Mittwoch, 24. November 2010

FREMDES GLÜCK

Nun ist der Artikel über mich also erschienen. Zeile für Zeile hatte R.R. mir am Telefon vorgelesen: „Ist Ihnen das recht?“ „Fühlen Sie sich richtig verstanden?“ Er selbst machte den Vorschlag, meinen Namen zu ändern; in dem Artikel heiße ich also weder Melusine Barby noch J.P.. R. hat einen Namen für mich ausgesucht, von dem er sagte: „Das klingt doch schön.“ Es sind meine Sätze, zugegeben, die er dieser F. in den Mund legt; es stimmt (fast) alles und doch liest es sich so, als sei von einer Fremden die Rede. Als ich vor über einem Monat R. und A. in Berlin besuchte, hatten wir uns lange nicht gesehen. Es lagen Krisen hinter mir, von denen sie nur ahnen konnten und auch sie hatten, wie man so sagt, „einiges durchgemacht.“ Ich hatte einen Blumenstrauß gekauft, saß ein wenig angespannt in der S-Bahn und schließlich im Bus, denn dort hinaus, wohin R. und A. vor einem Jahr gezogen sind, gab es in jener Woche wegen Gleisbauarbeiten (!) nur Schienenersatzverkehr. Das hatte ich nicht gewusst und war deswegen besorgt, zu spät zu kommen. Es ging aber gut; den Weg von der Haltestelle in jene ruhige, gepflegte Villenstraße hatte A. mir beschrieben. Als sie die Tür öffnete und mich von oben bis unten musterte, sagte sie: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ Ich war nicht sicher, ob das als Kompliment gemeint war. Es wurde ein schöner Abend. Wir hatten uns viel zu erzählen, von unseren Arbeiten, gemeinsamen Bekannten und über die Bücher, die wir gelesen hatten. Besonders interessiert waren A. + R., die keinen Netzzugang haben und auch keinen wollen, an meiner Schreibweise als Bloggerin. Ich erzählte, wie ich dazu gekommen war, mich „zu vernetzen“, auch von meiner kuriosen Kurzzeit-Sucht bei „Silkroad“, wo ich mich einer Gilde angeschlossen und bereits Level 17 erreicht hatte, bevor ich einsehen musste, dass eine Entscheidung zu treffen war: Silkroad oder Leben. Wir sprachen über unsere Erfahrungen in der Lehre, wie bereichernd es ist, auf diese Weise immer in Kontakt zu bleiben mit den Generationen, die folgen. Wir lachten auch viel, zum Beispiel über die bewunderswerte Kunst mancher Psychotiker, es stets nur genau so weit zu treiben, dass sie  nicht in die Anstalt müssen. Breton, sagte R., habe auch immer sehr darauf geachtet, seinen kleinen Surrrealisten-Trupp auf diesem schmalen Grad zu halten. Jetzt lese ich, Wochen später, in der Zeitung, wie ich auf R. und A. an jenem Abend wirkte: glücklich nämlich.

1 Kommentar:

  1. Liebe Melusine,
    Dein Texteintrag läßt ein wenig dieses "kleine" Glück zwischen den Zeilen aufblitzen!
    Beinahe schon beneidenswert, wie Deine Berliner Bekannten es schaffen, in einer "Netz" freien Zone zu leben... ich könnte es dennoch nicht (mehr) ;-)
    Herzlich Teresa

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