In Budapest findet eine wilde Verfolgungsjagd über ein Bahnhofsgelände statt. Ein gutaussehender Impossible Mission Force-Agent liegt am Ende mit einem Loch in der Brust am Boden, während eine stupsnasige blonde Killerin mit einem Koffer voller Abschusscodes für die russischen Nuklearwaffen davon stolziert. Star-Agent Ethan Hunt wird, zu den Klängen des Dean-Martin-Songs „Ain´t that a Kick in the Head“, aus einem Moskauer Knast befreit. Die familiären Verbindungen des trottelig-zotteligen Rasputin-Verschnitts, den Hunt im Gefängnis unter seine Fittiche genommen hat, werden sich später in Dubai als nützlich erweisen, wohin die Jagd weiter geht. Ein ehemaliger Atomwaffenstratege aus Schweden sprengt den halben Kreml in die Luft und schiebt es den US-Amerikanern in die Schuhe. Er will der Menschheit durch einen kontrollierten Atomkrieg ein Reboot ermöglichen. Der Präsident hat das Phantom Protokoll ausgelöst, so dass Hunt und sein Team ohne jeden Kontakt zur Zentrale allein auf sich gestellt sind. Nur sie können die Welt vor dem Atomkrieg retten.
Sie scheitern natürlich nicht, da sei Hunt alias Tom Cruise vor, der den Film nicht nur als Schauspieler dominiert, sondern auch produziert hat. Er hat sich ein Drehbuch wie aus schönsten James-Bond-Zeiten auf den gestählten Leib schreiben lassen. Die Katastrophen und Intrigen, in die es Hunt und seine Mitstreiter verwickelt, halten selbstverständlich keine zwei Minuten einer logischen Überprüfung stand. Doch das stört kaum, weil das Timing fast perfekt ist und es nur zwischen Dubai und Mumbai mal zu Längen kommt. Zudem ist der Film humorvoll und selbstironisch, ohne in Sarkasmus abzugleiten.
„In der Realität hier draußen“, sagt Hunt zu einem analytischen Theoretiker des IMF, „sieht doch manches anders aus.“ Die Realität des Actionfilms hat selbstverständlich mit der sogenannten realen Welt so wenig oder so viel zu tun wie ein Märchen. Vielmehr setzt sich der Actionfilm mit einem Mittel des Mediums Film konsequent auseinander: Motion! Im Actionfilm muss es Action geben. So banal ist das. Oder auch nicht: Denn es gibt gute und schlechte Actionfilme, solche, die Arroganz und Aggression ausstrahlen und solche, die Selbstbewusstsein und Stärke demonstrieren, solche die witzig und gewitzt sind und solche die dumm und selbstgefällig wirken. Gute Actionfilme reflektieren in der Darstellung der genretypischen Szenen (Verfolgungsjagd, Autorennen, Hindernislauf, Explosion) das Lebensgefühl, das die Heldinnen und Helden in einem guten Drehbuch auch als eine Reaktion auf die Welt außerhalb des Kinos entwickeln.
„Mission Impossible: Phantom Protokoll“ ist ein Actionfilm jenseits der großen ideologischen Konflikte, aber auch jenseits der düsteren Identifikation desillusionierter Helden mit der dunklen Macht. Das Böse ist einfach irre und die Botschaft ist simpel: Wer nicht wahnsinnig ist, will leben, und wer gegen das Leben ist, soll zur Hölle fahren. Hunt und sein Team kämpfen weder gegen eine fremde Staatsmacht noch gegen eine terroristische Organisation. Sie kämpfen gegen einen kriminellen Irren, der die Mittel hat Millionen Menschen zu töten und den Planeten zu zerstören. Im Kampf gegen dessen Wahnsinn werden ehemalige Gegner Freunde: „Wir sind keine Feinde“, sagt Hunt zu seinem Verfolger vom russischen Geheimdienst.
Das neue Team Hunts wirkt weniger perfektionistisch als in den vorangegangen Filmen der Serie. Der Techniker ist ein aufgeregter Spezialist im ersten Außeneinsatz, der selbst überrascht ist, dass er die Prüfung geschafft hat. Die Agentin trägt schwer am Verlust des Kollegen in Budapest, der ihr Liebhaber war. Die Identität des Dritten im Bunde, eines vorgeblichen Analysten des IMF, wirft Fragen auf, nachdem sich herausstellt, wie geschickt er im Nahkampf ist. Öfter mal geht etwas schief: Hunt hat sich erklären lassen, wie toll die Handschuhe funktionieren, mit denen er sich ans höchste Gebäude der Welt hängen soll: „Blue is clue, red is....dead.“ Selbstverständlich flackert einer von beiden schließlich rot, aber Hunt schafft es doch noch - mit orthodoxeren Bergsteiger-Methoden. Dass die modernste Technik versagen kann, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film: Server laufen heiß, aufwändig hergestellte Gesichtsmasken misslingen, am Ende fällt ganz banal der Strom aus. Das verdirbt den Protagonisten und den Zuschauern nicht den Spaß an steilen Jets und flotten Autos. Verlassen können sich Hunt und sein Team am Ende aber nur aufeinander und auf ihre „Intuition“.
Hunt erklärt es seinem Kollegen einmal, nachdem er eine Leuchtrakete neben einer Leiche abgefeuert hat, um die Verfolger abzulenken. „Was haben Sie gedacht, was die denken?“, wird er gefragt. „Ich glaube nicht, dass die denken. Sie schießen auf das, was sich bewegt.“, sagt Hunt. Er habe keinen Plan gehabt. Es sei ein Versuch gewesen. Solche Versuche können scheitern. Auch das wird vorgeführt. Eine wilde Verfolgungsjagd findet mitten im Sandsturm von Dubai statt. Hunt folgt nur noch der Anzeige auf dem Display seines Smartphones, weil er die Hand vor Augen nicht mehr sehen kann. In der hält er am Ende schließlich nicht den Koffer mit den lebenswichtigen Codes, sondern das Plastikohr seines maskierten Gegners.
Vielleicht liegt darin sogar eine Botschaft dieses auf angenehme Weise altmodischen Actionfilms: Wir agieren in unübersichtlichen Gefilden, ohne Orientierung durch ideologische Überzeugungen, wir verfügen über ausgereifte Techniken, aber es bleiben Hilfskonstruktionen; wir können dennoch optimistisch sein, wenn wir trotz unserer Fehlbarkeit auf unseren Mut, unsere Intuition, unseren Eigensinn und aufeinander vertrauen.
Dieser - ein wenig naive - Optimismus gefällt sicher nicht allen. Die Noir-Freunde werden sich bei Daniel Craigs Bond wohler fühlen. Fans psychologisch ausgereifter Figuren und bühnenreifer Schauspieler-Ensembles werden Action-Filmen, wie ich annehme, ohnehin fern bleiben und nebenan in „Der Gott des Gemetzels“ gehen. Ich habe in diesem Jahr viele gute Filme im Kino gesehen, spannende, anrührende, lustige, bewegende, aber auch langweilige und abstoßende. Dass ein Film keine Sekunde langweilt, ist, finde ich, ein großes Lob. Brad Birds „Mission Impossible – Phantom Protokoll“ ist kein Meisterwerk, aber ein guter, unterhaltsamer Actionfilm. Und: Noch nie fand ich Tom Cruise so sympathisch wie in diesem Film; ein Geständnis, übrigens, das mir nicht leicht fällt. Auch das ist also möglich... Mission Impossible....bisher.
Das Phantom Protokoll wird deaktiviert.
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