Mittwoch, 13. Juli 2011

Reisejournal Rom (6): NATURALISTISCH

Also heute keine „Steine gucken“. Die Jugend findet Rom vor allem höllisch heiß. „Ich glaube jetzt doch, dass es die Hölle gibt.“, sagt Mastermind.  „Die Hölle ist: Sommer in Rom.“ „Die ganze Stadt hat Fieber“, dröhnt es aus den Ipods. „Es ist zu heiß, um es wirklich geil zu finden.“ Im Forum Romanum entwickelten sie die Geschäftsidee, eine Kühltasche und Getränkedosen zu erwerben, um diese dann zwischen den Ruinen teuer zu verkaufen. „Dass noch keiner auf die Idee gekommen ist...“ „Die Mafia hat das fest im Griff, hast du´s nicht gesehen, übernehmen die das Geschäft.“ „Da muss man ganz cool bleiben und hart verhandeln.“ Auch  harte Jungs schwitzten unter der Sonne und verschoben die beste Geschäftsidee auf morgen, wenn sie sich besser akklimatisiert hätten.

Morgen aber, also heute, sollten keine antiken Steinberge betrachtet werden, sondern Caravaggio plus Schaufensterbummeln. Das war der Plan. Doch die Söhne der kulturbeflissenen Geisteswissenschaftler halten auf das Eltern-Kind-Abstandsgebot. „Kunst ist öd.“ Kirchen auch. Sowieso. Und Schaufenster? „Du weißt doch, dass wir Männer sind.“ Aha.

Wir kletterten nach dem Frühstück hinauf zur Trinita dei Monti, der Kirche der Franzosen,  nicht über die spanische Treppe, sondern sozusagen von hinten, von der Piazza Barberini her. Ein herrlicher Ausblick und unser erster Blick auf den Petersdom. „Das isser also.“  Die bekanntesten Kunstwerke im Inneren der Dreieinigkeitskirche sind die des Michelangel-Schülers Volterra, doch mich begeisterte mehr eine Darstellung der Geburt Christi von einem unbekannten Künstler des 16. Jahrhunderts: das strahlende Kind in der Mitte, ein Wunder in Blau für die verhärmten Hirten und die verklärte Mutter. 

An der Villa Medici vorbei setzen wir den geplanten Rundgang fort.  Den großartigen Ausblick könnte, stünde er nicht mit dem Rücken dazu, auch ein Signore Carioli genießen, der aber zu beschäftigt ist, mit seinem Revolver herumzufuchteln. „Was macht denn der Cowboy in Rom?“, fragte ich. „Keine Ahnung hast du“, schimpfte Amazing. „Das ist doch ein zweischüssiger Revolver, ohne Trommel, ganz anders als die Dinger in den Western.“ Stimmt, ich habe keine Ahnung. Die Interessen sind eben verschieden.


Vom Pincio stiegen wir hinab zur Piazza del Popolo. Seine prachtvolle Gestaltung verdankt der Platz einem der großen Erfolge des Katholizismus: der Konversion von Christina von Schweden. Ihr Empfang sollte auf diesem gen Norden gerichteten Platz propagandistisch verwertet werden. Auch Goethe berichtet davon, wie sehr ihn der Eintritt durch das Stadttor beeindruckt habe. Die Jugend erfreute sich vor allem am eiskalten Wasser, das von einem Brunnen an der Seite der Santa Maria del Popolo geschöpft werden kann. So erlebten sie mindestens ein wenig nach, wie müde Wanderer vor Jahrhunderten sich beim Eintritt in die Stadt am Brunnenwasser erfrischten. Im Inneren der Kirche stellen die beiden Gemälde von Caravaggio zweifellos die Highlights dar: die Kreuzigung des heiligen Petrus und die Bekehrung des heiligen Paulus.  Caravaggio ist ganz großes Kino, ein Effekthascher ohne Gleichen, aber es geht nicht um billige Reflexe, sondern um Eindrücke mit langen Nachwehen, um Gier und Gewalt, Schmerz und Sehnsucht, Niedertracht und Tod. Caravaggio konfrontiert die Betrachter mit Momenten, in denen die Einsicht in die eigene Verworfenheit und Sterblichkeit plötzlich aufstrahlt. Er wirft den frommen Geist, der nach dem Höheren strebt, zurück auf seine Gebundenheit an den Körper, dessen Pein und Begierden. Man hat beim Anblick der schmutzigen Fußsohlen und geschundenen Leiber, der groben Hände und verzerrten Gesichtszüge davon gesprochen, Caravaggios Malweise sei „naturalistisch“. Das trifft nur bedingt zu. Er zeigt nicht „die Natur“, sondern beleuchtet das gewaltige Wollen des Menschen und dessen Scheitern. Petrus wird in dem Moment, in dem Caravaggio ihn zeigt, bewusst, was ihm geschieht: In der Nachfolge seines Herrn wird er gekreuzigt werden. Er erfährt dies nicht als Erhebung, sondern als körperliche Vernichtung. Der Betrachtende hingegen erlebt diesen Moment als grell beleuchtete Offenbarung: So also wird gekreuzigt!

Zwischen den Zwillingskirchen  Santa Maria dei Mircacoli und Santa Maria in Montesanto liefen wir über die Via del Corso zum Mausoleum di Augusto, das vernachlässigt zwischen niedrigen Stadtpflanzen vor sich hindämmert.  Nebenan wird in einem gelungenen lichtdurchfluteten modernen Bau des Architekten Richard Meier die Ara Pacis gezeigt, ein Mamorrelief zur Verherrlichung Augustus und seiner Familie. Über die Via Condotti, die Luxusmeile mit den Boutiquen der noblen Designer ging es zur Spanischen Treppe. Die hatte ich als Kind in einem Doppelpuzzlekasten mit der Rialto-Brücke in Venedig. Am schwierigsten war es die vielen Puzzleteile auseinander zu klamüsern, auf denen Bruchstücke bunt gewandeter 70erJahre-Touristen zu sehen waren. Wir suchten verzweifelt nach einem Laden mit Snacks, Pizza, Obst, um uns ein Picknick zusammenzustellen, das wir im Park der Villa Borghese genießen wollten. Das war nicht einfach in dieser Gegend. Noble Designerläden, Lederwaren und sogar ein McDonalds, aber keine Bäckerei, keine Tavola calda. Erst als die Nerven schon blank lagen, wurden wir in einer Seitengasse fündig, erstanden Sandwiches, Obst und Getränke und suchten, schon recht entnervt, nach dem Eingang in den Park von der Via Pinciana aus. Nachdem wir, verschwitzt, zermürbt, durstig, hungrig eine Strecke in die falsche Richtung getrabt waren, hatten wir einen schönen Urlaubsstreit, wie er in jeder glücklichen Familie vorkommt.


Nach dem Picknick verabschiedeten sich die jungen Männer. Noch mehr Kunst an einem Tag hielten sie für unverträglich. So erlebten Morel und ich ganz ohne Druck unseren Rundgang durch die wunderbare Sammlung  der Villa Borghese.  Zwar fand Morel die schöne Paulina Borghese (Napoleons Schwester), die im klassizistischen Stil für eine Venus Model stand, „langweilig“. Aber es gab sonst viel Beeindruckendes zu sehen. Wer Rubens Grablegung Christi gesehen hat, wird verstehen, warum sich der Maler aus Flandern wiederholt für Caravaggio verwandte, als dessen Stern in Rom wegen seiner Unbeherrschtheit und wegen der Kompromisslosigkeit seiner Kunst schon im Sinken war. Von Caravaggio sind in der Villa Borghese unter anderem die Madonna dei Palafrenieri und David und Goliath zu sehen. Bei letzterem könnte es sich um ein Doppelselbstporträt handeln, das den jungen Caravaggio mit dem Dolch (dem sind die Initialen des Meisters eingeprägt) zeigt, wie er sein älteres Alter Ego enthauptet. Der abgetrennte Schädel wirkt noch lebendig in seinem Schrecken und seiner Verzweiflung. Es wäre dann dieses Altersbildnis ein Resümmé des Künstlers, der zeigte, wie seine jugendliche Neigung zu Gewalt ihm im Alter zum Verhängnis wurde. Mir ist dies ein wenig zu moralisierend gedacht. Der noch nicht 40jährige Caravaggio, der an Malaria starb, hoffte wahrscheinlich bis zuletzt aus Rom noch begnadigt zu werden und an alte Erfolge anknüpfen zu können.



Am schönsten fanden Morel und ich heute das rätselhafte Gemälde Tizians Heilige und profane Liebe. Mit diesem Eindruck in den besänftigten Herzen traten wir aus den kühlen Museumsräumen hinaus in die glühende Hitze des römischen Sommers. In der Wohnung in der Via Sommacampagna konnte indessen vor dem Fernseher der Sprintsieg von Mark Cavendish bejubelt werden. „In Italien machen sie nicht so einen Stress wegen Doping. Die Tour ist hier immer noch der Hit.“ Ich bin auch dafür, Doping für alle freizugeben. Und ein Extrapodium plus Trikot für die Team-Ärzte einzurichten.

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