Dieser Text (oder eine Version davon) gehörte ursprünglich zum 2. Teil der Kolumne Körper-Sprache, für die ich die Haltung der von Chodowiecki dargestellten Paare mit meinem eigenen Körper lesen wollte. Eine Begegnung im Park – das muss ich mir, dachte ich, gar nicht vorstellen, ich kann es direkt beobachten. Ich traf mich in jenen Tagen, als ich daran schrieb, mit einem Freund. Wie wir aufeinander zugingen, wie wir Blickkontakt suchten, uns zueinander stellten und umarmten, wollte ich mir merken, um es mit der Haltung der Dargestellten bei Chodowiecki zu vergleichen.
Erst später erkannte ich, dass diese Begegnung mit den dargestellten Treffen nicht zu vergleichen war: denn weder nehmen wir beide erotisches Interesse aneinander noch sind wir (in einander) verliebt. Was ich beobachtet hatte, hätte mithin den Rahmen des Kolumnenbeitrags gesprengt. Für mich war es dennoch interessant.
BERÜHRUNGSSCHEU
(tausendmal geübt, immer noch nicht gekonnt...)
K. und ich kennen uns seit 28 Jahren. Wir stehen uns nah. Wir können einander Geheimnisse anvertrauen, von denen außer uns beiden keiner weiß. Am Anfang unserer Freundschaft (wir waren 17 Jahre alt), scheuten wir jede Berührung. Wir verbrachten Tage (und manchmal Nächte) miteinander, wir kochten zusammen und quatschten bis tief in die Nacht, aber wenn sich zufällig unsere Füße unter der Decke, die wir teilten, berührten, zuckten wir aufgeschreckt zurück.
Später, als wir beide „in festen Händen“ waren, wurde es einfacher. Berührungen waren jetzt weniger erschreckend. Wir suchten sie nicht, aber wir vermieden sie auch nicht mehr peinlich. Seit einigen Jahren ist jedoch eine Veränderung eingetreten. Es ist schwer, das zu erklären. Ich stelle fest, dass wir einander nun häufiger anfassen: um uns zu zeigen, wie etwas geht, wenn wir zusammen Sport machen oder Ball spielen, aber auch wenn wir uns begrüßen oder verabschieden. Wir gehen der Berührung nicht mehr aus dem Weg. Wir suchen sie. Aber wir sind unsicher: Wie fest drücke ich, wie lange halte ich, wie zart streichle ich? Wir wollen uns jetzt, denke ich, auch körperlich zeigen, was wir einander bedeuten. Aber es ist schwierig, das richtige Maß zu finden.
Es gibt viele Weisen, sich zu umarmen. Heutzutage, in der Bussi-Kultur, ist es üblich geworden, selbst völlig Fremde herzlich mit so einer Ein-Arm-Umarmung zu begrüßen, Küsschen in die Luft, links, rechts. Ich hatte unter Hugs 1 geschrieben, dass ich das nicht so mag. Das war kein Witz. Ich unterwerfe mich der Konvention, ich kränke niemanden (naja, fast niemanden!), indem ich diese Art der Umarmung verweigere, aber ich selbst würde sie niemals von mir aus wählen, dieses Anfassen ohne innere Beteiligung. Berührung ist für mich immer „anrührend“. Und von jedem will ich mich halt nicht anrühren lassen.
In eine Berührung will ich legen, was ich empfinde. Solche Differenzierungen werden schwieriger, je üblicher das Berühren wird. Zum Beispiel folgende Situation: Ich war mit K. und einem weiteren Freund aus, wir hatten einen lustigen Abend, die beiden begleiten mich zum Bahnhof. Wir verabschieden uns. Der Freund (den ich mag, aber nicht so, wie ich K. mag) umarmt mich und küsst mich auf die Wange. Dann stehen K. und ich uns mit hängenden Schultern gegenüber. Wir wollen uns jetzt zeigen, dass wir uns näher stehen. Ich lege meine Hand auf seinen Oberarm. Er fasst mich um die Taille und zieht mich zu sich heran. Ich lege ihm beide Hände in den Nacken und schmiege meine Wange an seine. Er kratzt mit seinen Bartstoppeln über mein Gesicht. Wir lösen uns voneinander, starren auf den Boden. Auch der Freund hat es gemerkt, räuspert sich und blickt konzentriert beiseite auf eine Leuchtreklame. Dann schauen wir hoch, grinsen uns an. „Wir sehen uns.“ „Ich ruf dich an.“
Wir üben noch. Wie das geht. Das richtige Berührungsmaß für unsere Art Freundschaft. Das ist nicht leicht. Man kann sich dafür nicht aus der Kunstgeschichte oder in Hollywood-Filmen bedienen. Heterosexuelle Freundschaften sind kein häufig vorzufindender Darstellungs- oder Erzählgegenstand. Allenfalls in der Version: „Tausendmal berührt, tausendmal is nix passiert...“. Das ist aber eine, die wir nicht wollen.
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