Sonntag, 24. Juli 2011

ÜBER MIKROBEN UND SCHÖNHEITSSINN. Eine zweite Nach-Lese zu Rom (diesmal von MOREL)

Als das Reisen noch gebildet hat. Mit dem Peterich in Italien

Lange Zeit bin ich ohne Führer auf Reisen gegangen. Ungeführt fanden wir immer die schmutzigsten Strände, die billigsten Garküchen und die unscheinbarsten Dorfkirchen. Aber garantiert keine Sehenswürdigkeiten. Später wurde die Zeit knapp, das Leben kurz und die Reisen hektischer. Da kamen die sich in den eintöniger werdenden Buchkaufhäusern immer mehr vervielfältigenden Reiseführer zupass, die versprachen, die Mühen und Enttäuschungen individueller Erfahrungen in ein konsumierbares, standardisiertes Massenprodukt namens Erlebnis zu verwandeln. Und so finden sich alle jeden Sommer in derselben einzigen authentischen Pizzeria Roms ein. Auf den Spuren Dan Browns oder Goethes. Aber wer nur dem Reiserführer traut, wird nie in der Fremde ankommen. Wer aber ohne Führer reist, seien das Bücher, Freunde oder beides, wird seine Heimat nie verlassen. Denn um die im Grunde erotische Kunst des Reisens zu lernen, muss man sein Ich auf Zeit verlieren, die eigene Souveränität abgeben. Ansonsten hat man von einer Reise auch nur das zu erzählen, was einem schon immer durch den Kopf geht.

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So wie Proust, der immer gerne bereit war, andere Autoritäten anzuerkennen, sich auf die Spuren des englischen Kunstgelehrten Ruskin machte, um Venedigs Kunstschätze kennenzulernen, müssen deutsche Bildungshungrige in den 60er Jahren mit dem dreibändigen Werk Italien von Eckart Petrich in den Urlaub gefahren sein. Ansonsten wäre dieses voluminöse, im Prestel-Verlag erschienene Erzähl- und Nachschlagewerk nicht 1967, ein Jahr vor dem Tod Peterichs noch in einer dritten Auflage erschienen. Der ein bewegtes Leben geführt haben muss, wie dem entsprechenden Wikipedia-Eintrag zu entnehmen ist: in Berlin geboren; in der Nähe von Florenz aufgewachsen; Jugend in der Gartenstadt Hellerau; Freundschaft mit dem expressionistischen Dichter Theodor Däubler; bis 1933 Journalist in Rom, Athen und beim Völkerbund in Genf; danach freier Schriftsteller; nach dem Krieg wieder Journalist und kurze Zeit Leiter der deutschen Bibliothek in Rom. Veröffentlicht hat er Gedichte, Bücher über Göttinnen und Götter sowie den immer noch antiquarisch erhältlichen Italien-Reiseführer.

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Weil es sich bei Rom bekanntlich um eine ewige Stadt handelt (und die Innovationsfreude der Italiener sich eher auf kurzlebige Kunstformen wir die Mode beschränkt) ist dieser Führer nur an wenigen Stellen nicht mehr nützlich. Éin wenig schroff die Autorität mit der Peterich, die Spreu vom Weizen trennt, aber alles in allem, darf man sich ihm anvertrauen. So beschreibt er ein Bild Velazquez im Palazzo Doria als eines der „großartigsten Männerbildnisse, die es überhaupt gibt“. Aber er belässt es nicht bei den Superlativen, die wir aus den schnappatmigen Reiseführern unserer Tage kennen:,

„Ein Freund von mir, mit dem ich vor dieses Bild trag, brach in den Ausruf aus: ‚Und diese Kanaille hieß Innozenz!’ Wer länger hinschaut, sieht im Gesicht dieses Greises mehr Misstrauen als Tücke, eine Strenge, die er sich vielleicht befohlen hat, einen großen Ernst. In diesem Gesicht sind harte Gegensätze: Gleichgültigkeit und Argwohn, Verschlossenheit und Launenhaftigkeit, mürrisches Wesen und Gewalttätigkeit. Das herrliche Bild ist durch seine hundertfach abgewandelten Purpurtöne und durch das Gold am Rahmenwerk des Lehnsessels von einer Pracht und Würde, die seltsam mit dem zwiespältigen Gesichtsausdruck des Papstes kontrastieren.“

Diese Beschreibungskunst, die Peterich auf die Brunnen Berninis, die Kirchen Borrominis und tagtäglich tausendmal fotografierte Denkmäler anwendet, verfeinert die Sinne seiner Leser anstatt sie zu konditionieren. Sie werden es vielleicht anders sehen, aber sie werden sehen. Und in der Tat muss man Peterich, der auch ein großes Plädoyer für die Kulissenkunst des Barock und gegen den Klassizismus hält, nicht in Allem folgen. Ein Führer zeigt, geht voran, aber er schiebt nicht. Hier kommt er auf den ja heute zum Kunstheiligen ernannten Caravaggio zu sprechen. „Er ist ein Revolutionär vom reinsten Wasser, gewalttätig und grausam wie ein Revolutionär, übrigens auch als Mensch.“ Daran stört sich Peterich nun nicht, ein bisschen aber schon an den erotischen Neigungen des Malers. „Wir alle lieben seine Blumen und Früchte…Aber manches an seinem Werk beunruhigt und befremdet uns. Auf einigen seiner Bilder drängt er uns seine päderastischen Neigungen peinlich auf….Man kann sich auch an seinen gläsern reinen Lokalfarben stoßen.“  Abgesehen davon, dass dies auch noch zehn Jahre später über Robert Mapplethorpe gesagt werden wird, inklusive der Blumen, hört Peterich nicht bei seinen homophoben Vorurteilen auf. „Aber als Revolutionär, der gegen die zwar edle, aber doch schon ein wenig müde Fortsetzung der Renaissance aufbegehrte, indem er ihrem Verblassen, ihre Blässe seine Farbenfülle, seinen Überschwang an grellem Licht und tiefen Schatten entgegenstellte, ihrer Anmut und Lieblichkeit seine Gewalttätigkeit … werden wir ihn bewundern müssen.“

Schließlich beweist Peterich seinen Sinn für das Schräge und Abseitige überall da, wo er in kleinen Feuilletons von der im der manchmal doch mühsamen Reiseführerpflicht abschweift. Schon auf dem Weg nach Rom ergeht er sich angesichts von Mittelmeerinseln in düsteren, dunklen Warnungen vor der Inselsucht: „Der Weg führt von der Absonderung über das Absonderliche leicht zum Sonderlingstum…Vor allem künstlerische Naturen geraten in solche Gefahr.“ Spricht er da aus eigener Erfahrung? In der Folge jedenfalls beschreibt er in durchaus phantastischer Weise den seltsamen Grenz- und Geschlechtsverkehr zwischen Meer und Land: „Die wunderbaren Mischlinge aus dem Meer lockten mit leuchtenden Blicken und schwellenden Brüsten zu einer Lust, die der Schuppenleib nicht gewähren konnte und je menschlicher es zuging im Insellicht, um so mehr sah sich die See auf ihr Tierisches beschränkt. Wir dürfen vom Meer – und darum von den Inseln – nicht nur Lust erwarten.“  Diese Worte Peterichs sollten unsichtbar über allen Stränden aller Sommerferien aller Zeiten stehen. Nach Rom geht es im Übrigen in seine Lieblingsstadt Neapel: „Fliegen und Kitsch darf man dabei nicht fürchten. Ein paar Mikroben festigen die Gesundheit und ein wenig schlechter Geschmack den Schönheitssinn.“ Das ist gut gesagt. Den Peterich liest man am besten vor der Reise, vergisst dann alles und erinnert sich plötzlich in einer Villa daran, dass hier die Teller nach dem Abendessen aus dem Fenster geworfen wurden – um hernach, von den Gästen unbemerkt, in Netzen aufgefangen zu werden.

Eckhart Peterich: ITALIEN II, Prestel, antiquarisch ab  € 14,99

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