Dienstag, 18. Januar 2011

SO TAGE

„Die Sache hat uns in der Hand. Man fährt Tag und Nacht in ihr und tut auch noch alles andere darin; man isst, man liebt, man liest Bücher, man übt seinen Beruf aus, als ob die vier Wände still stünden und das Unheimliche ist bloß, dass die Wände fahren, ohne dass man es merkt, und ihre Schienen vorauswerfen, wie lange, tastend gekrümmte Fäden, ohne dass man weiß, wohin.“
Robert Musil: Mann ohne Eigenschaften

Es gibt so Tage, die kennt jede. So ein Tag, an dem du spätestens ab elf den Kopf und den ganzen Rest vom Körper unter einer dicken Decke verstecken möchtest: Licht aus, Schlüssel rum, könnt mich alle. Das geht natürlich nicht. So verantwortungsvolle und pflichtbewusste Leute wie wir (also DU , der ich hier klage,  und ICH, die lamentiert) machen das nicht. Die drücken das Rückgrat durch und beißen die Zähne zusammen.  Bloß so ein Ding, das muss manchmal dran glauben. Denn in unserem moralischen Kosmos ist Gewalt gegen Sachen erlaubt. Es darf nämlich nicht sein, dass die „Sache uns in der Hand hat“. Wir sind kein Mann und erst recht keiner „ohne Eigenschaften“, sondern eine cholerische Frau. Da wird schon mal zurück getreten, das was auseinander springt (Vergiss nicht, vor einigen Jahren ist bei so einer Gelegenheit der große Zeh gebrochen...).

Heute war so ein Tag. Schon das Aufstehen um 5:30 Uhr ist für Langschläferinnen wie uns Folter. An der Straßenecke merke ich, dass ich den Schlüsselbund für Z. vergessen habe (Du verwahrst aus guten Gründen die Schlüsselbünde für die verschiedenen Spielorte deiner Tätigkeit getrennt auf.), d.h. zurück rennen, knapp wird das jetzt, um den Zug noch zu kriegen. Du schaffst es grade. Außer Atem. Mit Wut im Bauch. Auf wen? Na, auf die verdammte Schlampe, die gestern Abend zu faul war, die Tasche zu packen. Der Vormittag mit den noch verschlafenen Jugendlichen geht  einigermaßen rum. Im Studio stellt sich raus, dass sich keines der Projekte in Premiere Elements hoch laden lässt. Jemand hat ein Virenprogramm über die Laptops gejagt, das die Audiotreiber lahmlegt. Gib´s auf: Die Sache hat dich in der Hand. Das kostet mich fast drei Stunden. Mehrmals überkommt mich die Versuchung, eins, zwei, drei Laptops aus dem Fenster zu schmeißen. Das Studio ist im achten Stock. Nur die Anwesenheit des jungen Praktikanten zähmt mich ein wenig. Zum Meeting mit den Kolleginnen im Amt am Nachmittag komme ich zu spät, was sich als der einzige Treffer des Tages erweist. Es geht um Harmonisierungstendenzen. (Du willst gar nicht wissen, was damit gemeint ist.) Bevor ich hoch in den Sitzungsraum gehe, erstehe ich in der Cafeteria erst mal drei Riegel Kinderschokolade. Die schiebe ich alle drei gleichzeitig rein und lasse sie im proppevollen Mund schmelzen. Das hilft. Kurzfristig. Damit ich darauf verzichte, den Kollegen ein „Arschloch“ zu nennen und stattdessen nur seine Harmonisierungspläne zum „Schwachsinn“ erkläre. Ich mache mich genau so beliebt wie immer, wenn ich kein Ding gefunden habe, an dem mich austoben kann.  Zielwerfen von zerknüllten Tischvorlagen („Prozesse zur Harmonisierung im Gutachtenwesen“) kann echte Zerstörungstaten nicht befriedigend ersetzen.

So Tage halt. Keine Sorge. Nichts von Bedeutung ist kaputt gegangen. Niemand wurde verletzt. Zu Hause nehme ich ein Bad. Heiß. Und torkele dampfend unter die Decke. Licht aus. Könnt mich. Endlich.

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