Mittwoch, 25. August 2010

WEG MIT DEN MÜTTERN: Die Selbstgeburt des Künstlers

Ausscheidungen, schleimige Hottentotten, laufende Nasen, lange Fingernägel

Die erste Frau des männlichen Kindes, die ihn das Sprechen lehrt (Muttersprache), damit er sich ein Land erobern kann (das des Vaters) wird verherrlicht im Mutter-Mythos, der in ihr die Ur-Natur verkörpert sieht, in der er geborgen war und wohin ihn ein Verlangen immer wieder zurückzieht. Gleichzeitig ist klar: diese Mutter muss weg. Denn in ihr ist nicht nur Ur-Vertrauen, Hinwendung und Wärme verkörpert, sondern auch Geburtsschmerz und Todesnähe. „Natur“ halt, die ewige Kränkung des schöpferischen Herrn.

Um die „Verwerfung der Mütter“ geht es in vielen Selbst-Schöpfungs-Mythen der Kunst (ein Denk-Bild von Benjamin zitierte ich schon in diesem Zusammenhang). Auch Lessing hat sich hier – an bezeichnender Stelle – eingebracht: in seinem berühmten Laokoon-Text, in dem es  vordergründig darum geht, die Unterschiede zwischen bildender Kunst und Literatur herauszuarbeiten, der zugleich aber – in einer tieferen Textschicht -  die Schmerzen der Selbst-Geburt des männlichen Künstlers in der Moderne nachzeichnet. Lessing entzündet seine Diskussion der Darstellungsverfahren bildender Kunst  und Poesie am Bild der Schlange, die Laokoon und seine Söhne umschlungen hat. Wie diese Schlange, so windet sich auch der Lessingsche Text. Er ist geprägt von einer Abwehr gegen die sich schon abzeichnende Aufwertung der Bilder und die Abwertung Schrift im Laufe des 18. Jahrhunderts. Gegen die behauptete statische Schönheit der bildenden Kunst setzt Lessing das Prozesshafte literarischer Darstellungsformen. Dieses Prozesshafte versucht der Text in seiner Form abzubilden.

Im Exkurs über „die Schönheit“ wird wortreich aus der „Schönheit“ der klassischen Kunst alles ausgeschlossen, womit sich der Text selbst unablässig befasst: Kotmaler, die Hässlichkeit moderner Kunst, Abschweifungen und Abweichungen. Statt auf die Schönheit richtet sich der Text Lessings geradezu auf „alles andere“. Damit weist er in seiner Struktur die Unmöglichkeit der behaupteten Gesetzmäßigkeit von Schönheit in Bild und Text nach. Im Text geht es immer wieder um Ausscheidungen, schleimige Hottentotten, laufende Nasen, lange Fingernägel, um alles was eklig und nicht schön ist. Dies Eklige wird von Lessing in doppelter Weise „heraus gebrochen“: als analytisches Verfahren und als quasi-körperliche Ausscheidung, als Erbrechen. Der Text macht sich die Geste der Analyse, der Gliederung zu eigen, die er in der bildenden Kunst als eklige Zergliederung, als Fragmentierung der Körper nachgewiesen hatte. Der Fragment gebliebene Text Lessings verwirft also fragmentierte Körper.


Unvermittelt ist dann plötzlich auch von Müttern die Rede: „Bei uns scheint sich die zarte Einbildungskraft der Mütter nur in Ungeheuern zu äußern“. Zuvor handelte der Text von den Wirkungen der Künste, davon wie in klassischen Zeiten die Bilder die Körper und Seelen bildeten. In der Gegenwart aber sieht Lessing Mütter Ungeheuer gebären. Die männliche Einbildungs- und Schaffenskraft erzeugt „schöne Kunst“, während Frauen monströse Missgeburten ausstoßen. Die Schöpfungskraft des Mann-Künstlers geht bei Lessing (und nicht nur bei ihm) aus einer Verwerfung der gebärenden Mütter hervor. An die Stelle der Mütter soll die (väterliche) Gesetzmäßigkeit der Kunst treten. Doch in Lessings Text bildet sich diese Gesetzmäßigkeit im Bild der Schlange, als verschlungenes, unbeendbares, selbst „verworfenes“ Fragment ab. Erst nach Lessing, als es der Kunst nicht mehr darum geht, die leiblichen Söhne und Töchter zu bilden (nach der Wirkungsästethik also, deren letztes Aufbäumen Lessing hier vorstellt), können die ungeheuerlichen Mütter im Akt einer Selbst-Schöpfung des Künstlers angeeignet und beseitigt werden. Der von Lessing noch gemiedene weibliche Körper (siehe die Wahl des Gegenstands: der Laokoon) wird dann zum Ausdrucksmedium männlicher (Selbst-) Schöpfung.

Es ist viel Großes und Schönes und Schreckliches entstanden aus diesem Akt der Selbstgeburt. Das „Ungeheuer Mutter“, das die körperliche Abhängigkeit bedeutet, den Schmutz, die Sekrete, das Blut und das Wissen um die Endlichkeit wird entsorgt, damit Autonomie und Werk entstehen können. Jedes Schreiben und Bilden ist ein Aufstand gegen den Tod, der in der leiblichen Geburt so präsent ist.

Ich bin Mutter. Und ich habe, wie Eva prophezeit wurde, unter Schmerzen geboren. Da waren Blut und Schleim und Schweiß und Angst und der Tod nur einen Atemzug entfernt. Ich will mich nicht verwerfen. Und nicht verworfen sein. Ich bin die Tochter, die eine Mutter geboren hat. Aus dieser Herkunft „befreie“ ich mich nicht. Die Mutterlinie – ungekränkt, unmännlich. Schön.  Und endlich.

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