Dienstag, 25. August 2015

Hart kämpft (Teil 2): "Du Teufel" (Aus: DREI SABINEN)*

Hart hatte durch den Pianisten den Schmerz wiedergefunden, als den nur sie die Liebe erkannte. Wir ahnten das, natürlich. Wir hatten den Mercedes mit Harts Vater am Steuer durch den Ort rollen sehen, die Mutter klein daneben mit riesiger Sonnenbrille.  Kein anderes Haus verdiente den Namen „Villa“, damals, als dieses Kuriosum am Hang mit den albernen Putti auf den Torpfosten und der grotesken Statue ohne Arme vor der runden Auffahrt und den halben Säulenattrappen neben der schweren Eingangstür („Echter  Carrara-Marmor!“, ließ Harts Vater immer wieder jeden wissen, der es schon wusste.) Wir hatten zwar keinen Geschmack, aber erkannten instinktiv den schlechten. Die Männer nickten Harts Vater zu und lachten gezwungen über seine Witze am VfB-Stammtisch, denn er war der größte Sponsor. Aber wenn er den Raum verließ, schürzten sie verächtlich die Lippen. Über Harts Mutter wurde im Kreise der Frauen nicht gelästert. Was er ihr genau antat und wie, wollte keine so genau wissen. Dass die Mutter der Bohnenstangen-Sabine ihre Rolle nicht freiwillig spielte, konnte jede sehen, die es nicht wollte.  Unter den dunklen Brillengläsern war sie immer verheult. Kein blaues Auge, soviel ist wahr, nie.  Stets leichte Solariumsonnenbräune. Wasserstoffblond. Mehr Twiggy als Marilyn allerdings, was „in“ war, damals, aber hierzulande nicht wirklich gefiel.  Immer neueste Mode, echter Schmuck. „Er lässt es sich was kosten.“, der Satz fiel. Die Schnapsflaschen im Abfallcontainer. Die Putzfrau hatte am Mundwasser geschnüffelt: „Purer Alkohol, sage ich euch.“ 

Wir sahen im Hartschen Mercedes  die jungen Frauen, kaum volljährig wirkten sie, durch das Tor die Auffahrt hinaufrollen. Kichernd und auf den hohen Absätzen sich kaum halten könnend stiegen sie zwischen den Attrappensäulen die Treppe hinauf, wo die Frau des Hauses sie erwartete mit einem erzwungenen Lächeln und Champagnerschalen. „Orgien“, flüsterten unsere Väter, nicht ganz ohne Neid. Frau Hart wurde bemitleidet, aber sie genoss keinen Respekt. Den erwies man vordergründig dem Ehemann, hinter dessen Rücken man aber den Kopf schüttelte. Es wurde der Rücksichtslosigkeit in unserem kleinbürgerlichen Milieu in jenen 70er Jahren noch nicht die Bewunderung zuteil, die ihr erst der sogenannte Neokapitalismus und das Privatfernsehen späterhin verschaffte.

Soweit wir wussten, lebte Harts Mutter, trotzdem oder deswegen, noch, irgendwo an der Cote Azur. Während ihn der Schlag getroffen hatte, irgendwann Ende der 90er. Die Bohnenstangen-Sabine, seine Tochter, später Sabia Hart, erschien nicht zu seiner Beerdigung. Auch die Witwe, längst war sie da schon dem Hafen der entwürdigenden Ehe gen Mittelmeer entflohen, fehlte. Etwas, so ahnten wir, hatten sie gegen ihn in der Hand gehabt, Mutter und Tochter.  Schwerwiegend genug war dieses Wissen offenbar, um sie sicherzustellen beide, materiell wenigstens, schon vor seinem Ableben. Die Trauergemeinde war dennoch nicht klein gewesen. Peinlich nur, dass sich keine und keiner vorne ans Grab stellen wollte, als der Pfarrer die Abschiedsworte sprach vor dem Versenken. Lumpen lassen allerdings wollten sich die Herren vom VfB nicht. Sargträger boten sie auf und organisierten Trauerfeier und Weckessen. Im Testament wurde der Verein großzügig bedacht. Die Immobilie fiel an die Dorffußballer. Die Tochter erhielt, so hörten wir, den Pflichtteil. „Mehr als genug.“ Dass sie nicht kam, wurde ihr nicht vorgeworfen. Es galt zwar als stillos. Aber niemand erwartete von der Bohnenstange etwas anderes. Wenn wir gewusst hätten, wie sich das hässliche Entlein längst schon verwandelt hatte. Doch das erfuhren wir erst durch die Begegnung mit Kerstin und deren Folgen.

Zunächst schien es jedoch, als spiele der Pianist die Hauptrolle in der Tragikomödie, die sich anzubahnen begann. Er rief die Spröde an, die sich zierte, mit gutem Grund. Säuselte nicht, sondern befahl. Das war der Trick. „Ich sähe sie gern. Noch heute. Kommen Sie in mein Hotel. Ich erwarte sie um 18.00 in der Lobby.“ Sie widersprach, suchte nach Ausreden. Hatte sie noch nicht begriffen, wiewohl zu jenem Zeitpunkt schon über 40 Jahre alt, dass jede Rechtfertigung dem Angreifer Tür und Tor öffnete? Er war da schon drinnen, ließ nichts gelten. Es war gar keine Überredung notwendig, nur ein starker Wille und auf ihrer Seite die so lange unterdrückte Lust auf ein Abenteuer, uneingestanden freilich. So erklärten wir es uns später.

Er berichtete Hart unmittelbar nach dem Telefonat von seiner Verabredung mit ihrer, wie er sich spöttisch ausdrückte, „nur scheinbar so frigiden Freundin.“ Hart sprang sofort darauf an: „Sie ist nicht meine Freundin. Nie gewesen.“ „So ist sie immerhin, wage ich zu behaupten, deine Neigungsgenossin, glaubst du nicht? Sie wird mir verfallen wie du. Die Wette wage ich. Nach einem ersten Blick.“ „Du Teufel.“ „Du hälst nicht dagegen, bemerke ich, meine Teuerste.“ Er betonte das letzte Wort geradezu vulgär. Sie schlug nach ihm. „Ja“, lachte er, indem er ihren Arm auffing, „das wird mich teuer zu stehen kommen, du Feurige. Ich weiß es und bestehe darauf.“ Er zog sie an sich und sie ließ sich küssen. Eins führte zum anderen. Sie unterwarf sich mit Worten, für die sie errötete. Nichts brachten ihn mehr zum Lachen und in Fahrt als ihr Mangel an Selbstachtung. 

Kerstin ahnte nichts davon. Wirklich? Sie hatte unter der leichten Berührung dieses Mannes gezittert, als drohe er ihr mit Schlägen. Warum er sie wählte? War es bloßer Zufall, der ihm eine Frau zuführte, die Sabia gekannt hatte, als sie noch die Bohnenstange gewesen war? Spürte er, der Erfahrene und Gewiefte, sofort, dass die Verletztheit und die Verletzlichkeit seiner Geliebten nicht heftiger zu steigern waren als durch die Konkurrenz mit einer, die sie in ihrer mit so viel Aufwand zum Verschwinden gebrachten jugendlichen Unschönheit noch gekannt hatte? Oder sah er in der herben Frau, in unserer Kerstin, die so gar nichts mit der betörenden und verstörten roten Hart gemein zu haben schien, etwas, das uns all die Jahre entgangen war?


Kerstin war eine Mitläuferin. Immer dabei, nie beachtet. Still behütet. Ein unscheinbares, blasses Gesicht, kantige, aber geradlinige Züge, die an einem Mann sogar schön gewesen wären. Sie wirkte patent, klar, schlicht. Dabei klug. Klassenbeste. Prädikatsexamen. War nicht von zu Hause ausgezogen, sondern hatte sich im Parterre des Elternhauses eine Wohnung ausbauen und einrichten lassen bis sie den Richter heiratete. Ein zurückhaltender, höflicher Mann, viel beschäftigt. Mit dem baute sie ein Haus am Kirchberg, das beider Charaktere widerspiegelte: Modern, geradlinig, zugeknöpft. Nur die Hinterseite zum Garten hatte große Glasfenster. Über die Ehe hätten wir nichts zu sagen gewusst. Auch die Putzfrau konnte keinen Tratsch beitragen. Alles harmonisch – und öde, irgendwie. Nur ihre Freundschaft zu Klaus, dem schönen Klaus mit K, nicht dem politischen Claus mit C war rätselhaft intim. Die beiden waren schon in der Oberstufe unzertrennlich gewesen, aber niemals ein Paar. Wir vermuteten (in den frühen 90ern begann man bei Männern offen darüber zu reden, mit leicht anzüglichem Schmunzeln bisweilen) der schöne Klaus sei schwul. Das erwies sich als Irrtum, zumindest vordergründig, als er nach Italien auswanderte um einer dunkelhaarigen Schönheit willen. Diese Ehe ging schief und seit Jahr und Tag war der Klaus wieder da, hatte die Malerwerkstatt von seinem Vater übernommen und die Freundschaft mit Kerstin erneuert. Der Richter, häuslich veranlangt, schien nichts dagegen zu haben. So war es auch der schöne Klaus gewesen, der Kerstin zu jenem Konzert begleitet hatte, von dem aus die Katastrophe ihren Lauf nahm.


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* DREI SABINEN ist der (Arbeits?-)Titel eines Romanprojektes. Sein Ausgang nimmt es von hier:
- einer Wanderung durch den Märchenwald: KEIN STEG UND KEINE BRÜCKE
und hier:
und hier:
Wie alle meine Erzählungen hat auch diese vom Anfang her keinen "Plot". Mir erscheinen Bilder. Und Figuren. Drei Sabinen: die Bohnenstangen-Sabine, die kleine Sabine, die Rapunzel-Sabine. Und was aus ihnen wurde. Kinder in den 70er Jahren, die Rollschuh fahren und Brause schlecken. Ein Wehr. Disco. Der politische Claus mit C., der einmal ganz anders war, mopsig fast, bevor er gefährlich wurde. Ein paar Szenen. Unterhaltungen zumeist. Mittelgebirgslandschaft. Ein blutiger Finger, abgerissen, am Straßenrand. Der schöne Klaus mit K. Wiederbegegnungen in der Gegenwart. Unserer.
Ich erzähle diese Roman-Episoden aus der Perspektive eines "Wir". Ich weiß nicht, ob das durchzuhalten ist. Und warum es so sein muss. Noch nicht. 

Bisher:

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