von Morel
Die Zeitung stirbt bekanntlich. Wer es nicht glaubt, kann es auf Indiskretion Ehrensache nachlesen. Wir anderen aber stapeln ungelesene Zeitungsseiten in unseren Regalen, um noch bis zu unserem Lebensende darüber Kartoffeln schälen zu können und möglichst lange mit Frühstückslesestoff versorgt zu sein. Denn dem wirklichen Zeitungssüchtigen langweilen nur die Nachrichten vom Tage (heute über grausame Grundschullehrerinnen und gebildete Campingurlauber, und das hat schon fast das Zeug zum Klassiker, eine Meuterei auf der Gorch Fock), während in Wirklichkeit ja nichts faszinierender ist, als die vergessenen, leicht angegrauten Sensationen von Vorgestern.
Mit der Zeitung stirbt aber auch ein literarischer Typus, der uns in vielen Romanen und Hollywoodfilmen Vergnügen bereitet hat: der Journalist (der hin und wieder auch eine Journalistin war, so Katherine Hepburn in Woman of the year, 1942, worüber aber Spencer Tracy gar nicht glücklich war). Hin und wieder waren Journalisten Helden. Aber ganz so abendländisch-kulturgut-mäßig, wie heute der Eindruck erweckt wird (damit wir die Zeitung dann gleich unter Denkmalschutz stellen und mit einem Leistungsschutzrecht subventionieren dürfen), sind Journalisten weder in der Realität noch in allerlei Fiktionen aufgetreten. Ans Herz gewachsen sind sie uns als leicht schmuddelige, versoffene Brummbären, die im letzten Moment, in einem vergessenen Winkel ihres verklebten Schreibtischs ihr Gewissen entdecken und zum ersten Mal im Leben etwas nicht für Geld tun.
Diesem Typus widmet sich der rundum gelungene Unterhaltungsroman The Imperfectionists von Tom Rachman. Er handelt von einer in Rom verlegten Zeitung, die – angelehnt an die allen Godard-Fans aus A bout de souffle bekannte Herald Tribune (für die Rachman als Journalist gearbeitet hat) – sich vor allem an die amerikanische Exilgemeinde in Europa richtet. Dieses Zeitung hält sich nun im neuen digitalen Jahrtausend, natürlich ohne einen vernünftigen Internetauftritt, nur noch mehr schlecht als recht am Leben (zumindest bis zum Ende des Buches, wenn es lakonisch vom „paper“ heißt: „Now it was gone.“). Gar nicht so wenige Unterhaltungsromane, das nur beiseite, sind schlauer als viele Hochliteratur, so wie viele B-Movies bessere Ideen haben als die Oscarpreisträger des Jahres oder die Favoriten der Arthouse-Kinos. Rachman jedenfalls hat eine gute Idee (und die führt ihn zu einer Menge hochkomischer und tieftrauriger Geschichten): jedes Kapitel seines Romans wird aus der Perspektive einer Figur erzählt. Das ist natürlich aus den zahlreichen Episodenfilmen der letzten Jahre oder vielen Fernsehserien bekannt. Dort aber müssen sich alle dem mehr oder weniger gleichmütigen Objektiv der Kamera stellen, während in der Literatur die Personen in ihrem Übermut, ihrer Arroganz, ihrem Verfolgungswahn und ihren Schwächen dargestellt werden können. Das gelingt Rachman fast in jedem Kapitel: der 70jährige Pariskorrespondent, der einen Scoop erfindet und ihn seinem Sohn in die Schuhe schiebt; die Schlußredakteurin, die den Verleger auf der Straße unflätig beschimpft und eine Silvesternacht lang mit ihrer Entlassung rechnet; im letzten Kapitel schließlich dieser Verleger selbst, der – ein kleiner Hat-Tip zum Kollegen Thomas Mann – mit Hund Schopenhauer durch die Villa seines Großvaters zieht und am liebsten gar nichts mit der Zeitung zu tun haben möchte. Schopenhauer, der alte Pessimist, nimmt auch kein gutes Ende. Das komischste Kapitel (für alle die nur eines lesen wollen) ist „The Sex Lives of Islamic Extremists“. Hier möchte Winston Cheung, der eigentlich Biologie studiert hat, in den Journalismus einsteigen, weiß aber nicht wie. Die Begegnung mit dem so überheblichen wie durchgedrehten Kriegskorrespondenten Rich Snyder in Kairo hilft ihm nicht weiter. Ebenso wenig wie der Versuch, eine Frau in Burka über Sex mit Islamisten zu befragen. Zum Schluß verdrückt man eine Träne über den Untergang dieses Unternehmens: die Nachrichten war lausig, die Geldgeber zwielichtig, aber wir haben uns prächtig amüsiert. Und wenn wir es so machen wie Ornella de Monterecchi, die treueste Leserin des Blatts, die jede Zeitung komplett liest, dafür aber mehrere Tage braucht, können wir auch noch lange nachdem die letzte Druckerpresse stillgelegt wurde, ein „Weltblatt“ (Thomas Bernhard) aufschlagen, um uns den „daily report on the idiocy and the brilliance of the species“ zu Gemüte zu führen.
Tom Rachman: The imperfectionists, (Random House), € 8,85
Tom Rachman: Die Unperfekten, (dtv), € 14,90
Sehr fantasievoll, mehr davon!!!
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