Montag, 6. Juni 2011

WIEDERUM: WANN IST EIN MANN EIN MANN?

Beim Abendessen berichtet die Mutter von einer Fortbildung zu "Sex and Gender", die sich kritisch mit der gesellschaftlichen Fixierung auf die Zweigeschlechtlichkeit auseinandersetzte. Mit Erstaunen habe sie zur Kenntnis genommen, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen Intersexuelle sind, die sich keinem Geschlecht biologisch eindeutig zuordnen lassen (zwischen 1,7 - 4%). Rechne man nun noch diejenigen hinzu, die transsexuell seien, also ihrem eigenen Empfinden nach dem "falschen" Geschlecht zugeordnet werden, so zeige sich, wie problematisch die unbedingte Zuordnung zu einem Geschlecht in vielen Fällen sei, auch wie übergriffig.

Der Jung-Mann, 15 Jahre, scheint nicht wirklich zugehört zu haben. Mit seinem Bruder bespricht er die Erfolgsaussichten der Mavericks in der diesjährigen Play-Off-Runde. Beim Abräumen jedoch wendet er sich abrupt an die Mutter: "Bei mir gibt´s da gar keinen Zweifel. Ich bin groß und pinkle im Stehen."


(Männer sind anders.)


Juni 2011 (Fehler und ungelöste Aufgaben)

4 Kommentare:

  1. Inwiefern hat der Junge nicht zugehört? Daß es Geschlechtsuneindeutigkeiten gibt, bedeutet doch nicht, daß jede Geschlechtseindeutigkeit irrig sei, ja nicht einmal, daß sie in jedem Fall befragbar ist. Mein Geschlecht etwa ist derart eindeutig, daß ich dem Jungen nur zustimmen kann: selbstverständlich pinkelst du im Stehen. Es ist schlichtweg ein anderes Gefühl, als sich zu setzen (bzw. gar: sich setzen zu sollen), und niemandem bricht es einen Stein aus der Krone, die Brille nachher abzuwischen. Das allerdings ist eine Frage der selbstverständlichen Hygiene (ebenso, wie man nur im Notfall Toilettenpapier benutzt, sich ansonsten aber mit Wasser säubert).

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  2. Er h a t ja zugehört. Es schien nur so, als interessiere ihn das Thema nicht. Für mich ist es eben erstaunlich, was an sich selbst er z u e r s t als männlich empfindet: das Pinkeln im Stehen. (oder: zuerst ausspricht). Da wäre ich nicht drauf gekommen. (Bei uns gibt´s kein Schild: Bitte im Sitzen pinkeln. Was geht´s mich an, wie die pissen??? Hygiene vorausgesetzt, selbstverständlich!)

    Es ist ja so: Für mich ist das Geschlecht extrem selbst-definierend. Ich nehme staunend zur Kenntnis, das es für andere nicht so ist. Und ertappe mich dabei, wie ich doch unwillkürlich fast eine/n jede/n schon im ersten Moment darauf festlege. Vielleicht - das lehrte mich die Fortbildung - tue ich damit manch einem/einer ein Unrecht. Weiß nicht. Es ist halt verwirrend.

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  3. Daß man eventuell unrecht tut, kann sein; betrifft dann selbstverständlich auch mich. Aber ich vertraue meinem Instinkt. Es gibt nicht viele Männer, die ich von vornherein darauf festlege, daß sie Männer s i n d (=sich so fühlen); es sind eher wenige, denen ich begegne. Wobei, was das genau ist, sich auch mir einer randscharfen Bezeichnung, je Beschreibung entzieht. Für Frauen gilt das (bei mir) seltsamerweise weniger.

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  4. Das ist nicht seltsam - und auch nicht individuell -, dass Sie Männern n i c h t zwingend als Geschlechtswesen wahrnehmen, Frauen in der Regel aber wohl. Mindestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist das herrschende Perspektive: der Mann ist die Norm, die Frau die Abweichung. Dies gilt (auch und vor allem) in der Medizin (Kennen Sie Honegger: "Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib."? )

    Im anderen Mann erkennen Sie (und andere Männer) den "Menschen" (der also allgemeingültig sprechen kann); in der (anderen) Frau das Geschlechtswesen (die also für ihr Geschlecht spricht). Nun mögen Sie sagen: Was tut´s, da ich doch annehme, dass es für Frauen umgekehrt genauso ist? Tatsächlich aber leben auch Frauen in einer durch patriarchalisches Denken dominierten Welt: Sie nehmen ebenfalls das "Männliche" häufig als Norm wahr und das "Weibliche" als geschlechtsgebunden, also auch: sich selbst als "Abweichung." Zur Folge hat das (oder kann haben): Ich muss mich verleugnen, um (gültig) sprechen zu können. (Männer sind von dieser "Selbstverstümmelung" im Übrigen auch betroffen: Sie müssen, um "Mensch zu sein" gleichfalls von sich als Geschlechtswesen "absehen", nur ist dies ein "normierter" Akt, der ihnen geradezu "natürlich" erscheint. Gerade deshalb, aus dieser zwanghaften Unterdrückung, kommt es dann aber auch im Gegenzug zu so gewaltsamer und primitiver Triebabfuhr wie bei der Hamburg Mannheimer und anderswo.)

    Ich habe das lange selbst nicht bemerkt. In der Literatur zum Beispiel kann ich mich über Emma Bovary "ins Bild setzen" (Stillstand), mich "selbst bilden" (Bewegung erzeugen) kann ich hingegen eher durch Heathcliff. Verstehen Sie?

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