In den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts malte William Hogarth eines der eigenartigsten Bilder der Kunstgeschichte: ein Gemeinschaftsporträt sechs seiner Bediensteten.
Was macht dieses Gemälde so außergewöhnlich? Die Gattung des Porträts stellt uns jemanden vor Augen, der, wie Gottfried Böhm formulierte: „wirklich ein Jemand und kein Niemand“ ist. Rolle und Person sollen im traditionellen Porträt zur Deckung gelangen. Das stellt die sich im 18. Jahrhundert herausbildende bürgerliche Identität vor besondere Probleme, denn es gehört zur bürgerlichen Selbstkonzeption Öffentlichkeit und Privatheit, Rolle und Person, strikt zu trennen. Das Porträt, das bürgerliche Identität vorführen will, muss sie also aus der Schnittmenge zwischen dem was, die Person sein will und dem, was sie in der Welt darstellt, entwickeln. Anders ausgedrückt: Im Porträt wird der Dargestellte/die Dargestellte „als er selbst/sie selbst“ auf die Bühne gebracht. „Ich habe mit dem Tod in der eigenen Brust den sterbenden Fechter gespielt.“, schreibt einige Jahre später Heinrich Heine.
William Hogarth war nicht nur ein bedeutender Zeichner, Graphiker und Bildergeschichten-Erfinder, sondern auch einer der herausragenden Porträtmaler der bürgerlichen Epoche. Das Gemälde „Heads of Six of Hogarth´s Servants“ jedoch stellt gegenüber diesen Auftragsarbeiten einen bemerkenswerten Sonderfall dar. Es zeigt die Köpfe von sechs Personen unterschiedlichen Alters, die auf der Leinwand nicht als Gruppe arrangiert, sondern in der Art einer physiognomischen Studie montiert sind. Jeder dieser Köpfe ist so ausgearbeitet, dass er nicht mehr einen Typus, sondern ein Individuum zeigt. Diese - erkennbar der körperlich arbeitenden Bevölkerung zuzurechnenden Personen, werden ohne jede repräsentative Inszenierung gezeigt. Sie spielen keine Rolle. Eben die Doppeldeutigkeit dieses Satzes bringt die Darstellung zum Ausdruck. Die Personen, die Hogarth hier zeigt, treten „öffentlich“ nicht in Erscheinung. Was hinter der Rolle, die der Bürger spielt, als Leere in vielen Porträts von Hogarth bereits sichtbar wird, zeigt sich in den Gesichtern dieser Bedienten als Individualität, die keine Bedeutung hat. Dass sie im Bild erscheinen – nicht als Komparsen einer Szene oder Typen, sondern als Individuen – ist das Außergewöhnliche. Dieses Gemälde des erfolgsbesessenen Malers war ganz offenbar für keine Öffentlichkeit bestimmt. Der Maler Hogarth, so hat er in allen seinen Selbstaussagen behauptet, malte für Geld. Was er hier jedoch zeigt, sind die „Niemande“, ohne jede „Literarisierung“, „so wie sie sind“. Den Verzicht auf das Rollenspiel besiegelt in diesem Bild der vollkommene Verzicht auf das, was Hogarths Kunst ansonsten auszeichnete: die Ausdruckskraft der bewegten Körper. Dieses Bild scheint produziert aus Liebe zum Malen oder aus persönlicher Sympathie für die Dargestellten. Eben darum zeigt es Identität ohne Rollenspiel, als das, was man für Geld nicht kaufen kann – und zugleich: dass eben dieses im bürgerlichen Kapitalismus ohne Bedeutung ist.
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