Samstag, 8. Januar 2011

ICH VERDIENE GENUG...

...und zahle auch nicht zu viele Steuern!

Das musste mal gesagt werden. Obwohl ich in einem der reichsten Länder der Welt lebe und in einem beruflichen und wohnlichen Umfeld, in dem die meisten zur wohlversorgten Mittelschicht gehören, höre ich diese selbstverständlichen Sätze so gut wie nie. Ich habe einige freischaffende Freunde, deren Einkommen weit unterdurchschnittlich ist. Trotzdem höre ich dauerndes Klagen über zu niedrige Entlohnung und zuviel Abzüge fast nur von denen, die ähnlich oder mehr als ich verdienen. Ich kann mir das nur auf eine Weise erklären: Diese Leute empfinden ihre Arbeit als Qual und das Schmerzensgeld, das sie dafür erhalten, erscheint ihnen zu gering.

Denn alle anderen Argumente, die sie vorbringen, erweisen sich bei näherer Betrachtung als absurd. Sie kennen immer jemanden mit ebenso langer Ausbildungszeit oder Verantwortung oder Arbeitsintensität, der deutlich mehr Geld verdient. Wenn ich dann zum Vergleich jemanden heranziehe, der unter ähnlichen Voraussetzungen weniger verdient, suchen sie eifrig nach Argumenten, die den Gehaltsabstand zu ihren Gunsten rechtfertigen. Sie sitzen mit Fleiß der Leistungsideologie, die  das kapitalistische Wirtschaftssystem prägt, auf, die  jede/r mit etwas gesundem Menschenverstand leicht entlarven könnte: Weder Verantwortung (denken wir an Busfahrer:innen), noch Ausbildungsdauer (nehmen wir Philosophen:innen), noch Arbeitsintensität (nehmen wir Gebäudereiniger:innen) führen zwangsläufig zu höheren Gehältern. Nicht einmal der reine Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage vermag die Gehaltstabellen schlüssig zu erklären (denken wir an Pflegekräfte). Es ist ein kruder Mix aus Marktmechanismen, historischen Entwicklungen (bis zurück zum Ständewesen), geschlechterorientierter Arbeitsteilung und Pseudo-Leistungsorientierung, der die Höhe der Löhne bestimmt. Hier „Gerechtigkeit“ einzufordern und empört die eigene Benachteiligung zu beklagen, ist einfach unterreflektiert. (Wohlgemerkt: Ich spreche nicht von denen, deren Arbeit so gering entlohnt wird, dass sie nicht existenzsichernd ist. Solche Löhne sind sittenwidrig, punktum, und sollten per Gesetz verboten werden.). Mir geht es um die „Gerechtigkeitsforderungen“ derer, die gut versorgt sind und sich lediglich benachteiligt sehen, weil sie ihre eigene „Leistung“ höher bewerten als Markt und gesellschaftliche Norm es tun. Die nerven mich. Zugleich empfinde ich Mitleid (was immer, wie man weiß, eine Form der Herablassung ist).

Der Begriff „Arbeit“ hatte seit je einen janusköpfigen Gehalt: als Strafe (für den Sündenfall, siehe z.B. die Etymologie von labour/travail) und als schöpferische Selbstverwirklichung des Menschen. In der Ideologie des Kapitalismus ist dieser Gehalt pervertiert: Die Strafe der entfremdeten Arbeit zu ertragen wird als freie Wahl dargestellt und Selbstverwirklichung über die Erreichung eines möglichst hohen Marktwertes der eigenen Arbeitskraft angestrebt. Das ist abscheulich. Was man freiwillig wollen soll, ist nämlich: Den größten Teil seiner wachen Lebenszeit mit Tätigkeiten verbringen, deren Sinn nicht einleuchtet und die keine Befriedigung verschaffen, um Befriedigung und  Sinnstiftung dann in der möglichst hohen Entlohnung zu erfahren. Mit anderen Worten: Man soll sich prostituieren wollen. Von der Ideologie und den historischen Verschleierungen entkleidet, dürfte es unter diesen Bedingungen eigentlich kein anderes Bezahlungsmodell geben, als das des „Schmerzengeldes“: Wer eine Arbeit verrichtet, die besonders öde, sinnlos oder unbefriedigend ist, müsste am meisten kriegen. Diese Idee stößt natürlich bei den Klagenden von oben auf wenig Gegenliebe. Denn wiewohl ihr Gefühl ungerecht behandelt zu werden und nicht genug zu bekommen, keiner anderen Logik als der des Schmerzengelds entspringt, mögen sie sich doch nicht in dieser Opferrolle wiedererkennen. Was sie eben noch als Last, für die Ausgleich zu schaffen sei, bestimmt haben – zum Beispiel ein langjähriges Studium – würde ja  dadurch entwertet. Sie müssten diese "Last" nicht auf sich nehmen, um besser entlohnt zu werden. (Studierten sie dennoch, so wäre es - was es für mich immer war - ein Privileg, für das sie dankbar sein könnten.) Im Gegenteil: Mehr Geld erhielte wahrscheinlich, wer Klos schrubbte. Ach, welch bittere Aussichten.

Eine kommunistische Utopie zielt nämlich nicht (wie ehemals die Praxis des „real existierenden Sozialismus´“) bloß auf eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, sondern darauf entfremdete Arbeit, d.h. eine Reduktion der möglichen Tätigkeiten auf Berufe, grundsätzlich aufzuheben. Marx/Engels:  „Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will - während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Der Knackpunkt hierbei ist, wie unschwer zu erkennen, wie „die Gesellschaft“ die allgemeine Produktion regeln sollte. Doch im Horizont dieses Denkens wird es immerhin möglich, die Befreiung von der entfremdenden Arbeit durch Rationalisierung nicht als sozial depravierende Arbeitslosigkeit zu begreifen, sondern als emanzipatorische Chance. Diese jedoch als solche zu erkennen und um ihre Verwirklichung zu kämpfen, ist im Verblendungszusammenhang der Leistungsideologie gänzlich unmöglich.

Deshalb: Der Kampf um höhere Löhne nach Branchen und Berufsgruppen ohne eine gesamtgesellschaftliche Perspektive ist selbst Teil dieser Verblendung. Gewerkschaftliche  und parteiliche Politik, die sich darauf beschränkt, wirkt am Gewebe der Verschleierung mit.  

1 Kommentar:

  1. Diesen Beitrag wollte ich ja auch noch kommentieren. Du hast ja so Recht! Am schlimsten sind m. E. die Ärzte. Ich gehe noch weiter: Freiberufler, die wenig verdienen, haben einen Mehrwert: Ihre Freiheit. Einen Kaffee bei der Arbeit zu trinken, wann sie wollen... Und vor allem eine viel kreativere und abwechslungsreichere Tätigkeit.

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