Sonntag, 10. Juli 2011

Reisejournal Rom (3): SANTO BAMBINO UND VOLKSTRIBUN

Von der Via di Battaglia dröhnt der Abendverkehr hoch auf die Terrasse. Ich mische Wein mit Wasser. „Sich Wasser in den Wein schütten“ – ist das eine typisch teutonische Geste? Die Schönheit entstellen durch Kritik, die Patina wegputzen durch gründliche Säuberung, das fröhliche Chaos durch ordnenden Eingriff verbannen? Gegenüber der deutschen Botschaft (auf deren Nachbarschaft mich parallelie hinwies) befindet sich ein faschistischer Palast mit behelmten Soldaten und Adlern als Simsfiguren. Doch es hängt keine schwarrotgoldene Flagge an irgendeinen Mast. Man gibt sich dezent-bürokratisch. Die Öffnungszeiten sind ausgehängt: 9.00 – 12.00 Uhr an allen Werktagen.

Sonntags verwandelt sich die Via  del Fiori Imperiali, die Mussolini als Aufmarschzeile bauen ließ, in eine Fußgängerzone vom Colloseum zum Forum Traiano. Wir suchten den Schatten unter den Bäumen, um die antiken Ausgrabungsstätten von oben her zu betrachten. Bald standen wir vor den Märkten, die Kaiser Trajan erbauen ließ, eine erste Einkaufs-Mall, damals so anziehend offenbar wie heute die Factory Outlets. Das scheußliche gigantische Denkmal für Vittorio Emanuele ließen wir links liegen und mieden auch den Gottesdienst in der Santa Maria di Loreto. Um mehrere Ecken schlendernd stiegen wir schließlich auf Verdacht eine steile Treppe zu einem Ziegelbau hinauf, der alt und vertrauenerweckend erschien: Santa Maria in Aracoeli. (Ganz dicht daneben befindet sich der Aufstieg zum Kapitol, wie wir erst später erkannten). Es ist, so wird behauptet, die erste Kirche, die der Heiligen Jungfrau gewidmet wurde und sie befindet sich auf eben dem Hügel, der in der Antike der Juno Moneta gewidmet war. Was immer der Zusatz bedeutete, aus ihm ging das Wort money/Moneten hervor. Für die heilige römische Kirche erwies sich der Kult um die Jungfrau, der von hier seinen Ausgang nahm, als monetärer Glückgriff, zweifellos. Maria, die jungfräuliche Mutter,  nahm den Thron der herrschenden Göttin ein, zaghaft und verklemmt, wie es schien, dem eigenen Sohn ergeben. Hier allerdings, an Junos alter Stätte, ist ihre Keuschheit noch unvollkommen und sie gilt auch als Beschützerin der Ehe (die ja nicht zwingend keusch gedacht werden muss). 

Ein roter Teppich wurde ausgerollt, als wir die Kirche betraten, auf dem hernach das glückliche junge Paar schreiten würde, das heute hier getraut werden sollte. Ich verliebte mich auf der Stelle in einer Seitenkapelle in das bezaubernde Bildnis einer Anna Aloisa Montoya, die im achtzehnten Jahrhundert verstarb. Weiter hinten dann, in einer weiteren Kapelle, holte mich die Warnung Guido Rohms ein, dass ich in der heiligen Stadt zu leiden hätte, wie die Vampire unter dem Weihrauch. Darauf war ich nicht vorbereitet. So dicht ist die Schicht nicht, die ich mir aufgetragen habe. Ein dickes Baby steht steif aufgerichtet, gehüllt in ein weißes, reich golden verziertes Gewand in einer Nische, mit rosigen Wangen und aufgeworfenen Lippen, eine überdimensionierte Krone auf dem Kopf. Das „Santo Bambino“. Es erhält von nah und fern Briefe mit Wünschen und Bittgesuchen, die in einem Körbchen zu seinen Füßen abgelegt sind. Jemand wird sie von Zeit zu Zeit auswechseln und die beigelegten Scheine dem entsprechenden Konto zuweisen, vermute ich. Es fehlt auch nicht der Hinweis, dass „Olio di Benedetto“ erhältlich ist, gegen eine mäßige Gebühr, freilich. Das erschreckende Baby, erfahre ich, hat keine menschliche Hand geschaffen, sondern ein Engel aus dem Holz der Bäume von Gethsemane geschnitzt. Das immerhin ist ein schwacher Trost. Mir wurde schlecht. Mit zusammengepressten Lippen erzwang ich Mäßigung herbei, ehe es zur Enttarnung kam.

Durch den Hintereingang schlichen wir uns hinaus, vorbei an den fleißigen Helfern, die die St. Maria in Acrocoeli für die bevorstehende Hochzeit mit weißen Lilien schmückten. Im kleinen Garten, der sich zwischen den Kapitolplatz und die Kirche klemmt, beruhigte mich Morel. „Lies Leo Strauß“, sagte er. „Wie man herrscht.“ Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. Manche da oben glauben aber wirklich an Wunder. In der Stadt habe ich viel mehr Bildnisse des verstorbenen Johannes Paul gesehen als von Kardinal Ratzinger. Die Betrogenen ahnen manches. Immer wieder mussten die Kirchenfürsten die Stadt verlassen. Es war schließlich Cola die Rienzo, der Volkstribun, der auf der steilen, "Himmelsleiter"  genannten Treppe zur St. Maria in Acrocoeli 1354 seine bejubelten und gefürchteten Reden hielt. Er klagte die Macht für das Volk ein und wollte – wie konnte es anders sein – dessen erster neuer Tribun sein. Seine Herrschaft dauerte nur ganze sieben Monate. Er forderte die Herrscher der Welt vor seinen Richterstuhl. Das Volk, das er auf den Thron setzen wollte, bekam es mit der Angst zu tun. Mamma mia. Lasset uns beten. Cola floh. Der Kaiser im fernen Prag begnadigte ihn wider Erwarten. Triumphal zog er in Rom ein, doch unterhalb des Kapitols wurde er erschlagen. Ein jämmerliches Denkmal zeugt an dieser Stelle neben der Haupttreppe davon. Unter den Bäumen plätschert versteckt ein Brunnen. Colas Denkmal aber verbrennt wie er und wir in der Sonne.


Der Lärm lässt nach. Auch Rom kommt zur Ruhe. Der Wein ist leer. Es weht ein laues Lüftchen herein, das sanft über die noch von der Dusche her nasse Haut streift.

Gute Nacht! Buona notte!

1 Kommentar:

  1. Helmut Schulze gibt wertvolle weitere Hinweise und Korrekturen (wie schade, dass mein Italienisch nicht schlecht, sondern gar nicht vorhanden ist!): "wenn Sie einverstanden sind, mache ich hier meine anmerkungen: das faschistische gebäude ist sitz des "Obersten Gerichtsrats" (http://de.wikipedia.org/wi​ki/Consiglio_Superiore_del​la_Magistratura) - "olio di benedetto" wird wohl "olio benedetto" sein, nämlich "gesegnetes öl" und nicht "Benediktus-Öl", obwohl das bei dem derzeitigen pontifex-namen so abwegig auch wieder nicht ist, allein, ihm wachsen keine oliven aus den starrigen gebeinen. auf dem campidoglio rechts befindet sich die stelle des römischen standesamtes, wo man sich unkirchlich trauen lassen kann (einfach auf die aufgebote neben der tür achten). mir ist es selbst auch mal dort geschehen!" Vielen Dank! Ich werde darauf achten. (Aber kein Aufgebot bestellen!)

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