Ruhm und Schande
ein Gastbeitrag von MOREL
Ruhm ist laut Balzac ein Gift, das der Mensch nur in kleinen Dosen verträgt. William Zantzinger und Robert Zimmermann haben beide ihren Anteil an diesem Gift genossen. Als sich ihre Wege kreuzten waren sie noch jung: William Zantzinger, ein 24jähriger Tabakfarmer, Robert Zimmermann unter seinem Künstlernamen Bob Dylan ein 22jähriger, aufstrebender Protestsänger.
Dylan ist bekanntlich Goethe, ein stetig wandelndes Phantom, das zu viele Masken getragen und wieder abgelegt hat, um sich noch an ein Leben erinnern zu können. Besonders reizvoll daher die Lektüre seiner autobiographischen Chronicles, die alles sind nur keine Chronik, Dichtung und Wahrheit eben in einem unklaren Mischungsverhältnis. Da der Meister selber so unzuverlässig ist, hat sich naturgemäß eine Dylan-Philologie herausgebildet, für die ein Universitätsabschluss aber eher hinderlich ist. Wichtiger ist der Besuch von Plattenflohmärkten, der Erwerb und die Weiterverbreitung illegaler Bootlegs und ausreichende Mittel, um sich auch noch den nicht abreißenden, regulären Output Dylans ins Haus schicken zu lassen. Außerdem sollte man alle Internetseiten kennen: von Isis über den täglichen News-Service Expecting Rain bis zu Dissidenten wie Right-Wing-Bob, der Dylan mit guten Argumenten für die Konservativen beansprucht.
Clinton Heylon hat dieses Studium absolviert und sich mit einer Biographie über Dylan habilitiert. Nun beschert er der Dylan-Gemeinde den historisch-kristischen Anmerkungsapparat zu den 2004 erschienen Lyrics 1962 – 2004 (Revolution in the Air. The Songs of Bob Dylan Vol.1: 1957 -73). Wie alle Philologen darf er mit dem Objekt seiner Liebe nicht zu zimperlich umgehen: Entmythologisierung und Historisierung heißt hier das Programm. Welcher Song wurde wann geschrieben. Auf Grundlage welcher Quellen. Wo kommen die Melodien her, und wo die Ideen für Themen. Welche apokryphen Texte dürfen in den Kanon aufgenommen werden, welche eher nicht. Also ein großer Spaß für Bibelforscher und Historiker, alle anderen sollten lieber die Finger von diesen Büchern lassen.
Auch auf William Zantzinger kommt Heylin zu sprechen. Denn Dylan hat ihn mit einem Song unsterblich gemacht, vielleicht sogar nur mit der ersten Zeile von The Lonesome Death of Hattie Carroll
William Zanzinger killed poor Hattie Carroll
Nun, folgt man Heylon, ist es nicht nur das aus guten juristischen Gründen fehlende “t”, das an diesem Satz nicht stimmt. Dylan hat die Geschichte von Hattie Carroll in der Zeitung gelesen. Am 8. Februar ging Zantzinger schon betrunken auf einen Faschingsball in Baltimore. Dort begann er nach Mitternacht eine farbige Küchenhilfe, Hattie Carroll, zu beleidigen und mit einem Spielzeugstock zu schlagen, weil er glaubte nicht schnell genug bedient zu werden. Fünf Minuten später erlitt Hattie Caroll einen Schlaganfall, an dem sie acht Stunden später starb (und nicht wie erste Zeitungsartikel und Dylans Song nahelegen unmittelbar an den Schlägen Zantzingers). In der Folge wurde Zantzinger, ein unsympathischer Rassist, der auch seine Frau verprügelt hat, des Mordes angeklagt. Das Gericht verurteilte ihn aber nur für Totschlag zu sechs Monaten Gefängnis. Dieses Urteil war der Anlass für Dylans Song. Der Bericht, den Dylan über diesen Vorfall las, war allerdings weniger akkurat, als die z.B. heute in der englischsprachigen Wikipedia zu findende Zusammenfassung. Doch Dylan hätte sich für differenzierte Darstellungen nicht interessiert. Er nutzt den am stärksten skandalisierenden Artikel, um einen Song zu schreiben, den der Literaturkritiker Christopher Ricks (Dylans Visons of Sin) zu seinen besten zählt. Damit erhöhte er die Strafe für Zantzinger von sechs Monaten auf „lebenslange Schande“ (Wikipedia) Zantzinger starb 2009. Den Song singt Dylan manchmal auch heute noch auf Konzerten. Denn vor dem Gift seines Ruhms flieht er, indem er auch noch mit fast 70 Jahren jeden Tag in einer anderen Stadthalle auftritt.
Poetische Gerechtigkeit? Zantzinger wird vergessen werden, Dylan irgendwann auch, aber der Song wird vielleicht bleiben. Dann aber nicht, weil er die Erinnerung an etwas wach hält, was tatsächlich passiert ist. Bei The Lonesome Death of Poor Hattie Caroll handelt es sich um miesen Journalismus. Und dies ist auch politisch nicht zu rechtfertigen, wenn es einem vermeintlich guten Zweck dient. Wer die Wirklichkeit ändern möchte, sollte sie zumindest kennen wollen. Aber Dylans Song ist mehr als Journalismus. Er lenkt den Blick in der letzten Strophe auf den Richter und sein Scheitern. Diese scheiternden, betrunkenen und korrupten Richter kommen auch später immer wieder bei Dylan vor. Ebenso wie der „judgment day“, an dem wir uns rechtfertigen müssen. Einen Teil seiner Kraft bezieht das Lied über Hattie Carroll aus dem Eigensinn, mit dem es an einer Gerechtigkeit festhält, an der unsere instutionalisierte Rechtsprechung scheitern muss.
Ha! Das ist ja was für mich als eingeschworenen Dylan-Fan. :-)
AntwortenLöschenLiebe Iris! Morel ist auch ein Dylan-o-loge! Vielleicht solltet ihr Euch mal austauschen? - Weißt Du was ich schade finde: Bei youtube gibt´s von "She´s a big girl now" nur Cover-Version von schlecht Gitarre spielenden Möchte-Gern-Dylans.
AntwortenLöschenMelusine