Mittwoch, 25. Mai 2011

DER TÖDLICHE BLICK

Der liebende Blick sucht. Sieht den Geliebten überall. Das Blau seiner Jacke hinter den Sträuchern. Das Blinken jedes Fahrradauges kündigt den an. Aus der Menge tritt einer hervor. Den fixiert der Blick. Das bist du. Du bist der, auf den ich schaue. Zu dir hin. Auf dich drauf. Schnell wieder weg. Siehst du mich? Hast du mich gesehen? Blick und Gegen-Blick. In der Filmsprache heißt das: Schuss und Gegen-Schuss. Da ist was dran.


Aber: Schau dich ja nicht um„Wenn Blicke töten könnten.“ Der Gesang der Liebe wird gezeugt aus dem tödlichen Blick auf die geliebte Frau. Das neue Leben des Sängers. Vergessen Sie nicht: Er sah sie zum ersten Mal, da war sie neun. (Sie trug ein rotes Kleid, damals.) Er war auch neun. Immerhin. Sie konnten zu einander nicht kommen. (Er war ja schon verheiratet, als er – mit 18 – sich ernstlich in sie verliebte). Nur schauen. Schaut ihr hinterher. In jungfräulichem Weiß schreitet sie einher. Seiner Seele prägt sich ihr Bildnis ein. Wieder: Geschaut wird nicht, was das Auge sieht.  Nur was das Auge sah, bringt zum Lieben (und Schreiben).

Doch so wie meine Blicke Euch gefunden,
Fährt mir ein Zittern jäh durch Herz und Haupt,
Und aus dem Busen will die Seele schweben.

Es ist nicht sie, die ihm das antut (also ihm das Herz aus der Brust reißt). Es ist ihr Bild. Unter all den Frauen sucht sein Auge sie, die holdselige Beatrice. Ihr Anblick ändert, scheint ihm, die ganze Molekularzusammensetzung seines Körpers. Was auf der Netzhaut der Augen sich eingebrannt hat, breitet sich aus gleich einem Ausschlag in und auf ihm. Ihren Gegen-Blick, den Schuss ins Herz, ersehnt er, als Medium seiner Wandlung.

Wer ihr ins Auge blickte sonder Bangen
Würd´ edel oder büßte ein das Leben.
Und wen sie würdig hält den Blick zu heben
Zu ihr, wird ihre Macht bei sich gewahren.

Die Alternative ist: Unter ihrem Blicke sterben oder sich ihn einverleiben. Ihre Schönheit  in seinen Worten. (Der Kannibalismus alles Liebessehnens: offenbar.) Er sieht sie im Traum, die er nicht haben kann; blutrot umhüllt ihren nackten Körper ein leichter Schleier, so zeigt sie ihm der Gott Amor. Und sie isst sein Herz. Die Liebe verzehrt. Und stirbt. Doch wird sie jetzt erst recht „geschaut“. Kein schönerer Anblick als eine schöne Leiche. Kein schönerer Gesang als der, den dieser tödliche Blick gebiert:

Und ich vom Wahn entrückt,
Ging hin, die süße Tote anzusehen.
Und als ich sie erblickt,
Da deckten mit dem Schleier sie die Frauen.
So süße Demut lag auf ihr hienieden,
Daß sie zu sagen schien: Ich bin in Frieden.

Die Geschaute kann nicht mehr zurück schauen. Das gibt den Frieden. Von dem er sich singt. Die Gefahr ist gebannt. Der Rückblick auf immer im Wort geborgen. Die Totgeschaute wird himmlisch. Den Engeln gleich. Wird die Tote geschaut. Vergessen Sie nicht: in der Bibel noch sind die Engel alle männlich. Verkünder. Erst die geschauten Engel sind Weiber mit güldenem Haar. Liebeslichter. Durchscheinender Schimmer. Der Reflex des schauenden Auges selbst. Was ich sehe, bist du. Du wirst, die ich sehe. Endlich. Mein Engel.

Denn ihre wonnesame Schönheit ward,
Nachdem sie schied aus unserem Verein,
verklärt zu geist´ger Schönheit hoher Art,
Die durch den Himmel gießet
Ein Liebeslicht, das alle Engel grüßet
Und jener hohen Geister Seligkeit
Erstaunen macht ob solcher Lieblichkeit.

Zurückschauen. Sie noch einmal sehen. Er kann auf ihren Anblick nicht verzichten. Aber: Lesen Sie genau.  Es geht nicht um ihren Augen-Blick. Kein Blickwechsel mehr. Er sucht nicht mehr ihre Augen. Jetzt sucht er ihr Bild. Sein Bild von ihr. Das wirkt tödlich. Die gebildete Frau hat kein Lebensrecht. In der Dichtung. (Wusste ich das schon? Immer.) Die Kehrseite des Pygmalion-Mythos. Was für eine Verzweiflung das ist bei ihm.  Für ihn. Er bleibt allein zurück. Wie er es auch wendet. Andererseits: wie hatte das Bild ihn gequält, als es sich noch selbst bewegte. Sich ihm entzog. Zurück schaute, manchmal, bevor sie die Augen niederschlug.

„Wenn Blicke töten könnten...“, lacht die Freundin. „Wenn... Der Konjunktiv. Sie können es ja nicht.“ Der Blick ist eine Waffe. Ach was, der Blick ist keine Waffe. Du kannst dich einfach rumdrehen. Dem Blick ausweichen. Das ist ganz leicht. Lass dich nicht blicken.

(@ Umbau: DER TÖDLICHE BLICK ist der II.Teil einer Serie, die ursprünglich auf Michael Perkampus inzwischen geschlossenem Blog  Die Veranda -  jetzt wieder da mit neuer Funktion - erschien. Für GLEISBAUARBEITEN hatte ich die Texte auf einer Seite zusammengefasst. Ich stelle sie jetzt, in leichter überarbeiteter Form unter dem  Label AUGEN-BLICKE hier ein.)

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