Über Marjana Gaponenkos "Annuschka Blume"
„Der Mensch ist gut, Piotr Michailowitsch. Das werde ich immerzu sagen, auch wenn mir der Kopf vom Rumpf abgetrennt wird, werde ich es zu meinem Henker sagen: ´Du bist gut, mein Freund.“ Die ist gut, die das schreibt, Anna Konstantinowa, in einem ihrer Briefe an den geliebten Piotr. Ein sonderbares Paar ist das: die ältliche Dorfschullehrerin und der Journalist mit dem Ressort „Visionen“. Sie können zu einander nicht kommen über 250 Seiten, becircen sich und beschwören die Liebe, doch weiß die Leserin schon ganz zu Beginn: Das wird nichts, das endet nicht in einer Umarmung, das endet, wie es begann: in der Phantasie. Denn Piotr Michailowitsch und Anna Konstantinowa sind das Traum-Paar eines ganz eigenwilligen, unzeitgemäßen, flirrend unwirklichen Briefromans, in dem nicht gilt, was ist, sondern was erhofft, erträumt, ersehnt werden kann.
Marjana Gaponenkos „Annuschka Blume“ erzählt die Geschichte einer wechselseitigen Idealisierung, die nicht zurückgeholt wird auf „den Boden der Tatsachen“, sondern traumhaft bleiben darf bis zum Schluss: „Das Blatt Papier, auf dem ich zu träumen schien, zu träumen scheine, dunkelt unter mir. Das ist sicher, ich brauche nicht zu schauen. Ich bleibe liegen, die Backe an den Brief gepresst, an wen schreiben? Und was? Und wie? Mein Gott. Das Zimmer schwimmt, und Fische wirbeln wie im Traum umher, im Traum, im Traum, im Traum!“ Gegen alle Wahrscheinlichkeit und Hoffnungslosigkeit, gegen die traurige Einsamkeit des Alterns behauptet dies Schreiben das Sein der Liebe jenseits der „Fakten.Fakten.Fakten“-Illusionen.
Piotr Michailowitsch ist mit sonderbaren Aufträgen, die er sich selbst erteilt, für seine Zeitung unterwegs, während Anna Konstantinowa daheim bleibt in ihrem ukrainischen Dorf. Zuerst schreibt er ihr aus den Alpen, in die er gereist sei, um „zu beweisen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Steppe und Bergen.“ Solch kühne Überlegungen stellt er an und dann seinem Redaktionsleiter vor, der ihn losschickt, sie forschend zu belegen, jedoch: „Wahrlich, wie im Märchen.“ Dieser „Piotr im Glück“, dem immer alles schief geht, schreibt seiner altjüngferlichen Angebeteten rührende Briefe und weiß noch aus jedem Scheitern ein funkelndes Liebesbekenntnis zu schlagen: „Alles denkt an Sie, Anna Konstatinowa, alles, mein Atem, mein Bein, meine Pfeife. Wenn ich ein Glasauge hätte, würde mein Glasauge an Sie denken.“ Gaponenko lässt Piotr und Anna ihre Liebe durch geradezu naive, altmodische Klischees beschwören, die plötzlich gleich einer Pirouette ins Groteske abdrehen, das aber den Liebesschwur nicht denunziert, sondern sogar noch bekräftigt. Anna und Piotr, die eigentlich versinken müssten, in dem schäbigen prosaischen Boden, auf dem sie stehen: er später im kriegszerstörten Irak, sie in der trostlosen Provinz, lehnen sich in ihren poetischen Liebesbriefen hartnäckig auf gegen die Wirklichkeit: „Mein lieber Piotr Michailowitsch, ich zweifle, dass es Sie gibt. Ich bekommen Briefe von Ihnen, kostbare, herrliche Briefe mit Stempel, mit Briefmarke, Briefe aus einem fernen Land. Es muss Sie also geben. Heute ist mir jedoch als wäre ich Sie. Heute komme ich mir einsam vor und doch so erfüllt, als wären wir zu Tausenden da, ein Schmetterlingsschwarm.“
Während Piotr im Irak vergeblich den Schatz Gilgameschs in der Wüste sucht, lehrt Anna in ihrem Dorf den Kindern Geschichten zu erzählen und statt der Mathematik ihrer Phantasie zu vertrauen. Denn Piotr und Anna wissen: „In jeder Wahrheit steckt ein Stückchen Märchen.“ Denkend und schreibend verlieren Anna und Piotr sich im All, in philosophischen Spekulationen, Legenden und Märchen. Die romantischen Liebenden in ihrer tragischen Unfähigkeit einander zu finden, zünden sich im Norden und im Süden ein jedes für sich ein Pfeifchen an.
Die Poesie des Briefromans, den Marjana Gaponenko erzählt, verweigert sich wie ihre Helden der Geschichte zugunsten der Geschichten. Wie die sich benehmen, als lebten sie außerhalb der Zeit, so schreibt Gaponenko. Auf den ersten Blick wirkt das befremdlich, als könne man heutzutage noch bruchlos in Blütendüften schwelgen und von Seele zu Seele singen. Manchmal meint die Leserin, dass dieser Gestus sich erschöpfe; die Weisheiten der Toren Anna und Piotr lesen sich gar zu naiv. Immer wieder aber kriegt Gaponenko die Kurve und überrascht durch ungeahnte Kontraste. Am deutlichsten wird die bisweilen gar zu süße Sentimentalität der Briefschreiber aufgewogen durch die den Briefen Annas eingeschriebene andere Liebesgeschichte, die der Roman auch erzählt. Ein zweites Paar tritt vor unsere Augen: die alternden Freundinnen, unsere verknöcherte Dorfschullehrerin Anna, die sich in ihren Briefwechsel wegträumt und ihre Nachbarin, die dickliche Goriunowa. Anna und Goriunowa arbeiten zusammen an zwei Tagen in der Woche im Bergbau. Sie stehen einander bei in ihrer Alltagsnot und ihrer Einsamkeit. In einem Schneesturm sagt Anna der Goriunowa alles, „was ich ihr in den langen Jahren erspart hatte.“: „Wir sind Frauen, Goriunowa, auch wenn wir zwei Ackergäule sind. Auch für dich will ich schön sein. Ich will duften nach Rosen, auch wenn weder dir noch mir jemand Rosen schenkt. Ich will den Faden der Poesie nicht abreißen lassen.“ Die prosaische Gemeinschaft der beiden vergessenen Frauen wird von Gaponenko poetisch überhöht. Die Goriunowa weint schließlich, bis „ihr Gesicht völlig vereist war.“
Es ist dies ein schönes Buch. Nicht spannend. Nicht gelehrt. Nicht modern. Auch nicht phantastisch. Sondern: Entzückend. Berauschend. Süß. Phantasievoll. Ein sonderbares Buch, so eigenartig, wie seine Protagonisten. „....ein Scheinschlummerwachleben?“
Gedichte von Piotr und Anna auf inadaequat von Christiane Zintzen: Hier, hier und hier
Homepage von Marjana Gaponenko
Piotr saust mit einer Burka bekleidet durch Iraks Strassen......ein wunderbares Fest ist dieser Roman
AntwortenLöschenJa, ich finde auch, dass es ein wunderbares Buch ist. (Obwohl ich die Burka sonst nicht gerade für schmückend halte; dem Piotr steht sie aber.)
AntwortenLöschenschoen
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