Freitag, 9. September 2011

EDITION FAUST: BILDMAGIE TRIFFT WORTKUNST

Das Online-Kulturmagazin Faust bringt unter dem Titel EDITION FAUST eine Reihe heraus, die „Bildmagie und Wortkunst“ vereint. Die ersten vier Titel dieser Reihe wurden am 6. September in der Villa Metzler am Frankfurter Schaumainkai vorgestellt. Herausgeber der Reihe ist Werner Ost; unterstützt wird die Edition, die im Frankfurter Verlag B3 erscheint, von der Galerie ArtVirus Ltd.

Die vier Bände sind größer als das Standard-Taschenbuch-Format und auf hochwertigem Papier gedruckt, jedoch dünn (maximal 36 Seiten) und geheftet, das bietet einerseits die Möglichkeit, die Zeichnungen, Fotografien und Gemälde angemessen abzubilden, andererseits aber auch eine vertretbare Preiskalkulation zu ermöglichen (€ 14,90 pro Band). Das Konzept der Reihe ist ungewöhnlich offen: Es sollen von visueller Seite Malerei, Zeichnung, Fotografie, Cartoon und als Texte Erzählung, Novelle, Essay, Lyrik und Dramatik möglich sein.

„IM HOSPITAL“ zeigt Fotografien von Ramune Pigagaite im Verbund mit einer Erzählung von Matthias Göritz. Ramune Pigagaites Fotografien der Menschen im Hospital drängen diese in die Ecke eines weißgetünchten Raumes, in der sie in ihrer Arbeitskleidung und mit ihren Arbeitsutensilien in eigentümlich geschäftigen, aber sinnlosen Posen stehen. Pigagaite beschrieb bei der Präsentation in der Villa Metzler, wie sie die fotografische Arbeit mit dem Krankenhauspersonal auch als Therapie der eigenen Angst vor dem Kontrollverlust durch Krankheit und Hospitalisierung begriff. Tatsächlich versetzt der Blickwinkel, aus dem sie das Personal zeigt, die Mitarbeiter des Krankenhauses aus ihrer aktiven, beherrschenden Rolle in eine passive, durch die Fotografin gelenkte und beschränkte Position. Dem widerspricht indes die gleichfalls ausgestellte Handlungsfähigkeit, die jedes der Porträts betont. Die Dargestellten sind an ihrem vertrauten Arbeitsplatz, jedoch aus einer sinnstiftenden Situation gerückt. Es wird deutlich, was sie können, aber auch, dass sie jenseits ihrer Professionalität individuelle, verunsicherbare und ver-rückbare Personen sind, wie jene, denen sie behandelnd in bester Absicht zu Leibe rücken werden – gerade so wie ihnen hier die Kamera von Pigagaite: bestimmt, aber doch respektvoll.

„FRIENDLY FIRE“ stellt eine weniger bekannte Seite des Malers und Zeichners Volker Reiche vor, den viele vor allem durch die Comic-Serie STRIZZ aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kennen. Reiches Gemälde greifen berühmte Bilder aus der Kunstgeschichte, Fotographien, Comic-Serien und die Ästhetik von Computerspiel-Simulationen auf, um Faszination und Schrecken der Gewalt des Menschen gegen den Menschen darzustellen. Dass der Mensch aus dem Töten eine Kunst gemacht hat und wie er dem blutigen Handwerk und der Angst vor dem Tod ästhetischen Reiz abgewinnt, ist das Thema dieser beeindruckenden Bildserie. Die Kombination von Wort und Bild, die für den Comic-Zeichner naheliegt, steht im Mittelpunkt des glänzenden Essays des FAZ-Redakteurs Andreas Platthaus „Die Gnade des Unleserlichen“. Reiches Bilder kommen unverkennbar von einer Tradition her, die durch das Bild Geschichten erzählen will. Ein Maler allerdings, der erzählen will und keinen Comicstrip (oder einen Teppich von Bayeux) produziert, sondern sich auf das gerahmte Viereck des Bildes beschränkt, sucht gewöhnlich den „fruchtbaren Moment“, jenen Augenblick, in dem die Bewegung des Ganzen sichtbar wird (die Kämpfer treffen aufeinander) und der Ausgang sich andeutet (der Sieger setzt die Spitze des Speers auf die Brust des Unterlegenen). Doch Reiches Bilder halten zwar die hass- und schmerzerfüllten ekstatischen Bewegungen auf der Bildfläche fest, verweigern ihnen aber gerade den sinnstiftenden Erzählzusammenhang. In „Friendly Fire with Pablo“ wird diese Strategie auch in ihrer Umkehrung sichtbar: Wenn in Picassos „Guernica“ der Schrecken statisch wird, zur Erstarrung führt, so stellt Reiche ihn als eine permanente Überdehnung aus. Was bei Picasso eine stumme Klage über die Wirren des Krieges ist, verwandelt Reiches expressive Malweise in einen Schrei der Lust und des Schmerzes, der Gier nach dem Blut des Gegners und der Abscheu vor dem Wahnwitz unserer Taten. Volker Reiche  kündigte in der Villa Metzler an, dass im kommenden Jahr eine Ausstellung dieser Gemälde in Frankfurt geplant sei. Auf die kann man sich freuen.

„SCHLAFE TRÄUME FLIEG“ vereint die Portätzeichnungen des Mitbegründers der „Frankfurter Neuen Schule“ F.W. Bernstein, die berühmte Romantiker zeigen, mit einer phantastischen Geschichte von Otto A. Böhmer. Wie der Ich-Erzähler der Geschichte möchte auch die Leserin einmal auf dem zerschlissenen Sitz einer deutschen Straßenbahn die Aufforderung finden: „Die Welt muss romantisiert werden!“; sie müsste nicht einmal, wie in Böhmers Erzählung, von einer GEW e.V. unterzeichnet sein, von der nichts weiter bekannt ist, als dass sie keinesfalls identisch sein kann mit der Gewerkschaft der verbeamteten Lehrerinnen und Lehrer (die vielmehr, wie man sich denken kann, die Realisierung dieser Aufforderung sehr zu fürchten hätte). Böhmers Erzählung braucht das Wohlwollen nicht, dass ihm als Autor von „Wenn die Eintracht spielt“ von dieser speziellen Leserin entgegengebracht wird. Sie vermag auch ohne diese Voreinstellung vollkommen zu überzeugen. Der Erzähler wird nach langer Zeit aus einer Anstalt entlassen, in der er gehalten wurde, da er für die „gewöhnliche Welt“ nicht tauge. Jetzt soll er es noch einmal probieren, doch stößt er sogleich auf jene Botschaft in der Straßenbahn, was kein Zufall sein kann, steht er doch lange schon mit den Romantikern in regem Briefkontakt, namentlich mit dem "Vernünftigsten" unter ihnen, seinem „Freund Eichendorff“. Es ist diese Erzählung (auch) ein Lobpreis der „Traurigkeit des Herzens“, wie sie eine jede fühlende Seele kennt: „Die Vergänglichkeit, auf die sich solche Gefühlslage bezieht, ist nicht dumm, sie gehört mit dazu, zum Leben, zu uns selbst, sie ist der Preis, den wir dafür zu entrichten haben, dass immer nur Gegenwart ist und wir keine Geschichten kennen, als die, die wir uns selber zusammenschreiben; sie macht auch die Farben aus jenes mal fernen, mal nahen Widerscheins, den wir die Zukunft nennen.“ Allerdings ist darauf zu sehen, dass der Preis für jenes ersehnte „Summen in Herz und Kopf“, nicht zu hochgetrieben wird, wie jede weiß, die in Wachträumen schon mit dem Kopf gegen die durchsichtigen Eingangstüren von Einkaufsparadiesen geknallt ist. Sie altern, die Romantiker, sehen „immer noch ganz flott“ aus (Eichendorff) oder leben zurück gezogen und erschrecken mit ihren Absonderlichkeiten gelegentliche Besucher (Brentano). Die Phantasie frisst ihre Kinder auch. Der Erzähler vermag sich, dem Lebensflug seiner romantischen Freunde vorauseilend, nicht „wiedereinzugliedern“. Er verschwindet „wenig später“.

 „SAFE HEAVEN“, in dem zwei Grenzgänger, die Fotografin Vanja Vukovic und der Erzähler Guido Rohm miteinander ins Gespräch kommen, habe ich bereits vorgestellt („SAFE HEAVEN. But heaven can wait“):  „Wie Vukovics Bildsprache die alltägliche Fremdheit der Migranten durch die Nacht scheinen lässt, so migrieren die Versatzstücke des Trivialen in Rohms Texten in die Literatur. Beide unterlaufen Erwartungshaltungen, jedoch nicht durch Überwältigung, sondern als Schleuser, die das Fremde über die grünen Grenzen des Bewusstseins in die Landläufigkeit einführen.“

Es ist eine schöne, sonderbare, subjektive Reihe, die Werner Ost da herausgibt. Man darf auf die folgenden Bände gespannt sein. 

Edition FAUST, jeder Band € 14,90


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