Samstag, 12. November 2011

BLUTZOLL (Weil ich dich liebe)




Fortsetzung zu: "Ich küsse mein Leben in dich. Die Martenehen"


Ich schreie, weil meine Sehnsucht so groß ist. Sie schrie nicht. Der Teufel lachte Heilmann aus. „Es ist eine Puppe.“ Er war neben Heilmann getreten und zog ihn am Ärmel. „Treten Sie näher.“ Heilmann ekelte sich. Was für ein Schmierentheater. Er streifte die Berührung des weichlichen Priester-Parodisten ab. „Finger weg.“ Aber er stand auf. Der Teufel verschränkte die Arme. „Wie Sie wollen.“ Er wirkte dennoch gekränkt. Das verlieh Heilmann neue Zuversicht.

Er trat an den Altar heran, der nicht aus dem Boden herausragte, sondern in diesen eingelassen war. Ihr Gesicht, verwandelt zwar, doch unverkennbar. Almuth war eine Schlange. Hatte er das nicht immer gewusst? Er schaute auf sie hinab und glaubte einen Augenblick lang, dass sie sich winde. Ihre Hände aber lagen still. Sie waren aalglatt und billig gemacht, die Nägel nur als Kerben angedeutet. Er dreht sich zu seinem Verführer um: „Da haben Sie sich zu wenig Mühe gegeben. Almuths Finger konnten...“ „Heilmann, es ist nicht Almuth.“ Heilmann seufzte. „Was soll das Ganze? Eine Puppe, die Almuth gleicht...“ „Die Schlange, die Sie in Almuth sehen. Auch ihre Hände sind Ihr Werk, Heilmann.“ Heilmann schüttelte sich. Das Schimmern, wenn Licht auf nassen Samt fällt. Die Finger der Puppe wandelten sich zu schmalgliedrigen Gelenken, überzogen von weichfaltiger Haut, die Nägel bildeten sich zu zarten Muscheln aus, lackiert in jenem dunklen Bordeaux, das Almuth liebte. So war es doch: Almuth liebte. Liebte ihn. Liebte das Kind. Mein Sohn. „Deshalb sind Sie hier, nicht wahr?“ „Sie soll die Augen aufschlagen.“ Der Teufel lachte. „Sie überschätzen mich.“ Heilmann sah zornerfüllt auf. „Was soll das heißen? Haben Sie mir nicht gesagt...?“ „Sie haben mir nie zugehört, Heilmann. Obwohl sie kein Mensch sind, haben sie sich unter denen lebend fast zu einem entwickelt. Sie hören längst nur noch, was Sie verstehen wollen.“

Melusine hatte ihn gewarnt. Das Fischweib wollte immer alles besser wissen. Doch sie vergaß. Sie tauchte hinab in diese Tiefe, während er oben bleiben musste. Sie kannte die Zeit nur als Traurigkeit, die sie nicht verstand. Er lebte sie durch. Das Geschwür, das sich durch die Eingeweide seines ältlichen gewordenen Sohnes fraß, während er jugendlich lustig sein Hütchen an Bord eines Cruisers schwenkte – wie soll ein Vater das ertragen? „Ich wandere auf blutigen Füßen von Ozean zu Ozean, Heilmann“, hatte sie geantwortet. „Betrogner Liebe Schmerz soll nicht unsterblich sein? Das Tatzenmal auf der Wangen meines Ältesten habe ich mit meinem Leiden getilgt. Keines meiner Kinder sah ich erwachsen werden. Kein einziges unter ihnen könnte ich in einer Menschenmenge erkennen. Bevor ich zu Asche verfiel, schenkte ich einmal dem Mädchen ein Amulett, glaube ich. Das war als London unterging. Werde ich sie wiedererkennen, nur einmal?“ Heilmann hatte ihre Verzweiflung gefühlt und verstanden. Doch war es sein Auftrag, sie vergessen zu lassen. Sie ahnte wohl kaum, dass er ihr Teufel war.  Hätte Melusine gewusst, wäre die Welt stehen geblieben. So lang sie sich drehte, erschien er, Heilmann, zuverlässig auf dem Plan. „Es braust dein warmes Blut durch meine kalten Adern.“

„Sie träumen, Heilmann. Vergessen Sie nicht, dass Sie mich um dieses Treffen baten.“ Auch Melusine zahlte einen Blutzoll, soviel war wahr. Doch verging sie sich nicht an menschlichen Körpern. Was von Heilmann verlangt wurde, war... Der Teufel lachte erneut: „Unmenschllich? Heilmann, Sie amüsieren mich. Wirklich. Wie viel Leid haben Sie in die Welt gebracht – und nun geben Sie sich als Menschenfreund.“ Heilmann sah ihm zum ersten Mal in die Augen. Schwarze Löcher. Dass der Kerl keine Kontaktlinsen trägt wie ich. Ich lasse doch auch keinen direkt hineinsehen in die meinen. Wieder so eine Nachlässigkeit. „Wir sehen das spielerisch. Und scheuen vor billigen Effekten nicht zurück. Das stimmt. Was aber scheuen Sie, Heilmann?“ Heilmann sah hinab auf die Puppe. Almuth. „Warum die Mutter?“ „Eine Puppe, Heilmann. Nur eine Puppe, die ihr gleicht.“ „Sie sagten, sie werde bluten.“ „Das sagte ich. So wird es sein. Doch nur wenn Sie es wollen, Heilmann.“ Jeder Traum ist ein Wunsch?


Zitate aus
Rainald Goetz: Irre
Alban Nikolai Herbst: Charlotte von Lusignan

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