Montag, 19. Dezember 2011

PUNK PYGMALION (21): Gefährliche Verwirrung

Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans PUNK PYGMALION (Folge 1 - 20: Hier.) 

Emmi schickt in immer kürzeren Abständen Mails, ohne preiszugeben, wo sie sich aufhält. Ich las wieder und wieder die letzten Briefe des Rough Guys. Er war mir immer unheimlich, der Punk, den Emmi 1983 im Sommer in Berlin traf, dem sie sich auslieferte und fernhielt, den sie begehrte und dem sie sich hingab vor meinen Augen, der nach ihr schrie und sie bedrohte.  „Ich träume davon, dass du mir den Kopf abschneiden wirst...“, hatte er ihr geschrieben. Ich habe versprochen, seinen nächsten Brief einzustellen, sobald Maja antwortet, die Frau, deren Adresse mir Emmi schickte. Ich will das Versprechen halten, aber ich habe Angst vor den Konsequenzen...

Majas Brief ist angekommen; sie kann einiges aufklären, doch nicht die eine quälende Frage: Was geschah nördlich von Barcelona in den Bergen in jenem Sommer vor 27 Jahren, als Emmi auf Ansgars Drängen reagierte und zu ihm in die flirrende Hitze des Südens fuhr, wo er immer rasender wurde?


EMMI,

wann kommst du?

Die Häuser rücken aneinander, wenn ich durch die Stadt streife, sie neigen ihre Dächer einander zu, sie wispern über meinem Schädel, sie machen sich lustig über mich, sie schunkeln in bösem Einverständnis, wie sie mich in den Wahnsinn treiben. Es sind Drogenträume, wirst du sagen, aber du wirst sehen, wenn du kommst, wie etwas Böses sich hier ausbreitet, dass es in mich gefahren ist, in meine Hände, die zu Krallen werden, meine Zähne zu Fängen. Ich bin ein Wolf; des Nachts stehe ich auf dem Felsen und schaue auf die Lichter im Tal: Mich gelüstet nach Blut.

Ich habe eine gerissen, Emmi. Ich habe einen Bluttropfen von der Haut einer anderen Frau geleckt. Verstehst du jetzt, dass du kommen musst? Ich habe mich von einem Kerl in den Arsch ficken lassen. Das war Scheiße. Aber es gibt jetzt kein Zurück mehr.Ich bearbeite die Steine mit bloßen Händen; der Schorf, der sich am Tage über meinen Wunden bildet, reißt in der Nacht auf, wenn ich heule nach dir. Kommst du?

Ich werde diesen Brief verbrennen, denn du wirst niemals kommen, wenn du das liest. Du hast meine Nägel blau anlaufen sehen, sagtest du. Du hast mich getötet. Nichts anderes habe ich jemals von dir gewollt. Ich werde dich an ein Kreuz nageln zur Vergebung meiner Sünden.

Der ganze christliche Scheißdreck sitzt so tief in meinen Eingeweiden, obwohl mein Vater schon drauf gekackt hat. Er hat mir nicht verziehen. Ich brauche eine Erlösung. H ist ein Weg, aber nicht der, auf den ich setze. Ich vertraue auf dich, damit du es schnell zu Ende bringst, meine Emmi, mein trauriges, waidwundes, verzehrtes Mädchen. Du gehorchst mir, hast du geschworen, als du unter mir keuchtest. Mach es wahr. Sei mein. Nimm mich in dich auf.

Ich werde immer bei Dir sein.

Ansgar


Dieser Brief ist  ohne Umschlag. Das ist nichts Besonderes. Einige der Briefe im Karton, den Emmi mir gegeben hat, sind lose, andere stecken in Umschlägen mit den Briefmarken einer jungen Königin Margret drauf. Ich werde niemals wissen, ob Ansgar diesen Brief abgeschickt oder ob Emmi ihn später zu den anderen gelegt hat, nachdem sie zurückkam aus Barcelona - ohne Ansgar.

Denn das ist jetzt klar: Ansgar ist nicht mehr nach Kopenhagen zurückgekehrt. Seine Spur verliert sich im Sommer 1984 bei Barcelona. Maja, die Mutter seines Sohnes, hat es mir geschrieben. Sie will nicht, dass der Brief, den sie mir geschickt hat, im Internet erscheint. Nur diese Passage:

„Ich habe in Ihrem Blog gelesen über jenen Mann, den Sie Ansgar nennen, und diese Emmi, Ihre Freundin. Vieles habe ich nicht gewusst. Mein Deutsch ist nicht so gut, so musste ich einiges übersetzen lassen. Aber es ist zweifellos der Vater meines Sohnes, der diese Briefe geschrieben hat.
...
Sie müssen verstehen, wie schwierig es für mich ist. Ich möchte nicht öffentlich in Erscheinung treten. Ich werde Ihnen schreiben, was ich weiß. Aber ich bitte Sie, es so zu verändern, dass man uns nicht erkennen kann, meinen Sohn und mich. Was immer dort geschehen ist, es hat mit uns nichts zu tun, auch wenn ich begreife, dass Sie es klären wollen.“

Maja möchte nicht, dass ihr Brief wörtlich im Blog erscheint. Ich soll in eigenen Worten erzählen, was sie mir anvertraut hat, so dass es wahr ist und doch verstellt. Daran arbeite ich jetzt. Ich gebe mir Mühe, Emmi, aber ich habe auch Angst, dass du mich schon wieder ausnutzt. Denn ich glaube, dass Maja sich irrt.

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