Mechthild (genannt von Magdeburg) war die erste Dichterin, die in deutscher Sprache schrieb. Die Mystikerinnen des Mittelalters faszinieren durch das Fließende ihrer Sprache, in dem es um die Darstellung einer Erfahrung mit sich und Welt geht, die nicht auf Abgrenzung und Identität setzt, sondern auf Durchlässigkeit. Eine Auswahl aus Mechthild von Magdeburgs Schrift „Das fließende Licht der Gottheit“ ist günstig bei Reclam greifbar, in einer Ausgabe, die den Vorzug hat, das Original in Mittelhochdeutsch neben der Neuhochdeutschen Übersetzung zu präsentieren, so dass auch der Laie sich den Sinn des Textes erschließen und zugleich die klanglichen Schwingungen erfahren kann.
Ein von Mechthild Rausch unter dem schönen Titel „Je tiefer ich sinke, je süßer ich trinke.“ in der Reihe "roughbooks" herausgegebener Band versammelt Annäherungen zeitgenössischer Autoren und Autorinnen an Mechthild von Magdeburgs Werk: Nachdichtungen, Hommagen und Essays. Den Band eröffnet ein wunderbarer Essay von Barbara Köhler über "Minne":
„stellen Sie sich einen friedhof für tote wörter vor: ein unüberschaubares areal in der gegend zwischen lethe und autobahn, auf dem besten weg ins vergessen, zu groß für ein paar festangestellte gärtner, die sich die kommune noch leisten kann für diese unzahl grabmale zwischen lebensbäumen und hohen buchen, sehr alten stämmen, von efeu, moos und baumwürger überwuchert.“
Ja, stellen Sie sich das vor, schauen Sie hinein in eine Wort-Schatz-Truhe, wo sie zum Beispiel das fast vergessene Wort „selbander“ finden werden und schließlich Gedanken über das fließende Bedeutungsspiel im Wort "Minne" selbst:
„–Willst du meinende, sinnende, innen du seele, willst du wissen, welches dein weg sei? Wie ich deinen weg seh? Wie licht dein weh, dein gehen?“
Köhler entfaltet die möglichen Übersetzungen und Lesarten dieses Satzes der Mechthild, nimmt die Leser:innen mit in den seelen-reichen, viel-sinnigen, verbindend-bindenden Text, wo sie der Lust nachspürt, dem Tanz, dem Schauen, dem Du und Ich und ihrer gleitenden Vermischung: „Durch mich in dich...“
Sie werden Mechthild lesen wollen nach der Lektüre dieses Essays, prophezeihe ich. Und weiter lesen mögen, wie andere sie lasen: Franz Josef Czernin, Monika Rink und Werner Fritsch finden Wege hinein und hinaus in dies „Fließende Licht der Gottheit“ - ein Schreiben, so könnte man es auch ausdrücken, gegen die Teilchentheorie, gegen Abgrenzung und Abstoßung, für Spannungsfelder und Energieaustausch.
Sie werden Mechthild lesen wollen nach der Lektüre dieses Essays, prophezeihe ich. Und weiter lesen mögen, wie andere sie lasen: Franz Josef Czernin, Monika Rink und Werner Fritsch finden Wege hinein und hinaus in dies „Fließende Licht der Gottheit“ - ein Schreiben, so könnte man es auch ausdrücken, gegen die Teilchentheorie, gegen Abgrenzung und Abstoßung, für Spannungsfelder und Energieaustausch.
„Je tiefer ich sinke, je süßer ich trinke“ ist - wie gesagt - als roughbook im Verlag von Urs Engeler erschienen. Sie gefallen mir sehr gut, diese quadratischen, grafisch gestalteten Bücher. Das gedruckte Buch hat nur in so gestalteter Form eine Chance. Es muss „was haben“, damit man es haben will.
Mechthild von Magdeburg: "Das fließende Licht der Gottheit". Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch (reclam), € 5,80
"Je tiefer ich sinke, je süßer ich trinke". Poetische Annäherungen an Mechthild von Magdeburg. roughbooks, € 9,00 (direkt beim Verlag)
Mechthild von Magdeburg: "Das fließende Licht der Gottheit". Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch (reclam), € 5,80
"Je tiefer ich sinke, je süßer ich trinke". Poetische Annäherungen an Mechthild von Magdeburg. roughbooks, € 9,00 (direkt beim Verlag)
"Elben-Wort lässt Lügen schweben."
AntwortenLöschenselbander
Das ist ein besonders schönes Wort und in seinem Klang überwölbt es die Bedeutung von zu zweit.
selbander
Das will mir nicht mehr aus dem Kopf. Sage ich es vor mich hin dann wird es zu einem komme komme Beschwörungsnamen.
Ich muss mal in der elbischen Enzyklopädie der Namen blättern...
Ah ja, ich hab's gefunden:
Selbander m: der Salbende, eigentl. Ausdruck der Sehnsucht des Wesens, zumeist weiblich, das diesen Namen verwendet
Selbanda w: die Salbende, eigentl. Ausdruck der Sehnsucht des Wesens, zumeist männlich, das diesen Namen verwendet
SELBANDER
AntwortenLöschenJa, liebe read An, ein wunderbares Wort. Mich freut auch, dass Sie die Verbindung zu "Wildermuths Elbin" nachvollziehen. Die Sprache der Mystikerinnen, so christlich sie sich kleidet, wuchert mir immer ins Vor-Zeitliche, wo Elben tanzten und ein Kreislauf war, keine Anfang, kein Ende.
"Du bist miner gerunge ein minnevulunge,
du bist miner brust ein sussu kulunge,
du bist ein kreftig kus mines mundes,
du bist ein vrolich vrode mines vundes!"
"Sie werden Mechthild lesen wollen nach der Lektüre dieses Essays, prophezeihe ich."
AntwortenLöschenAuch wenn das nicht schon vor langer langer Zeit geschehen wäre, so dankte ich dir für diesen minnevoll geschriebenen Hinweis auf das Essay von Barbara Köhler.
Es ist übrigens wirklich so, wie Mechthild im Einleitungssatz ihrer in 15 Jahren gesammelten 7 Bücher "Ein vliessende lieht miner gotheit" schreibt:
"Alle, die dieses Buch verstehen wollen, müssen es neunmal lesen."
Es ist mir keine Haut denkbar, unter die diese gewaltigen Bilder und Gedanken der Mechthild nicht zu gehen vermöchten. Und dies ganz unabhängig davon, ob ein Leser die von ihr vorausgesetzten Glaubensinhalte zu teilen vermag oder nicht.
Es sind solche Häute denkbar. (Kennt man sie nicht, die Dickhäuter?)
AntwortenLöschenSich immun zu machen gegen diese Gewalt, ist möglich. Mancher und manchem mag es wünschenswert scheinen: Dem Sinnenrausch in die Sinnfreiheit zu entfliehen.
Wer aber schreibt:
"Ich schreibe mit meinen Flügeln /
den Wind in deine Haut /
Atemloses Nachtlied."
wird diesen Ausweg meiden. Ganz gewiss. Denn nicht fühlbar ist, wer das Mysterium des Wahn-Sinns von sich weist.
Herzliche Grüße, lieber Metapher,
Melusine