm finden, wenn Männer so zu Objekten degradiert und vor allem voll auf ihre Penislänge reduziert werden, sich dagegen unheimlich geschmeichelt fühlen, wenn so ein Penisträger sich an ihrer frisch operierten Oberweite ergötzt (denn das geht natürlich nur operativ: 44kg und Körbchengröße D). Egal, diese spießige und verklemmte Empörung stünden wir objektfixierten Voyeurinnen schon durch!

      Tja, und danach müsste eben noch der Arzt aus Florida zur Schaltung eines Anschlussspots gebeten werden, der auch schon Kai Dieckmann bei der Verlängerung seines Geschlechtsteils behilflich war. (Oder habe ich das was falsch verstanden, ich habe nur vage Erinnerungen an diese ganze Geschichte?)

      Es ist jedenfalls eines der dümmsten Gerüchte in Männerkreisen, dass es auf die Länge nicht ankomme ;-). (Echt, das habe ich schon einige daherquasseln hören.) Das wär ja grade so, als wenn wir Frauen uns einbildeten, wir könnten mit Körbchengröße A was reißen. Lachhaft!

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  5. stimmt, der text hat mir jetzt geholfen. ich bin nicht allein, danke.

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  6. Um doch etwas Wasser ins Feuer der weiblichen Entrüstung zu schütten und ob der Reaktionen halte ich vorsichtshalber beide Hände vors "Gemächt": der Mops ist gar keiner, sondern eine Französische Bulldogge. Assoziationen haben oft etwas selbstentlarvendes. Mit dem Begriff "Möpse" für das weibliche sekundäre Geschlechtsmerkmal zitiert "frau" bekanntlich männlich chauvinistischen Sprachgebrauch. Überhaupt scheint mir beim obigen Werbespot das Zitieren eben solcher männlich besetzter Phantasien und Klischeevorstellungen sehr bewusst eingesetzt zu werden und zwar im Sinne eines ironischen Zitierens, das bei mir keine Tics und Übelkeiten auslöst, sondern ein Storytelling-Schmunzeln darüber, wie relativ intelligent gemacht man doch diese völlig überflüssigen Schlankheitsmittel versucht, in den Markt zu drücken. Der schluckt bekanntlich alles und anscheinend gehören auch leider genug Frauen dazu, die irrtümlicherweise glauben, so etwas nötig zu haben.

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    1. Den Hund als Mops identifiziert hat Morel. Der kennt sich aber ebensowenig wie ich aus. Wir mögen beide keine Hunde. Den Spot finden wir nicht intelligent, sondern tatsächlich widerlich (übrigens nicht nur ich, Morel ebenso.) Nein, es ist in dem Fall gut, wenn Sie sich in Deckung bringen ;-), denn ich reagiere darauf tatsächlich nicht rational und habe auch nicht die Absicht es zu versuchen.

      Im Übrigen finde ich Frauen genauso abstoßend, die sich f ü r einen solchen männlichen Blick zurichten, wie die männlichen Vollpfosten, die geifernd dastehen und davon ausgehen, dass Frauen sich dafür interessieren, wie sie von denen wahrgenommen werden. Es ist aber halt so, dass ich auch Männern nicht immer zuerst auf die Hose gucke. Das werde ich mir auch nicht mehr antrainieren, bloß um mit einem männlichen Blick "gleichzuziehen".

      Ich stelle nur je älter ich werde, desto deutlicher fest, dass ein stereotyper männlicher Blick auf die Welt und auf Frauen insbesondere (gerade auch der scheinbar das "Bild der Frau" verehrende) mich inzwischen nur noch ödet. Auch in der Literatur. Und seither entdecke ich endlich soviel Neues und Lesenswertes. Ist doch toll!

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    2. Danke für den Beitrag! Stefan und ich sind auch schon eine Weile angewidert von den Spots.

      @Bücherblogger: Ironisch wär´s, wenn der Post eigentlich sagen wollte: Frauen, ist doch egal, wie die Männer euch sehen und ob sie euch auf die Brüste starren und auf eine schmale Taille Wert legen oder ob sie euch bewundern, wenn ihr abgenommen habt. Scheißegal! Tretet ihnen in die Eier, wenn sie so auf euch gucken. Zieht ihnen die Badehose runter. Schlagt ihnen die Tür vor der Nase zu. Eigentlich, denke ich, sagt er das aber nicht. Er sagt (zugegeben mit einem Augenzwinkern): So sind sie halt, die Männer. Sie wollen großbrüstige Frauen mit schmalen Taillen und finden sich selber toll. Was soll frau machen? Genau: Diät! Aber nicht oben rum, klaro!

      Mein Lebensgefährte findet den Spot deshalb nicht nur frauen-, sondern auch männerfeindlich, weil die "Ironie" sich eben nicht gegen die Stereotype richtet, sondern an deren Aufrechterhaltung mitwirkt. "So sind wir halt, wir Männer, wir Frauen. Das ist die Natur. Frauen wollen sich zeigen, Männer wollen gucken. Oder?"
      Ich muss aufhören, sonst kriege ich auch noch Melusines Tick.

      (In meiner AG - Frauen zwischen 19 - 25 - ist keine einzige, die noch nie eine Diät gemacht hat. Irre, oder? Habe heute grade mal nachgefragt.)

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    3. Grüß Dich! (Stefan auch.)
      Hey, ich habe noch nie eine Diät gemacht. Das stimmt. Aber es stimmt auch: Ich achte auf "mein Gewicht". Mir selbst gefalle ich besser ohne Speckröllchen. Allerdings habe ich auch keine Oberweite und "mehr" nie vermisst. Ich finde meine Brüste wunderschön, gerade richtig. Allerdings bin ich auch nicht unbeeinflusst von den ganzen Bildern rings um mich, den von Männern entworfenen Frauenbildern. Am schlimmsten finde ich allerdings, wie viele Männer in meiner Altersklasse weiterhin immer nur auf Frauen gucken und nie auf sich selbst! Was man dann halt auch sieht. Ich glaube ja, dass alle Erotik mit Autoerotik beginnt. Wer auf sich selbst so nicht gucken kann, der wird auch selten mit Begehren angeschaut. Viele Männer scheinen sich das allerdings nicht zu wünschen. Die wollen nur sehen, nicht gesehen werden. Irgendwie auch arm! Das Eklige an so einem Spot ist ja, dass er wieder nur die eine Blickrichtung und Zurichtung kennt und deshalb eben auch kein bisschen erotisch oder ironisch auf mich wirkt, sondern doof.

      (Arbeitet Stefan an seinem Sixpack??? Oder konnte er sich immunisieren?)

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