Mittwoch, 30. März 2011

VERWORFENE BETRÜGER ("Es gibt keinen Teufel, Melusine")

Eine Fortsetzung zu der Reihe: "Ich küsse mein Leben in Dich (Die Martenehen)"

Die Dunkelheit war heraufgezogen und hatte Heilmann umschlossen. Er, der das Meer  liebte, die Heiterkeit  und die Sonne, war gefangen im regnerischen Häusergrau der binnenländischen Städte. „Wo mein Sohn lebt,“, beharrte er, „bin ich zu Hause.“ Doch ertränkte er die Unbewohnbarkeit seiner modernen Heimstätte im alkoholschwangeren Nebel schäbiger Vorstadtkneipen. Melusine rückte auf den Schemel neben ihm. „Bestell mir einen Whisky“, sagte sie. Heilmann blickte auf. Seine Augen waren verschwommen, Melusine konnte nicht sicher sein, dass er sie erkannt hatte. Doch was machte es schon. Wie oft hatten sie einander verfehlt? Und wie oft noch würden sie achtlos aneinander vorübergehen? Heilmann winkte dem Mann hinterm Tresen. „Ham wer nich´. Bier und Korn. Wem´s nich passt, der kann ja jehn.“ Heilmann kicherte: „Bier oder Korn? Was willst du,  kleine Meerjungfrau?“ Melusine seufzte. Selbst in diesem Stadium der Selbstvergessenheit wusste er also doch, mit wem er es zu tun hatte. Oder vielleicht gerade in diesem, dachte sie. Im ersten Edith-Glück sah er durch mich hindurch.  Als er den Knaben zeugte, hörte er meine warnenden Rufe durch seine orgiastischen Feiern nicht. „Ein Pils.“ Heilmann nickte dem Barmann zu: „Du hast es gehört.“ Der verzog sich hinter die Zapfhähne. „Immerhin“, nickte Melusine, „es wird gezapft.“ „Gib dich nicht so volkstümlich.“ Plötzlich wurde Heilmann aggressiv. Melusine schwieg. Es umgab ihn Mordlust. Sie konnte es riechen. „Feuer und Wasser“, Heilmann fuhr mit dem Zeigefinger am Rand seines Glases entlang. „Sind wir.“ „Ich bin beides, Heilmann: Drachin und Fischschwänzige.“ Zum ersten Mal an diesem Abend schaute Heilmann ihr in die Augen. Sie zuckte zusammen und schlug die ihren nieder. Dass grüne Augen solche Blitze senden können? Und blaue. Ich habe wahrhaftig blaue Augen, dachte sie. Das ist neu. Als käme ich für diesmal aus dem Norden. Glaube mir, dass ich dich habe, diese Stunde habe, das ist mein Glück. Was daraus wird, das kümmert mich nicht. Eines Tages bis du weggeflogen...

War es das? Heilmann brauchte das Mittelmeer. War ich dort nicht auch einmal zu Hause? Ach, lang ist´s her. Ein anderer Verräter, den ich liebte.„Ich habe niemanden verraten.“ Heilmann las ihre Gedanken nicht, er dachte sie. „Nur dein Gelübde.“ Heilmann ballte die Faust. „Und sie.“ Heilmann schlug die geballte Hand auf das Holz, das es krachte. „Sie war es, die sich von einem andern begatten ließ.“ „Wie viele Lippen teiltest du, in wie viele Münder stecktest du deine Zunge?“ Heilmann senkte den Kopf. Es war wahr. Dennoch hatte er nicht gelogen. Niemals hatte er die Mutter seines Kindes verraten, auch wenn er die Körper anderer Frauen begehrte und genoss. Sie hingegen, Edith, verriet ihn mit jedem Blick, mit jedem Wort, mit jeder Geste, lange bevor sie sich einem anderen hingab. Sie tat, was sie tat, um ihn leiden zu lassen. „Ach, Heilmann, du begreifst immer noch nicht, was du ihr angetan hast.  Deshalb dachte ich...“, Melusine lächelte wehmütig, „hoffte ich einmal, du seist ein Mensch.“ Sie schrie auf. Heilmanns Faust hatte sich geöffnet und gleich einer Pranke hatte er die Hand in ihren Schenkel geschlagen. Mit aller Kraft drückte er zu. Melusine hielt den Atem an. „Wenn ich dir weh tun könnte, wäre ich einer?“ Tränen stiegen ihr in die Augen. „Nicht wenn du es könntest, sondern wenn du es tätest.“. Sie atmete tief aus. „Ich spüre nichts.“ Heilmanns Hand ließ los. Dennoch ruhte sie weiter sacht auf Melusines rechtem Oberschenkel. Wie ein toter Vogel dachte sie. Abgestürzt. Sie schloß die Augen und starrte geradewegs in die schmerzverzerrt aufgerissenen der gefolterten Puppe. Blau wie meine.

„Er schlang  ihr fliegendes Haar um die Faust;
Er hieb sie mit knotigen Riemen.
Er hieb, das es schallte so schrecklich und laut!
Er hieb ihr die samtige Lilienhaut
Voll schwellender blutiger Striemen.“

„Ich werde es tun.“ „Du weißt, wem du dazu die Hand reichen musst?“ „Gegen das Böse bin ich immun.“ „Du redest, als seiest du ein Mann. Ich werde dich verdammen dafür.“ Heilmanns Hand strich über ihr Bein. „Ich kann einer sein, wenn du es willst. Wärest du eine Frau...“ Sie nahm seine Hand und legte sie entschlossen zurück auf den Tisch. „Wäre ich eine Frau, hielte ich mir einen Impresario.  Aber dieses Amt übernimmt wieder kein Mann, der auf sich hält. Wir beide können nicht zeugen. Aber einander Zeugen sein. Und müssen es.“ „Der freie Wille...Hast nicht du ihn immer verteidigt, Melusine?“ Sie lachte. Bitter. „Weil ich muss.  Heilmann. Das ist das Paradox. Ob ich nun frei bin?...Will ich´s denn? Ich will es n  i c h t.“ Er schwieg. Sie sah jetzt, was  geschehen war. Sie sah es nicht voraus, denn es war bereits vorbei. Sie erschrak, doch es blieb gültig. Bevor ich nach Rom gehe, wusste sie, wird er uns längst in der Hafenstadt im Norden an den Teufel verraten. „Es gibt keinen Teufel, Melusine.“

Zitate aus:
Gottfried August Bürger: Des Pfarrers Tochter von Taubenhain
Theodor Fontane: Irrungen. Wirrungen
Franziska zu Reventlow: Amouresken

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"Ich küsse mein mein Leben in Dich" (Die Martenehen) ist ein Ableger des Blog-Romans "Melusine featuring Armgard". Es geht hier um das Vor-, Nach- und Umleben der Melusine, das sich chronologisch nicht erzählen lässt. Die Wasserfrau verkehrt über die Jahrhundert mit einer geheimnisvollen Gestalt, die sich als Menschenmann Heilmann nennt.

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