„Da wollen wir aufgeklärte Zeitgenossinnen sein, frei und gleich, und doch schaffen wir es, diesen Anspruch mit unserem Verhalten ständig zu konterkarieren. Gerade in unserem privaten Bereich, mit unserem individuellen Verhalten reißen wir die Kluft auf zwischen unserem modernen Selbstverständnis und unserem gelebten Leben. Dort, wo wir die größte Freiheit haben, uns zu entwerfen, gerade dort beugen wir uns den Vorgaben uralter Muster. Gerade dort bauen wir eine Zwangskulisse auf, die uns angeblich alle Wahlmöglichkeiten nimmt.“
„Wut-Buch“ passt - in jede Richtung. Dieses Buch ist ganz offensichtlich aus Wut geschrieben. Und es macht mich wütend. Verdammt wütend. Weil einiges stimmt. Weil ich auch in die beschriebenen Fallen (die Hormone, romantische Liebe, Kümmersyndrom, Mama-ist-die-Beste, Verlustangst) getappt bin. Weil ich mir das vorwerfe. Und mich dafür schäme. Weil ich mich mit manchem eingerichtet habe, was ich früher falsch fand. Weil ich feige gewesen bin, weil ich gehofft habe, wo nichts zu hoffen war, weil ich mich kleiner gemacht habe, als ich bin und damit kokettiert habe, weil ich gelächelt habe, wo ich hätte zuschlagen sollen, weil ich darauf verzichtet habe zu kämpfen und stattdessen gemeckert und gejammert habe. Das stimmt alles. Weil ich mich mit der komplizenhaften Männlichkeit in einer männlich dominierten Gesellschaft eingelassen und selbst zu ihrer Komplizin geworden bin. Weil ich durch meine Bereitschaft zu bezahlter Teilzeitarbeit und unbezahlter Kinder- und Haushaltsarbeit mitgewirkt habe am Bestand patriarchalischer Strukturen, die gut eingerichtet sind, so dass Geld, Ansehen, Macht auf die eine Seite fallen und auf die andere Armut, Anhänglichkeit, Abhängigkeit.
Aber ganz stimmt das nicht. Oder auch: überhaupt nicht. Weil das alles zu schlicht gedacht ist. Weil ein Männerleben aus Streben nach Geld, Ansehen, Macht (wobei in Wahrheit auch die allermeisten Männer davon so gut wie nichts erreichen) mir tatsächlich nicht als die „Krone der Schöpfung“ erscheint. Weil (Erwerbs-)Arbeit meiner Erfahrung nach keineswegs allein sinnstiftend ist (auch für die allermeisten Männer nicht). Weil ich Ackermann nicht sexy und Angela Merkel nicht anziehend finde, sondern Männer und Frauen, die anders leben, andere Hoffnungen haben und mehr zu lachen (um auch mal ein bisschen plump zu werden!)
Das Buch von Basha Mika stellt einige richtige und wichtige Fragen. Aber die Antwort, die es suggeriert, ist völlig inakzeptabel: Frauen, arbeitet mindestens 40 Stunden (eher mehr), strebt nach Geld, Einfluss, Ruhm (tatsächlich nur von einer Minderheit in größerer Menge zu erreichen, selbst unter Penisbesitzern), kriegt, wenn ihr´s unbedingt wollt (eher ist abzuraten) auch ein Kind und fordert von euren (eventuell männlichen) Partnern (falls ihr euch auf welche einlasst), dass sie die Hälfte der unbezahlten Arbeit machen (mindestens)! Die letzte Forderung unterschreibe ich sofort. Aber: Hier fehlt mir viel, fast alles, was für mich zu einem gelingenden Leben gehört: selbstbestimmte, nicht zweckorientierte Tätigkeit (Bildung, Kunstschaffen), Freude an reproduzierender Tätigkeit (nenn es ruhig „Nestbau“) und vor allem: Liebe und Freundschaft. Das, sagt Mika, ist aber die Falle. Auch die Liebe soll mäßig sein. Und die Freundschaft darf nicht zuviel Zeit kosten, es sei denn es geht um „Netzwerken“.
Basha Mika hat recht, wenn sie feststellt, dass „wir“ (besonders im „Mutter-Land“ Deutschland) in einer Gesellschaft leben, die Frauen komfortable, weil akzeptierte Auswege aus dem Erwerbsleben eröffnet (sie nennt das „Komfortzone“) und sie auf diese Weise auch geschickt aus diesem drängt. Sie hat auch recht damit, dass ein Frauenleben, das sich auf die Rolle als Mutter, Hausfrau, Ehefrau beschränkt und also auf Abhängigkeit basiert, für kaum eine Frau erfüllend ist (die Vollzeit-Hausfrauen stellen die Gruppe mit den meisten Neurosen, Psychosen und Depressionen). Das alles stimmt. Wahr ist aber auch: Männer sterben früher. Männer haben häufig wenig Freunde, mit denen sie ehrlich reden können. Viele Männer definieren fast alles und vor allem sich selbst über die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“. Männer werden oft verlassen, sobald man/frau sie nicht mehr „brauchen“ kann. Für manche Männer hat nichts einen Wert, das man nicht benutzen oder tauschen kann. Die meisten Männer müssen sich häufig unterordnen, einstecken und wegstecken, weil sie halt doch keine Chefs sind oder werden. Viele Männer werden, wie traurige Studien zeigen, von ihren Söhnen und Töchtern wenig geschätzt und spielen in deren Leben fast keine Rolle. Stimmt: Die meisten Männer fühlen dennoch kaum Leidensdruck. Sie haben sich einen harten Panzer außen und innen eine Taubheit antrainiert. Deshalb sterben sie ja auch früher. Weil das viel Energie kostet.
Es sind nicht alle Männer so. Wie auch nicht alle Frauen Heimchen am Herd sind. Oder keine Lust haben zu kämpfen. Manche Männer verzichten auf viel, um ihren Kindern Vater zu sein. Manche Männer können sich sogar vorstellen, ohne eigenes Einkommen zu leben. Einige Frauen suchen keinen Ernährer, sondern einen Partner. Es geht halt alles nicht schnell genug. Wir schaffen es nicht, unsere Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes und partnerschaftliches Leben zu verwirklichen. Wir verletzen einander, in dem wir widersprüchliche Forderungen an uns selbst und den anderen stellen, zusammengesetzt aus neuen Träumen und alten Rollenbildern. Die Vielfalt möglicher Lebensentwürfe besteht für die meisten nur auf dem Papier (in den Hochglanz-Magazinen).
Basha Mikas Buch leistet keinen Beitrag dazu, mehr Vielfalt zu ermöglichen. Es weist zu, was es als Falle beschreibt: Schuld(gefühle). Wieder mal: den Frauen. Und das macht mich verdammt wütend! Dass (viele) Männer zu feige sind, sich ihrer Vaterrolle zu stellen, zu gefühlskalt und verroht, sich auf komplizierte Bindungen einzulassen (und die Arbeit und Zeit, die damit verbunden ist), dass nicht wenige zu faul und zu bequem sind, sich um die reproduzierende Arbeit zu kümmern, sondern lieber die sogenannte Hausfrau, die auch noch sexuelle Dienstleistungen anzubieten hat, unter HartzIV-Niveau entlohnen - das alles weiß Mika zwar, aber ein (ähnlich dämliches) Buch über „die Feigheit der Männer“ ist ihr die Tinte nicht wert. (Mir auch nicht!)
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Es soll hier keine Verrisse geben. Dieser Text erscheint daher nicht in der Rubrik „Erlesen.Buch-Empfehlungen“. Sondern unter „Zeitungschnipsel.“ Sie brauchen dieses Buch nicht zu lesen (Ich musste das aus beruflichen Gründen). Meiner Wut wollte ich trotzdem Ausdruck verleihen. Denn sie ist seltsam ambivalent, wie sie sich gegen mich und Mika gleichermaßen richtet. Aus dieser Falle gilt es rauszukommen!
Was Sie stattdessen lesen sollten:
toll geschrieben! nicht ganz so ausführlich, aber mit ähnlichem fazit habe ich mich auch drüber ausgelassen - wenn du mal reinschauen magst:
AntwortenLöschenhttp://gluecklichscheitern.wordpress.com/2011/06/27/gelesen-bascha-mika-die-feigheit-der-frauen/
lg, melanie
Es freut mich, dass du "her gefunden" hast. In deinem Blog habe ich einiges gelesen. Spannend, wie du diese 1. Phase des "Familie-Werden" beschreibst. Für mich beginnt gerade die, in der sich diese Lebensgemeinschaft wieder auflöst, weil meine Söhne demnächst das Elternhaus verlassen werden.
AntwortenLöschenUnter dem Label "Zugverkehr" hatte ich im vorigen Jahr zum ersten Mal versucht, über die "frühen Jahre" (Lebensgemeinschaft, Schwangerschaft, Geburten) zu schreiben, allerdings "literarisiert", anders kann/könnte ich das nicht.
HG J.S. Piveckova/Melusine