Was nicht zusammen gehört:
Erbschädigung in Fallujah. Audrey´s funny face. Schön Sterben und ein Teppich. Gesunde Freunde. Ein "deutsches Gen". Bahn und Revolte.
Als ich studierte, galt Marshall McLuhans Satz: "The medium is the message." als unumstößliche Erkenntnis. Kein Inhalt, der nicht durch das Medium, das ihn transportiert, geformt, verformt, korrumpiert werde, ja eigentlich gebe es keinen Inhalt, der nicht das Medium sei. Heute sehe ich das anders: Es gibt Inhalt und es gibt Medien und Formen; sie sind nicht unabhängig von einander, aber sie sind auch nicht identisch. Sonst könnte ich z.B. niemals das Gefühl haben, dass ich nicht hätte ausdrücken können, was ich ausdrücken wollte. Dieser Eindruck setzt ja einen vorsprachlichen "Inhalt" voraus, den ich transportieren will. Mit McLuhans Satz verbunden wurde eine häufig unterreflektierte Kritik an modernen Massenmedien, die durch das Nebeneinander von E- und U-Gehalten alles "entwerteten". Natürlich: Das gleichgewichtige Darstellen einer Begegnung mit dem Rapper Dizzee Rascal, den Modetrends des kommenden Herbstes und der Ölkatastrophe im Golf von Mexico (so z.B. in der Wochenendbeilage des "Guardian" vom 31.07. 2010) kann auf den ersten Blick obszön erscheinen. Aber ist es das wirklich? So leben wir doch: Wir denken nach, wir kochen, wir kleiden uns, wir richten die Haare, wir haben Sex, wir lachen, wir weinen, wir diskutieren und schreiben und scheißen. Aber zusammen stehen soll das nicht. Schön getrennt bitte: "Seriöses" und "Unseriöses".
Es gibt Obszönität in den Massenmedien, zweifellos: Immer dann, wenn auf billige Weise Tränendrüsen angesprochen werden. Über die Ölkatastrophe beispielsweise soll so berichtet werden, dass ich ihre Ursachen und Konsequenzen bedenken kann, nicht so, dass ich losheule und den Opferstatus kultiviere. Danch dann kann und darf und muss ich auch darüber nachdenken können, was ich heute koche.
Es gibt Obszönität in den Massenmedien, zweifellos: Immer dann, wenn auf billige Weise Tränendrüsen angesprochen werden. Über die Ölkatastrophe beispielsweise soll so berichtet werden, dass ich ihre Ursachen und Konsequenzen bedenken kann, nicht so, dass ich losheule und den Opferstatus kultiviere. Danch dann kann und darf und muss ich auch darüber nachdenken können, was ich heute koche.
Nachfolgend das letzte Reisejournal, eine Zusammenstellung von Zeitungsschnipseln aus britischen Zeitungen und meiner Reaktionen auf sie vom 24.-31.07.2010:
Independent, 24. Juli 2010
US-Bombenangriff auf Fallujah 2004:
Schlimmer als Hiroshima
Schlimmer als Hiroshima
Im Independent vom Samstag, 24. July 2010, berichtet Patrick Coburn unter der Überschrift „Toxic legacy of US assault on Fallujah worse than Hiroshima“ über die Folgen des US-Bombenangriffs auf Fallujah von 2004. Cockburn gibt die Aussagen irakischer Ärzte wieder, die einen Anstieg der Krebserkrankungen um das 4fache, bei Kindern sogar um das 12fache beklagen. Ein Indiz für eine Schädigung des genetischen Erbmaterials sei die Veränderungen des Geschlechterverhältnisses bei Neugeborenen. Während normalerweise auf 1000 weibliche Neugeborene 1050 männliche kommen, seien es in Fallujah und Umgebung nur noch 850. Eine ähnliche Veränderung wurde in Hiroshima beobachtet. Dies ist darauf zurückzuführen, das Schädigungen des Erbmaterials sich häufiger auf männliche Föten auswirken.
Observer, 25. Juli 2010
Definitely – she´s the one: Audrey Hepburn on the set of Funny Face, 1956
Bert Hardy hat diesen Schnappschuss von Audrey Hepburn aufgenommen, der in The New Review, der Wochenendbeilage des Observer vom 25.07. 2010, abgedruckt war. Peter Conrad zitiert Roland Barthes, der festgestellt hat, dass Greta Garbos Gesicht eine Idee war, das von Audrey Hepburn aber ein Ereignis. Die Idee, sagt Conrad, in Garbos Fall sei eine Platonische gewesen, ein abstrakter Traum von Perfektion. Das Ereignis beziehungsweise die Ereignisse dagegen seien die Gedanken und Gefühle, die wie das Flackern magischer Laternen über die rätselhaften Züge von Hepburn tanzten: „a uniquely funny face.“
The Guardian, 26. Juli 2010
Carola Hicks died
Ich lese im Guardian, dass Carola Hicks schon am 23. Juni gestorben ist und nun ihr Gedenkgottesdienst stattfinde. Von ihrem Tod hatte ich nichts gelesen. Vielleicht habe ich es überlesen als kleine Notiz in einer deutschen Zeitung. Ich nehme mir vor im Blog einmal über ihre wunderbare Biographie des „Teppichs von Bayeux“ zu schreiben, die 2006 auf Deutsch erschien (ja, richtig: die Biographie eines Teppichs). Sie starb, schreibt der Guardian, wie sie gelebt habe: Stylish, zu Hause in ihrem Bett, mit einer Rose auf dem Kopfkissen. So möchte ich auch sterben, mit Stil, meine ich, auf die Rose könnte ich verzichten, auch zu Hause müsste es nicht sein. Besser in einem altmodisch-noblen Hotel, vielleicht in Lake Placid, in einem der Holzsessel auf der Terrasse, im Rücken zwei dicke, buntkariert bezogene Kissen und eine Patchworkdecke über den Knien.
The Guardian, 28. Juli 2010
Being lonely is as bad for your health as smoking 15 cigarettes a day
Wer sich mit einem kleinen Kreis enger Freunde verbunden weiß, erläutert Ian Sample im Guardian vom 28. Juli 2010, tut mehr für seine Gesundheit als durch Diäten, Verzicht auf Alkohol oder Zigaretten zu erreichen ist. Freunde verbesserten die Gesundheit auf mannigfaltige Weise, vor allem weil diejenigen, die enge Bindungen eingingen, auch besser für sich selbst sorgten. Da aber aus dieser Tatsache durch die Gesundheitsindustrie – anders als bei Diäten (Pillen, Diätnahrungsmittel, Diät-Manager und –Berater), Rauchen (s. Pflaster für Sherlock, Entwöhnungsprogramme) oder Alkohol (Beratung, Ersatzdrogen etc.) wenig zu verdienen ist, wird das Thema (noch) nicht entsprechend in der Presse aufbereitet.
The Guardian, 29 Juli 2010
Anger among feminist groups
Bertrand Cantat, der die Schauspielerin Marie Trintingant erschlug, berichtet Lizzy Davis aus Paris, wird nach 4 Jahren Gefängnis freigelassen. Cantats Fans erhoffen sich ein Comeback des Stars von Noir Désir.Nicht alle aber sind begeistert über Cantats vorzeitige Entlassung aus der Haft. Nicht nur Familie und Freunde von Trintingant, sondern auch die Eltern und Freunde seiner Frau, die sich im Januar erhängte, seien wenig erfreut. Kristina Rady, die Mutter der beiden Kinder von Cantat, die er wegen Trintingant verlassen hatte, stand während des Prozesses zu ihm und nahm ihn wieder auf, als er als Freigänger das Gefängnis zeitweise verlassen konnte. Wenig später jedoch erhängte sie sich im Alter von 41 Jahren. Radys Eltern gaben ein Interview im Le Journal du Dimanche, indem sie berichteten, das Leben mit Cantat sei für ihre Tochter ein Alptraum gewesen. Sie habe ihn verlassen wolle, jedoch habe er ihr gedroht, etwas Fürchterliches werde passieren, wenn sie gehe. Die Freilassung Cantats zeige, meinen französische Feministinnen, die Einstellung der französischen Justiz gegenüber „häuslicher Gewalt.“
The Guardian, 30 Juli 2010
Das „deutsche Gen“ // Britain strikes gold in search for the perfect excuse
Die Olympischen Spiele 2012 sind in britischen Medien schon jetzt ein wichtiges Thema. Das Abschneiden der britischen Leichtathletikmannschaft bei den Europameisterschaften in Barcelona wird daher besonders kritisch beoachtet. Guardian-Sportkoluminist Harry Pearson stellt dar, welche Entschuldigungen man hören wird, wenn die britische Mannschaft 2012 die Erwartungen enttäuscht: „The new Olympic 2012 will fuse traditional British cast-iron reasoning such as ´It was too hot and the food was very greasy´and modern cutting-edge excuse technology such as ´Genetic scientists have proven that British people lack the so-called coming-first chromosome, which is present in 97% of all German´s.“
The Independent, 31. Juli 2010
Has Europe´s rail revolution hit the buffers?
Ich fahre gerne mit dem Zug. Mit Zügen und Gleisen hatte dieses Blog von Anfang an zu tun. (Ich plante sogar, dass jeder Post Züge, Gleise und/oder Bahnhöfe erwähnen sollte. Das habe ich nicht durchhalten können). Gleisbauarbeiten: Ich fahre selten mit dem Auto. Ich vermeide Fliegen (meistens). „This is the age, we are frequently reminded, of the train.“, schreibt Simon Calder in der Wochenendbeilage „Traveller“ des Independent. Na also, denke ich. „Across Europe, the story goes, that railways are set to eclipse the airways.“, fährt er fort. Zufrieden will ich mich zurücklehnen, in der Bahn, in der ich sitze, auf dem Weg von Penzance nach London. Aber der Artikel geht weiter. Calder erzählt von fast leeren Zügen in Holland. Diesen Sommer seien wie in jedem Jahr die Interrailer in Europa unterwegs und verwandelten die Abteile der transnationalen Züge in Schlafsäle. Doch müssten sie feststellen, dass die Finanzkrise sich in den neuen Fahrplänen durch die Streichung von Verbindungen niederschlage: Die Verbindung zwischen dem Fährhafen Rosslare und Waterford in Irland solle aufgegeben werden, es gebe keine grenzüberschreitenden Züge mehr zwischen Polen und der Slovakei, deutlicher noch sei es in Griechenland, wo der Staatsverschuldung und den Sparmaßnahmen viele Routen von Thessaloniki aus zum Opfer gefallen seien. Und im Winter werde es noch schlimmer: der Schlafwagen zwischen Warschau und Minsk in Weißrussland falle weg.
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