Montag, 18. Oktober 2010

PUNK PYGMALION (1)

Wenn drei Frauen in der Kneipe zusammen sitzen, wird nicht zwangsläufig über Männer geredet. Es kommt aber vor. Wenn sich drei Freundinnen treffen, die sich selten sehen, aber schon lange kennen, geht es – falls es um Männer geht – oft um ehemalige Geliebte, um solche die eine Wendung im Leben verursachten oder eine Möglichkeit gewesen wären, die ungenutzt blieb, zum Beispiel. An jenem Abend in der Kneipe am Prenzlauer Berg fragte Emmi, nachdem die Essteller weggestellt und die harten Drinks geordert waren: „Erinnert ihr euch noch an Ansgar?“ „The rough guy.“, sagte ich. Emmi lachte. „Genau.“ Azar war desorientiert. „Der Hamburger, der in Kopenhagen lebte. Er hat mich auf Facebook gefunden“ „Echt?“ „Ja, er hat´s geschafft. Als Bildhauer meine ich. Ansonsten....“ „Erzähl...“ Emmi und Ansgar hatten, erinnerte ich mich, in den 80er Jahren eine heftige Go-on-go-off-Affäre. „Und – wie ist er so?“ „Ganz nett“, sagte Emmi. Sie schaffte es, die zwei Worte vieldeutig klingen zu lassen. Wir sprachen an den Abend nicht mehr viel über Ansgar. Wir sprachen darüber, wie jede von uns durch die Männer in ihrem Leben gelernt hatte, wie wir deren Wissen und Können aufgesaugt hatten. „Wenn ich liebe“, sagte Emmi, „dann interessiere ich mich für alles, was den interessiert, den ich liebe.“ „So war es mit der Musik.“ „Genau. Aber auch mit den Bildern, der Literatur, Chemie und Medizin...“ „Es ist immer noch so. Leerverkäufe zum Beispiel.“  Azar lachte. „Umgekehrt nicht.“  „Wie meinst du das?“ „Sie interessieren sich nicht für das, was uns interessiert.“ „Nein, stimmt. Sie interessieren sich für das, was sie mit uns machen können.“ „Pygmalion.“, sagte Emmi.

Ein paar Tage später rief sie mich an: „Beim Packen der Umzugskisten habe ich Ansgars Briefe aus den 80er Jahren an mich gefunden. Punk Pygmalion. Könntest du in deinem Blog veröffentlichen. Ein Briefroman. Und ein Bildungsroman, wenn du so willst. Allerdings: meine Antworten habe ich nicht mehr.“ „Vielleicht“, sagte ich, „ist gerade das reizvoll.“ „Ja, eine männliche Perspektive.“ Ich lachte: „Die fehlt mir total.“ Heute Morgen schickte Emmi den ersten der Briefe und eine Zeichnung als Scan*:


September 1983

Kare EMMI,

als ich gestern ankam, fand ich deinen Brief und ich fühlte mich schuldig und traurig, dass ich so zu dir gewesen bin...Scheiße! Deshalb setze ich mich gleich hin und schreibe dir, um es wieder gut zumachen. Seit du mir geschrieben hast, geht es mir viel besser. Ich bin froh, kannst du mir glauben, dass du an mich denkst, trotz allem: EMMI, MY GIRL.

Von Berlin aus bin ich, nachdem wir uns verabschiedet hatten, über Hamburg zurück nach Kopenhagen gefahren. Ich brauchte 14 Stunden, obwohl ich es nicht geschafft habe, das Nolde-Museum anzuschauen, wie ich eigentlich wollte. Zwei Tage später ging es endlich zum Festival in Roskilde, wie ich Dir erzählt hatte. Wie gerne ich Dich mitgenommen hätte. Du musst (!!!) nächstes Mal kommen. In der ersten Nacht konnte ich meine Freunde nicht finden, das war deprimierend, aber immerhin fand ich einen Platz zum Schlafen. Am Freitag haben wir uns aber alle getroffen und unsere Zelte aufgebaut. Und dann ab zu den Bands: BOWIE  ---Triumf ---- Ich muss dir das alles genau erzählen. Kein Patriotismus (Ich bin ja  gar kein Däne!), aber echt: die dänischen Bands waren die besten, besser als die ganzen großen Namen, außer Bowie natürlich. Ein Haufen Scheiß, fast Schlagermusik. Jackson Brown war total harmlos und mittelmäßig. Mike Oldfield: technisch perfekt, aber kalt und emotionslos. Öde. Rough trade: harmlose Popmusik, wie gesagt.Ich werde dir ein Tape aufnehmen. Aber zuerst schicke ich dir das Band, das ich dir in Berlin versprochen habe: LOU REED – BERLIN. Auf der Rückseite habe ich für dich noch eine dänische New Wave-Band aufgenommen: Klicke. Fantastisch. Die waren auch bei dem Festival. Ihre Show war großartig; sie sehen aus wie die Chef-Jungs unserer Zeit: schwarzer Anzug mit Krawatte. Aber Klicke machen das, um uns den Faschismus der Gegenwart vorzuführen, technologisch und zwischen den Geschlechtern, verstehst du, Emmi? Klicke: das ist purer Minimalismus, kurz, hart,unkomplizierter Sound.

Ich bin froh, Emmi, dass ich dich in Berlin getroffen habe und  dankbar für die Zeit, die wir zusammen hatten. Aber es macht mich traurig, dass Worte und Kilometer uns trennen. Ich kann es nur so sagen: BREAK DOWN THE WALL (Pink Floyd). Ich weiß: wegen der Entfernung und unseren Gedanken und weil du erst siebzehn bist, sagst du, wir haben keine Chance, bitte aber, verschließ dich nicht, Emmi, deine Gefühle nicht, deine Stärke nicht. Bestrafe mich nicht, schreib bald, lass uns versuchen, was geht.

David Bowie sagt: God is a young man (girl), too. WE COULD BE HEROES. Alles ist möglich, Emmi.

Love Ansgar

PS. PUNK´S NOT DEAD! Hab keine Angst vor der Wildheit in der Musik, das macht die Qualität aus. Hör zum Beispiel: Jam oder The Clash („Combat Rock“), das ist einfach (****, kodyl, bred yhum, knakig carse, WOW, nice, fantastic beat, anarchy, friendly of course). Aber sei vorsichtig: Punk ist leider auch Hass, fast Faschismus (Techno-Luxus-Punk), Mode, manchmal zu intellektuell. Meide diese Richtungen!!!

BITTE SCHREIB BALD!!!

 ____________________________

(* Ich werde die Briefe hier zum Teil leicht gekürzt wiedergeben.  Kürzungen werden durch ... angezeigt. Emmi wird sukzessive entscheiden, was veröffentlicht wird. Einige Stellen werde ich herausnehmen, haben wir verabredet, um Emmis Identität zu schützen. Unleserliche Stellen kennzeichne ich mit ***. Außerdem: Ansgar wird, schreibt Emmi in der Begleit-Mail, im Dezember nach Deutschland kommen. "Und: ich bin ja wieder solo.")


Verwandte Beiträge:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen