Samstag, 20. August 2011

"HOUSEWIFE FINDS TIME TO WRITE SHORT STORIES"

Mit diesem Satz zitiert Sheila Munro in „Lives of Mothers and Daughters“ die Vancouver Sun, die 1961 einen Artikel über ihre Mutter, Alice Munro, veröffentlichte. Diese Überschrift, wohlwollend gemeint offenbar, geht mir nicht aus dem Kopf. Man bewundert, wie eine junge Ehefrau und Mutter neben ihrer eigentlichen Berufung noch Zeit findet, Kurzgeschichten zu schreiben, die sogar von Literaturkennern geschätzt werden. Gleichwohl drückt der Satz aus, dass Alice Munro, die Hausfrau, eine Dilettantin ist. Schreiben, das ist klar, ist nicht ihr Beruf. Diese Unterstellung des Dilettantismus, die vor allem weibliches Schreiben seit Jahrhunderten trifft (auch Goethe und Schiller mokierten sich über den „Dilettantism der Weiber“) wäre auch Sätzen zueigen wie „Schreiner findet Zeit Kurzgeschichten zu schreiben“ oder „Lehrerin findet Zeit Kurzgeschichten zu schreiben“. Dennoch schwingt, meinem Empfinden nach, in dem Satz über die Hausfrau noch etwas anderes mit, was das Schreiben (oder jede künstlerische Produktion) von Frauen mit Familie betrifft. Der Schreiner oder die Lehrerin sind keine professionellen Schriftsteller, aber sie haben eine Profession. Hausfrau sein dagegen ist keine (da mag der Hausfrauenverband behaupten, was er will). Zwei Fakten sprechen dagegen: Hausfrauen werden für ihre Tätigkeit nicht bezahlt (um die indirekte Ehefrauen-Dividende geht es jetzt nicht, die ist ja gerade privat und nicht professionell einzustreichen).  Zweitens: Hausfrauen müssen nix können. (Ich höre geradezu das Jaulen der Heim-Arbeitslosen). Zwar gibt es allerlei gute Ratschläge für perfekte Hausfrauen und zweifellos kann man die zu erledigende Arbeit besser oder schlechter machen. Allerdings kann sich jede, die daheim ist, ab und zu Krümel wegwischt oder die Klospülung bedient, „Hausfrau“ nennen. Das heißt nicht, dass es nicht viele gibt, die sich als Hausfrau den Rücken krumm und die Hände schwielig schuften. Da es sich aber nicht um eine professionelle Tätigkeit handelt, gibt es auch keine professionellen Qualitätsmaßstäbe. Trotzdem unterliegen Hausfrauen einem erheblichen Druck. Die ganze hausfrauliche Nachbarschaft (Alice Munro nannte sie die „Monicas“), oft die eigene Mutter, verwöhnte angeheiratete Muttersöhnchen und bemutterte Ehemänner beurteilen das Werk der Hausfrau und mäkeln daran herum. Vor allem wird man nicht Hausfrau, weil man es möchte (die vielgerühmte Wahlfreiheit, für die sich die christliche Partei Deutschlands stark macht), sondern jede Frau, die heterosexuell mit einem Mann zusammenlebt und erst recht jede Mutter, sofern sie nicht in bestimmten großstädtischen Vierteln lebt, wird von einem nicht unerheblichen Teil des Umfelds als Hausfrau betrachtet. Ist das Hemd des Lebensgefährten bekleckert, so wird sie darauf hingewiesen. Der Hinweis, dass sie sich mit den Hemden dieses Mannes nicht befasst, wird bestenfalls mit ungläubigem Erstaunen hingenommen. Endgültig schnappt die Falle zu, wenn Kinder mit der Frau in einem Haushalt leben. Die sauberen Hosen, der ordentlich gepackte Schulranzen, die Pausenverpflegung – das alles wird erstmal der Frau zugerechnet, selbst wenn für einen Teil dieser Versorgungsleistungen der Lebensgefährte die Verantwortung übernimmt. Dass die Frau dafür nicht zuständig ist, weil sie sich selbst eben nicht als „Hausfrau“ sieht, muss immer erklärt werden. Das Schlimmste aber ist, dass in vielen Frauen ein Dämon wütet, der wider ihr besseres Bewusstsein auf sie selbst als „Hausfrau“ guckt und ihnen Schuldbewusstsein einimpft, wann immer sie den hausfraulichen Ansprüchen, die sie in Diskussionen eloquent zurückweisen können, nicht genügen.

Deshalb kommt es so häufig vor, dass man über Autorinnen liest, ihr Schreiben sei ein Geheimnis, von dem nur ein sehr kleiner Kreis Kenntnis gehabt habe. Jane Austen verbarg ihr Schreibheft unter einer Stickarbeit, sobald ein Besucher gemeldet wurde. Sheila Munro berichtet über ihre Mutter ganz Ähnliches. Sie habe ein „secret life“ als Autorin geführt, das gänzlich abgespalten gewesen sei von ihrem Leben als Ehefrau und Mutter in West-Vancouver. Auch ich selbst habe, als ich wieder zu schreiben begann, dies zu Anfang schamhaft vor der Umwelt verborgen. Von einem männlichen Autor habe ich Ähnliches noch nie gelesen. Es ist eine doppelte Schuld und Scham, die Frauen dazu bringt, ihre schöpferische Tätigkeit zu verheimlichen, glaube ich.

Einerseits fühlen sie sich schuldig, dass sie der Familie einen so bedeutenden Teil ihrer selbst entziehen (Zeit und – mehr  noch – Anteilnahme). Dieses Schuldgefühl, das auch die meisten Mütter kennen, die berufstätig sind, verstärkt sich im Fall einer kreativen Tätigkeit noch, da diese ja „freiwillig“ gewählt wird (oder es zumindest so scheint) und daher „überflüssig“ ist. Andererseits sind Frauen traditionell auf andere Weise als Männer von der Dialektik zwischen Privatheit und Öffentlichkeit betroffen. Für Frauen ist das Private „ihre Welt“, die gerade nicht öffentlich gemacht werden soll: das Refugium für Mann und Kinder, das die Frau schafft und behütet. Eine Frau, die sich öffentlich macht, wird zum Objekt („Zeigefreudige Sabrina“ untertitelt BILD ein Foto), statt wie ein künstlerisch  tätiger Mann zum Subjekt seiner Schöpfungen. Sich öffentlich zu machen, ist für viele Frauen mit Scham besetzt.

Frau kann darauf mit dem Willen zur Androgynität reagieren, indem sie wie Virginia Woolf mit guten Gründen vorschlägt, die Trennung in die Zweigeschlechtlichkeit verneint und den Transfer in einen androgynen Geist sucht, der erst wahrhaft fruchtbar werden könne. Diese Bewegung, das ist bekannt, haben umgekehrt viele männliche Kunstschaffende auch behauptet (denn es bleibt selbstverständlich nur die männliche Imagination des Weiblichen, die sie sich erschreiben): Madame Bovary, Effi Briest, Anna Karenina sind deren „Gewährsfrauen“. Es gilt aber immer noch zumeist, was Woolf schon vor beinahe einem Jahrhundert schrieb: „Frauen schreiben nicht über Männer.“ Dieser Weg also scheint nur bedingt gangbar für Frauen. Wenn eine dagegen als Frau schreibt (und Virginia Woolf, die den Selbstwiderspruch, weil sie klug war, nicht scheute, sondern vorantrieb, gab an, dass sie immer Frau sei, wenn sie schreibe), sieht sie sich unweigerlich mit den Bildern von Frauen als Objekten männlicher Imaginationen, die unsere Kultur hervorgebracht hat, konfrontiert Diese Bilder, die ihr Selbstbild geprägt haben, lassen sich nicht komplett verdrängen. Die Frage ist: Wie kann frau mit ihnen umgehen? Sollen wir sie uns aneignen und umwerten wie die Zuschreibung „Schlampe“? Oder sollen wir uns diesen Blicken auf uns entziehen, indem wir von dem erzählen, was stattfindet, wo kein Mann zugegen ist? Beides. Selbstverständlich. Dazwischen. Aus diesem Dazwischen schreibt Alice Munro. Das, so sagte sie, sei ihr vielleicht möglich, weil sie so ganz außerhalb einer Tradition stehend zu schreiben begonnen habe - weder männlich noch einer auf Bildung bedachten Mittelschicht zugehörend. Dies habe sie ihren Erfindungen Vertrauen schenken lassen, ohne sie durch zuviel (Selbst-)Bewusstsein zu ersticken. 



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