Fortsetzung zu: "Ich küsse mein Leben in dich..." (Die Martenehen)
("Ich küsse mein Leben in dich..." ist ein "Ableger" der Romanerzählung: "Melusine featuring Armgard": Es geht um das, was Melusine zu erzählen hätte: wie sie die Jahrhunderte und Kontinente durchstreifte, die Ozeane der Erde ihr Bassin nannte und jenen immer fand und immer verlor, dessen Erscheinen ihr in der Tiefe verkündet worden war. Hier kommt Heilmann ins Spiel, der wissende Gefährte.)
Noch immer wartete sie auf Nachrichten aus Moskau. Melusine solle begreifen, hatte Heilmann gesagt, dass es vorüber sei. Sie aber sehnte sich nach den weißen Nächten. Sobald der Schnee fiel, überzeugte sie sich gegen alle Wahrscheinlichkeit, es könne doch einmal gelingen. An einer bestimmten Straßenecke, erinnerte sie, hatte der sie vor Jahren festgehalten. Als sie ihm das sagte: „Hier hast du mich immer geküsst.“, tat er, als habe er es vergessen. Vielleicht war alles nur Einbildung. Die Zunge des Vaters meiner Söhne in meinem Mund hat es nie gegeben. „Ein jeder von ihnen trägt ein Mal“, behauptete Heilmann. Da schlug sie ihm ins Gesicht. „Nicht meine Söhne.“ Er zuckte kaum. „Du wirst sie verlieren, wie alle anderen auch.“ „Diesmal nicht“, schrie sie.
Er bat sie nach Rom zu kommen. Wieder einmal. Ich war noch niemals in Rom. Du weißt auch warum. Herrje. Die Unterwelt von London aber hatte sie erkundet. Sie schwamm durch die Themse und nahm sogar die Schleusen. „London wird untergehen, auch die Barrier kann es nicht retten.“ „Das hast du gesehen?“ „Ich war dabei.“ „Doch mich jagst du nach Rom.“ Sie wusste, dass Heilmann Recht hatte. Es gab keinen anderen Rückweg. Doch fürchtete sie sich davor, ihn so hohl und nackt zu sehen. Sie wollte die Illusion erhalten, auf der die Liebe wie auf einem Sockel ruht. In Wahrheit lag Rom längst in Trümmern. Die Barbaren hatten gesiegt. Titten und Ärsche auf allen Kanälen. „Eben drum“, sagte Heilmann. „Drecksack.“
Ich dachte, auch er müsse zurückschrecken. Wie tief hatte er geblickt? Er wusste doch, dass er zu weit gegangen war. Das ihm auferlegte Zölibat zu brechen, dafür musste er büßen. Wie sie für den Verrat. „Nur in Rom verstehen sie, wie es gemeint ist.“ Melusine bevorzugte noch immer Paris. Die Ankünfte am Gare de L´Est, Streifzüge durchs Marais, ihre Nacktheit im Staub unter den Betten schäbiger Hotels. Sie wusste nicht, ob es dort geschehen war. Heilmann tippte auf Warschau. Sie hielt das für eine seiner Lügen, die gute Gründe hatten. „Das Zölibat“, dozierte er, „war im Ursprung nicht als sexuelle Enthaltsamkeit gedacht. Es ging nur um eins: Männer wie ich sollten keine Söhne zeugen.“ Du sollst nicht eindringen. Über diesen Unfug musste sie lachen. Heilmann hätte es besser gewusst, wie meistens, hatte jedoch keine Gelegenheit sie aufzuklären. Seine Augen hatten ihn verraten. Er kannte die Wahrheit über die ewige Gewalt der Mütter. Was die anderen sich verbargen, hatte er gesehen. Wer so tief hinabsteigt, soll einsam bleiben. Heilmann bestritt das. Er sei, wiederholte er gerne, wenn er konspirativ Melusine in Madrid oder Helsinki traf (freilich war das viel früher gewesen), immer schon den schönen Frauen verfallen. Da warf sie den Kopf zurück, lachte. „Dazu bist du gemacht, zweifellos.“ Aber ernst tippte sie mit dem Finger auf das Foto des Knaben, das er in seiner Brusttasche bei sich trug. „Keine darfst du so lieben, dass du ihr ein männliches Kind in den Bauch pflanzt.“ Heilmann verfiel. Er begann zu trinken. Diese Schwester der Fischschwänzigen hatte sich ihm aufgeprägt. Von der kam er nie wieder los. Er wusste das und was er verbrochen hatte. So zerstörte er auch sie. Der Sohn, den er zeugte, trug das Mal der Wassergeschöpfe. Aber keine Drachin würde sein Bett umfliegen. Heilmann schuf das Blaue vom Himmel herunter. So flehte er um Vergebung. „Du weißt“, sagte Melusine, „dass sie nicht entscheiden können. Sie verhandeln nicht. Sie müssen handeln.“ „Mein Kind.“ Eine Träne fiel in seinen Bierkrug. „Ich kann dir nicht helfen.“ Sie griff nach seiner Hand. Ich hätte das niemals erwähnen dürfen: die Schnitte in die Puppe. Er glaubte, das alberne Voodoospiel könne ihn retten. Für diesen Irrtum wird er bezahlen. „Verzeih mir.“
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