Samstag, 21. September 2013

DEN KREISEL TREIBEN, STATT ER ZU SEIN (Nochmals über Autorität - und ein Versprechen an mich selbst)

Immer wieder sonntags wird in meiner Timeline geschimpft und polemisiert. Man schaut #Jauch und regt sich drüber auf. Ähnlich war es beim sogenannten "TV-Duell" oder der abgespeckten "Elefantenrunde", die jetzt "Berliner Runde" heißt. Manche klicken jeden Tag Blogs an oder kommentieren sogar dort, deren Betreiber_innen sie für dumm halten. Sie verkünden lang und breit und immer wieder, wie langweilig ihnen solche Doofheit sei, wie wenig es der Mühe verlohne, sich sowas anzuschauen oder mühen sich ab, die von ihnen Verachteten mit polemisch-sarkastische Worthülsen zu charakterisieren. Sie verwenden viel Zeit darauf, um die Aussagen von jemandem, den oder die sie  angeblich für uninteressant oder irrelevant halten, zu widerlegen und/oder den- oder diejenige zu beleidigen.

Mich wundert´s. Und ich prüfe mich: Mach ich das auch manchmal? Der Mastermind wird im Rahmen eines Schulprojektes immer noch täglich mit der Zeitung für Deutschland beliefert und gelegentlich lese ich die Leitartikel und Kommentare drin. Eh klar, dass ich mich drüber aufrege, was Leute wie Heike Schmoll oder der besonders krasse Jasper von Altenbockum (super Name, aber) so von sich geben. Ich schimpfe und rufe: "Hast du das gelesen?" Der Morel winkt ab. Das ist langweilig. Die Kommentare und meine Erregung drüber. Weil: Hundert Prozent vorhersehbar. Allerdings: Ich kaufe diese Zeitung nicht und suche auch nicht im Netz nach Artikeln dieser Autor_innen, um mich über sie zu erzürnen.* 

Wem ich keine Autorität zubilligen kann, dessen Aussagen interessieren mich nicht. Solche Urteile mögen in einem bestimmten Spektrum von "Gesellschaft" bedeutsam sein, wenn sie in der FAZ veröffentlicht werden. Das verleiht ihnen eine gewisse, wenn auch beschränkte Macht. Aber eben keine Autorität. Autorität ist nichts, was eine sich nehmen kann oder was eine Position, ein Status jemandem verleihen kann. Autorität, so wird es im "ABC des guten Lebens" ausgedrückt, "korrespondiert mit dem Begehren derjenigen, die sie anerkennt". Es geht also darum, sich auf Aussagen von Personen zu beziehen, deren Urteile einer wichtig sind, weil sie ihr dabei helfen, ihrem Begehren zu folgen, sich für Erkenntnisse und Verständigung, für Entwicklung zu öffnen.

Deshalb - und nicht nur wegen der Spirale der Bosheit, die sich häufig entwickelt, wenn jemand sich dauernd auf Personen und Positionen bezieht, denen er oder sie keinerlei Autorität zubilligt - ist es traurig und auf Dauer (selbst-)beschädigend, wenn jemand viel Zeit damit verbringt, zu widerlegen, abzuwehren, niederzumachen, zu polemisieren. Es verstellt demjenigen oder derjenigen nämlich die Möglichkeit, das eigene Begehren zu spüren, ihm zu folgen und sich Autoritäten zu suchen, die ihm oder ihr dabei helfen, sich weiterzuentwickeln. Mir ist es während meines Studium so gegangen, dass ich zuviel Zeit darauf zu verwendet habe, das zu widerlegen, was mir falsch, unnötig, verstiegen, übergriffig erschien. Erst durch die Begegnung mit Christa Bürger habe ich gelernt, Autorität selbst zu verleihen und mich aus diesen Fesseln zu befreien. 

Auch wenn ich mich heutzutage auf Texte oder Personen beziehe, die keine oder eine geringe Autorität für mich haben, kann es passieren, dass ich in die alten Muster zurückfalle. Fast immer führt mich das zu Aussagen, die keinen Wert haben, deren schwacher Sinn der pure Spaß an der Polemik ist, der schnell schal wird. Einzig das Lachen, das heißt ein Umgang damit, der die Texte und Personen nicht lächerlich macht, sondern mit ihnen lacht, kann einer solchen Beschäftigung in meinen Augen Wert verleihen. Oder eine Umgangsweise, durch die die Texte und Autoren "aufgezogen", ihre Verflechtung in die Kämpfe und Oppositionen auseinander geflochten und mit den losen Fäden etwas Neues angefangen wird ("disfieri"). Letztlich bleibt dafür aber die Voraussetzung, dass die Autorität dieser Person oder dieses Textes nicht vollständig verloren gegangen ist. Manchmal stellt eine fest, dass bestimmte Textpassagen oder Positionen für sie keine Autorität mehr haben, ohne dass damit der ganze Text oder die ganze Person der Verachtung anheimfallen. Dann - und nur dann - kann sie in ein Spiel eintreten, ein Spiel mit der Autorität, die sich wie ein Kreisel drehen kann, so dass gelegentlich das Lächerliche, dann aber wieder das aufblitzt, was weiter zu wirken vermag. Immer ist das auch ein "Selbst-Aufziehen", ein Versuch, sich aus der eigenen Verstrickung zu befreien. Beispielhaft praktiziert ein solches Verfahren aus meiner Sicht Heide Schlüpmann in ihren beiden wunderbaren Büchern über das Kino ("Abendröthe der Subjektphilosophie" und "Öffentliche Intimität") mit den Texten Nietzsches und denen Horkheimer/Adornos. Sie lässt sich nicht in eine Opposition zu diesen bringen, sondern nimmt sie auf, zieht sie auf und entwirft mit ihnen - weinend und lachend - ein neues Gewebe: "Die Theorie mag ja mit dem Wissen um den Tod zu tun haben. Aber doch vielleicht so, dass es auf halben Wege stehen bleibt, nicht einverleibt wird. Die Sterblichkeit denkt und fühlt dann nicht mit. Sie wird nicht zu einem Moment der Wahrnehmung der Welt. In die Welt wie ins Kino gehen: in das Dunkel der Vergänglichkeit. Das uns erwischt im Weinen. Die dumme Theorie, dumm aus Überheblichkeit, die der Angst entstammt. Weisheit, in der wir uns der körperlichen Reaktionen, des Lachens, des Weinens entheben, die allein uns doch retten." Und indem sie den Kreisel auf diese Weise antreibt, kann die verlorene Autorität dieser Texte wieder beginnen zu funkeln. (Mir gebe ich zugleich, indem ich das zitiere, ein Versprechen: Heide Schlüpmanns Theorie des Kinos noch einmal zu lesen, zu bedenken, über sie zu schreiben!)

Es ist bedrückend, manchmal, zu beobachten, wie manche sich mit Fleiß jeden Weg verstellen, dem eigenen Begehren nachzugehen, wie sie sich darin verfangen, immer wieder gegen etwas anzurennen, etwas herabzuwürdigen oder für unsinnig zu erklären, statt sich an dem zu orientieren, was sie weiterbringen könnte. Die Gefangenschaft in einem Denken, das sich bloß aus Oppositionen ergibt, folgt daraus. Man erkennt es daran, dass selbst noch jedes Lob sich aus der Abwertung des in den eigenen Augen Falschen,  Missglückten, Missachteten speist. Dass das Gelobte nicht so wie... ist, macht dann seinen Wert aus. Diese Fixierung (und es ist tatsächlich eine) hindert am Weitergehen. Der Kreisel wird man selbst. Ein Kreisel dreht sich immer nur um sich selbst und fällt am Ende um, wenn ihn keine auffängt. Und das - wiederum - kann nur eine mit Autorität. 

Ich klicke nicht bei Maskulinisten herum oder suche nach Salafisten-Videos, um darunter Schmähungen zu posten. Ich kommentiere nicht in Blogs, deren Betreiber_innen ich nicht ernst nehme; ich lese nicht einmal darin. Das heißt nicht, dass ich mich in eine Blubberblase ständiger Einverständnisse zurückziehe. Im Gegenteil: Erst wenn eine oder einer Autorität für mich hat, lohnt sich der Streit. 

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*Dass und warum gegenüber diesen "Qualitätsmedien" in keinen Versuch der Abgrenzung oder Widerlegung mehr Zeit zu investieren ist, sondern allein Gleichgültigkeit angemessen ist, zeigt Antje Schrupp in ihrem heutigen Beitrag auf "Aus Liebe zur Freiheit".

1 Kommentar:

  1. volle zustimmung auch hier, auch wenn es mir nichts neues ist, brauchen manche dinge zeit sich festzusetzen, das ist manchmal gar nicht so leicht wenn das sinnlose ins grund und bodenlose fällt...

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