Freitag, 21. Oktober 2011

Tage in der Mark

Wuthenow/Kossätenhaus
Was für ein Himmel. Die Nächte klar und am Firmament funkeln so viele Sterne. Die sah ich nicht über Frankfurt oder Rom, wo  Flugkörper ihre Schneisen ziehen und ein ewiger Dunst den Blick ins All verdunkelt. Dort oben leuchtet, was größer ist als alle menschliche Geschichte und länger währt.  Man kann hier still werden und sein. Die Oberfläche des Wasser kräuselt sich leicht. Der Mond zieht eine Bahn, dort oben am Himmel wie hier unten auf dem Wasserspiegel. Von eben jener Stelle aus schaue ich über den See hinüber nach Neuruppin, an den sich Fontane das Schloss derer von Wuthenow dachte, über dessen Terrassen herab sich Schach in jener Nacht der Krise zum See hinab begab und den Kahn bestieg. Man sieht die schöne backsteinerne Neuruppiner Kirche mit ihrem Doppelturm weit über den flachen Häusern der Stadt aufragen.


Rheinsberger Schloss
„Nur in Rheinsberg habe ich gelebt“, hat der Alte Fritz fast gegen Ende seines Lebens behauptet. Die Dame, die uns preußisch zügig durch die Räume führt, lacht: „Vier Jahre auf einer Baustelle.“ Ein Versuch ist Rheinsberg wohl gewesen für Friedrich: Mit kleinem Budget, aber gleichbleibendem Team zu gestalten: Knobelsdorff, Glume, Pesne. Musizieren, Lesen, Philosophieren. Ein Feingeist, der das Heer, das der grobschlächtige, aber friedensliebende Vater schuf, in die Kriege führte, die Preußen groß machten. Sein Bruder Heinrich übernahm das Schloss nach Friedrichs Thronbesteigung und Friedrich stellte dem Bruder, von dem er wusste, dass er – gleich ihm – Männer begehrte, eben jene Bedingung, die schon der Vater an ihn gestellt hatte, bevor er ihm Rheinsberg übertrug: Heirate! Die Frauen hatten keinen Stand bei diesem Brüderpaar. Beide verstanden es, die ihre loszuwerden, um so leben zu können, wie es ihrer Neigung entsprach. Rheinsberg und seine Gärten: „Ein Bild von ungewöhnlicher Schönheit...erst der ganze Wasserspiegel, an seinem Ufer ein Kranz von Schilf und Nymphäen, dahinter ansteigend ein frischer Gartenrasen und endlich das Schloss selbst, die Fernsicht schließend.“ Im Seitenflügel findet sich ein liebevollst eingerichtetes Kurt-Tucholsky-Museum, das diesen zarten, rundlichen, witzigen, heftigen, polyamoren Schriftsteller, dessen sich Deutschland nicht würdig erwies, vorstellt. Den Briefwechsel mit seiner Frau Mary habe ich meinem Stapel (noch) ungelesener Bücher hinzugefügt.

Neuglobsow/Stechlinsee
Ein wenig fürchtete ich mich, als es zum See hinunter ging. Was wenn zwischen den Bäumen eben irgend so ein See läge, träg, flach und schön, der nicht mehr zu mir spräche, sondern still sich zwischen die Buchenwälder streckte? Neuglobsow ist unverändert: Es wird gewerkelt und geschönt, nebenan verfällt die Gaststätte mit Saalbau, in deren Fenstern verstaubt noch die Spitzengardinen hängen. Die Kaufhalle ist geschlossen. Das wusste ich schon aus dem Netz. Dann steh ich am Badestrand und alles ist da -. Nichts von der Magie verloren. Das ist der Ort. Von hier aus. Wenn der rote Hahn über dem See kräht...Es geschieht. Einmal rund herum. Das Kernkraftwerk lugt harmlos zwischen den Bäumen hervor. Die Abendsonne schimmert durchs Schilf. Krähen fliegen auf. „Und nun setzten wir uns an den Rand eines Vorsprungs und horchten auf die Stille. Die blieb wie sie war: kein  Boot, kein Vogel und auch kein Gewölk. Nur Grün und Blau und Sonne.“

Neuruppin/“Fontane-Therme“
Fontane stellte in den Wanderungen über das einleitende Kapitel zu Neuruppin die Verse Georg Hesekiels: „So ein alt und sauber Örtchen...“ Das wirkt noch. Es waren wohl vor über zwanzig Jahren mehr Häuser grau und verfallen, die jetzt aufgeputzt in hellen Pastellfarben um die großen Plätze stehen, die zum Exerzieren taugen. Die Garnisonsstadt habe, so schrieb Fontante, sich Plätze und breite Straßen zugelegt wie einer, der sich einen Rock anziehe, der ihm zu weit sei und in den er niemals hineinwachsen könne. Doch hält er auch fest, dass seine Geburtsstadt „eine schöne Lage habe“ – und das ist wahr: „See, Gärten und der sogenannte Wall schließen es ein.“ Zwischen Touristenidyll und Hartz IV-Elend, Skippers mit Hamburger Schnitzel (aus der Friteuse, mit Spiegel-Ei oben drauf) und 70er Jahre- Schlagern, Grand Hotel und „Fontane-Therme“. Auffällig viele Trainingshosenträger besitzen einen Mops. Genug sauniert. Fröstelschauderglück im eisigen Seewasser. Solegleitbecken. Kräuterdampfbad. Ein Schläfchen im Ruheraum. Wie weich sich die Haut anfühlt und wie müdefroh der ganze Körper nach dem Schwimmen.


Und schon sind die paar Tage herum. Dass ich wieder kommen muss, weiß ich. Die Mark ist spröde. Man muss sie umwerben. Dann findet man was: „statt der Nachschlagebuche- und Allerweltsgeschichten werden Sagen und Legenden und hier und da selbst die Bruchstücke verklungener Lieder zu dir sprechen.“ Ich will lauschen.

2 Kommentare:

  1. Aus Deinen Beschreibungen der Mark klingt heraus, dass sie zu Dir spricht und eine gute Zuhörerin gefunden hat. Deshalb lausche ich so gerne der Vermittlerin.

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  2. Es ist was Magisches, besonders am Stechlin.

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