Wie Herrschaft funktioniert. Wie Gewalt und Sexualität sich verschränken. Wie Geschlecht und Macht miteinander ringen. Wie Vernunft und Trieb sich im Wege stehen. Wie Zweckrationalität und Gewissen sich bedrängen.
Um all das geht es in Schillers „Maria Stuart“. Zwei starke Frauen. Ein Kampf um Macht und Männer, Liebe und Ehre. Das hätte mir gefallen sollen. Doch Schiller, der sich im Leben für das Hausmütterchen und gegen die Abenteuerin (die Figur der gegensätzlich vereinten Schwestern, die mich umtreibt, auch hier findet sie sich) entschied, schrieb den beiden ein Verhängnis auf die Leiber, dessen geschichtliche Wahrheit mir beim Lesen gleichgültig blieb. Es hat sich in Deutschland, wo „Maria Stuart“ zum gymnasialen Kanon gehört, eine Lesart durchgesetzt, die in Maria die gerechte Märtyrerin und in Elisabeth die böswillige Tyrannin sieht. So dumm war Schiller nicht, sein Text ist stärker. Doch mein Deutschlehrer ließ andere Lesarten nicht zu und machte mir Elisabeth, an der ich mich hätte entzünden können, madig. Für Maria indes, die Schmachtende, schlug mein Herz ohnedies nicht.
Einer kann´s: Michael Thalheimer bringt das Drama zum Schillern. Gestern Abend mit Morel im Schauspiel Frankfurt war ich gefesselt von der ersten Sekunde an, als die beiden Königinnen getrennt durch eine schwarze Wand aus der dunklen Tiefe der Bühne auf die Rampe zuschritten: Elisabeth in blassem Gelb mit Reifrock und Stehkragen, tief dekolletiert; Maria hochgeschlossenen in schimmerndem Grau. Orangerot fiel Elisabeth´ Haar offen herab, während Marias Gesichtchen schmeichelnd von dunklen Haarschnecken gefasst war. Fulminant spielten sie ihre Rollen aus: Stephanie Eidt als Elisabeth und Valery Tscheplanova als Maria Stuart. Beide gierig, hart, stark, kalt, heißblütig, verlogen, ungestüm, beherrscht. Sie wollen: Macht. Werden, was sie – eine jede auf ihre Weise – nur vorgegeben hatten zu sein: Königin, unumschränkte Herrscherin. Der Preis ist hoch: Sie zahlen mit ihrer Freiheit, ihren Körpern, ihrem Leben. Sie werden, was sie von Anfang an sind: Funktionen im großen Spiel der Machtsysteme. Doch waltet hier keine List der Geschichte. Das Geschick kann sich wenden. Zufälle retten die eine und vernichten die andere, machen die eine zum Opfer und die andere zur Täterin.
„Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.“, schrieb Michel Foucault. Man will das nicht wahrhaben. Man täuscht sich mit Bedacht. Überall ist von vertrauensbildenden Maßnahmen die Rede. (Wo immer davon die Rede ist, sieh dich vor!) Es gilt Fremdkörper zu bleiben. Alles als Theater betrachten. Den Vorhang zur Seite ziehen. Die Strippenzieher sichtbar machen.
„Die Schuldenmasse der Atriden zu Sand zermahlen/
Treibmittel für die Freiheit/
Automatenerfinder, Götterkinder/
Man erkennt sie in Augen von Kindern/
Bis zum Alter von drei Jahren/
Nichts ist entschieden.“
(Heiner Müller)
Nehmt das hin: NICHTS.
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