Sonntag, 22. Januar 2012

KALTES KLIMA ("Männer und Frauen" von Ivy Compton-Burnett)

Sir Godfrey ist überaus zufrieden mit sich und der Welt, wenn er am Morgen seinen Blick über „die englischen Moore und Wiesengründe schweifen (lässt), die er sich, sobald er dazu in der Lage gewesen war, als Szenerie seiner Tage erkoren hatte“: „Ich bin ein anderer Mensch“, sinniert er laut vor den Ohren des Butlers Buttermere, „ wenn die Sonne ihr Werk tut. Ich bin stolz auf mein Heim, auf meine Frau, auf meine Söhne, und meine Tochter, mein Gesinde, männlich und weiblich, und auf den Fremden, der unter meinem Dache weilt. Mein Besitz schafft mir Genugtuung.“ Die Sonne, die Sir Godfrey erfreut, bescheint vom fahlen englischen Himmel herab eine wahrhaft abscheuliche Familie: Sir Godfrey, den schwatzhaften Frömmler, seine Frau Harriet in zutiefst selbstgerechter Leidenspose, die Söhne Matthew, Jeremyn und Gregory, einer so untätig wie der andere und Tochter Griselda, ein biederes Schäfchen, das sich nicht ergeben genug unter den Fittichen der Eltern ducken mag.  In Ivy Compton-Burnetts Roman „Männer und Frauen“ (Men and wives) geht einem das boshaft-moralinsaure Geschwafel dieser unsympathischen Landleute schon nach wenigen Seiten heftig auf die Nerven.

Nichts wird sich daran über 300 Seiten ändern. Compton-Burnetts Romane bestehen im Wesentlichen aus wörtlicher Rede, deren Aufgabe es zu sein scheint, ein Gespräch der Protagonisten miteinander tunlichst zu verhindern. Es gibt unter Compton-Burnetts fiktiver englischer Sonne nichts Gutes mehr, kein Hauch von Liebe mehr in einem kalten Klima.  Harriet, die Mutter, tyrannisiert ihre Familie durch die stete Inszenierung ihrer Unzufriedenheit. Mit schleppendem Gang betritt sie den Raum, um zu betonen, dass sie keine Rücksicht erwarte, obwohl sie wieder einmal eine schlaflose Nacht verbracht habe: „Ich bin euch allen zur Last, eine Bürde, die ihr nie abwerfen könnt. Aber ich bin ebenso sehr eine Bürde für mich selbst, tausendmal mehr.“ Harriet verlangt von ihren Kindern, sich nützlich zu machen, weil nur ein Leben im Dienst der Nächsten sich lohne. Matthew, der Arzt, will aber keine Praxis eröffnen, sondern zweckfrei forschen, Jerymn schreibt oder schreibt nicht (Inspiration lässt sich schließlich nicht erzwingen.) an einem poetischen Werk, statt eine akademische Karriere zu beginnen, Gregory vergeudet seine Zeit mit Besuchen bei älteren Damen und Griselda verguckt sich in die falschen Verehrer. Eine kleine Welt kleinlicher und gehässiger Leute wird hier gezeigt (hinzu kommen noch ein paar befreundete Familien im Umkreis), die weiter keine Sorgen haben, als einander das Leben durch ihr Geschwätz, ihre Borniertheit und ihre lächerlichen Ambitionen zur Hölle zu machen. Tatsächlich geht es vor allem um die Macht des Geldes. Die liegt bei Harriet, die über die Finanzen verfügt. Es wird gestichelt und gehetzt beim nachbarschaftlichen Abendessen. Kein Messer könnte tiefer schneiden als die aufeinander gerichteten Wortspitzen in dieser höchst zivilisierten Gesellschaft. Je unterwürfiger die Geste, desto gemeiner der Wortsinn: „Langweile ich dich schon wieder? Nun, ich höre auf zu reden, und wir wollen schweigend dasitzen. Ich möchte dich um keinen Preis mit dem beschweren, was mir so durch den Kopf geht.“

Man versteht bald, dass Harriet nicht mehr leben will, so wie sie gefürchtet und gehasst wird, während zugleich alle - Fürsorge und Liebe heuchelnd - ihr metaphorisch zu Füßen kriechen. Aber ebenso verständlich erscheint der Wunsch der anderen, diese Spielverderberin, deren Macht die Kontovollmacht ist, endgültig loszuwerden. Die depressive Harriet begeht einen halbherzigen Selbstmordversuch, ihre psychische Erkrankung verschlimmert sich, schließlich muss sie in ein Sanatorium eingewiesen werden. Ihre Familie atmet auf. Sir Godfrey verfügt nun selbständig über das Vermögen. Der Druck, beruflich reüssieren zu müssen, ist von den Söhnen genommen, Griselda kann sich einlassen, mit wem sie will. Doch dann gesundet Harriet zum Schrecken aller und kehrt zurück. Sie scheint sich zunächst mit den neuen Begebenheit abzufinden, sogar mit Matthews Verlobung mit einer Ehebrecherin und Sir Godfrey Geldverschwendung. „Was sagst du, wie sich alles wendet?“, fragt dieser heuchlerisch bei ihrer Rückkehr seinen Sohn Matthew, „Sie ist eine großartige, edelmütige Frau, deine Mutter, zartfühlend, kraftvoll, hochherzig, wenn sie ihrer selbst mächtig ist. Dass sie das nicht immer war, hat uns bekümmert. Dieserhalb kamen uns böse Ahnungen an, die Furcht, dass sie etwa nicht in ihrer wahren Verfassung zu uns zurückkehren würde. Aber sie ist zurückgekehrt, bereit, uns ihr Bestes zu geben. Der völlige Zusammenbruch hat ihr gut getan, von der ständigen Anstrengung suspendiert zu sein, das brauchte sie, danach verlangte das Nervensystem meiner armen Frau, eurer armen Mutter!“

Doch es ist nur eine kurze Täuschung. Harriet versucht, die Macht zurück zu gewinnen. Sie hintertreibt Matthews Verlobung und nimmt die Geldgeschäfte wieder selbst in die Hand. Matthew, der Arzt, vertauscht ihr Schlafmittel mit einem tödlichen Gift. Am Ende des letzten verlogenen Gespräches, das sie miteinander führen, verlässt er sie „mit einem Kuss und wandte sich an der Tür noch einmal um mit einem Lächeln, das bestimmt war, ihnen beiden unvergesslich zu bleiben.“ Compton-Burnetts Roman ist kein Agatha Christie-Krimi, obwohl er alle Ingredienzen eines solchen besitzt: eine geschlossene Gesellschaft auf dem Land und eine Reihe von Verdächtigen, die Profit aus dem Mord ziehen. Aber dieser Mörder wird niemals gefasst werden; kein Detektiv reist aus dem fernen London an, um die feine Gesellschaft aufzumischen. Der befreundete Arzt bestätigt aus Familienloyalität und Eigeninteresse Harriets  Selbstmord und alle scheinen zufrieden. Doch am Ende siegt Harriet. Mit ihrem Testament verhindert sie über ihren Tod hinaus, dass Mann und Kinder ihre eigenen Pläne verwirklichen.

Die großen britischen Roman-Damen wie Austen, Eliot, Bowen, Christie, Sayers oder Mitford (so unterschiedliche Erzählungen sie jeweils schrieben), haben dieser Welt der Landhäuser und Abendgesellschaften, der Picknicks und Bälle, die Compton-Burnett zitiert, kein Denkmal gesetzt, sondern sie geradezu erfunden.  Es ist ein Kosmos, in dem sich der Konkurrenzkampf um Status und Kapital, die Gewalt zwischen den Klassen abbilden ließ, ohne dass weibliche Figuren von vornhereinin eine ausschließlich passive  oder leidende Rolle gedrängt waren. Der Kunstgriff  dieser nur vordergründig realistischen Abbildung war die Beschränkung: ein paar Familien auf dem Land, eine übersichtliche Gesellschaft in eng begrenztem Rahmen.  Politik und Kapitalinteressen, Krieg und Gewaltexzesse sind in diesen Romanwelten mitnichten abwesend, selbst wenn es vordergründig nur darum zu gehen scheint, wer wen kriegt (oder: wer der Mörder ist). Tatsächlich dürfte kaum in einer anderen Nationalliteratur  so offen und häufig von Geld die Rede sein, wie bei den englischen Damen. Immer wieder wird an der mit soviel Mühe errichteten Grenze zur entfremdeten Erwerbsarbeit, zur warenförmigen Haltungslosigkeit, zur stillosen Selbsterniedrigung gekratzt. Der Bewegungsspielraum der Frauen (und der finanziell abhängigen Männer) ist gering. Verlogenheit, Manipulation, Geheimhaltung sind notwendige taktische Mittel, um in diesem patriarchalisch-kapitalistischen Umfeld eigene Strategien durchzusetzen. Es ist ein durchdringender Blick auf eine Gesellschaft, die sich ihren Wohlstand, ihr Ehrgefühl, ihre Tradition durch Ausbeutung und Ausgrenzung erkauft.

Ivy Compton-Burnett schließt an diese Reihe an und schert zugleich aus ihr aus, indem sie  den scharfen Blick zum sezierenden Messer schleift. Bei ihr verleiht keine glühende Sonne dem fahlen englischen Himmel noch einen Hauch von Wärme. Was sich hier unter dem grauen Himmelszelt in den wohltemperierten Landhäusern abspielt, ist das pure Böse an seinem gemeinen Werk. Wo Austen oder Sayers den englischen Landadel ironisch aufs Korn nehmen, ohne ihn zu denunzieren, entblößt Compton-Burnett ein Panoptikum von Grund auf verdorbener Charaktere, deren versteifte Haltung und pseudomoralisches Geplapper nichts mehr verbirgt oder enthüllt, sondern zum puren Selbstzweck geworden ist. Das liest sich nicht gut. Das schmerzt sogar: soviel Bosheit, Wahn, Dummheit. Das ist große Literatur. Eben drum.

Ivy Compton-Burnett: Men and Wives, Bloomsbury, € 18,99


(Die Gelegenheit nutze ich, um für diese überaus inspirierende und erhellende Literaturgeschichte von Ina Schabert zu werben. Es gibt ja immer noch Menschen, überwiegend männlich konnotiert, die von sich glauben, sie läsen und dächten "geschlechtsneutral", allein orientiert an "Qualität". Die könnten, optimistisch Offenheit vorausgesetzt, hier neue Erfahrungen machen.)

2 Kommentare:

  1. Zugeben muß ich zunächst, daß ich vom englischen Original weniger als die Hälfte verstanden habe, was mir vielleicht die Einzelcharaktere mit Ausnahme Geoffrey’s und Harriet’s etwas verblassen läßt, dennoch kam ein Eindruck zustande.
    Es herrscht ein schrecklicher Familienzwang. Geoffrey ist die fromme Wunschvorstellung, die er im Vorwegnehmen schon als erfüllt betrachtet.
    Die ermüdende Dialogform, das Gefühl, es passiert nichts. Das Einzige, was passiert ist Harriet. Passiert im wahren Sinn des Worte, ein Vorübergehen. Ein Schatten. Damit sie das bleibt, mußte sie sterben.
    Im Unterschied zu Geoffrey die Episode des Sohnes, der sich selbst anklagt. Hier wird indes Wirklichkeit umgeredet in Wunschvorstellung.
    Noch etwas passiert als Riß in die Welt, der Witwer findet schnell eine andere, er, den Geoffrey mit seinen Wunschvorstellungen vom armen Witwer zum armen, tröstenswerten Witwer gemacht, den man nun umhegen müsse.
    Sehr steif das Ganze, keine Beschreibungen, alles kommt aus den Worten heraus, hinter denen keine Räume entstehen. Nicht einmal Theater in dieser Dialogform. Die Requisiten sind die Konventionen in den Köpfen der Redenden. Die einzige Spekulation über Räumlichkeiten betrifft die Arztpraxis, in der man angeblich fand, Harriet habe in einem unbeaufsichtigten Augenblick sich die für den Selbstmord geeigneten Mittel genommen, da sie am Tag vor dem angeblichen Selbstmord ja tatsächlich den Arzt aufgesucht. Ein Theorem zur Wiederherstellung der Konvention. Dem Sohn glauben zu wollen, er sei es gewesen, wird trotz aller Indizien, die gegen den Arzt-Sohn sprechen (er arbeitet beim Arzt, er hat die Fachkenntnis, er weiß, wo was zu finden ist) zu einem: Diner for One, denk’ ich grad’, nachdem gestern bis zum Doppelpunkt gekommen. Same procedure as every year. Rather british. Arsen und Spitzenhäubchen. Und es drängelt schon wieder Lars von Triers Melancholia dazwischen, der John-Geoffrey, der Schönredner (gestern den Film zum zweiten Mal gesehen, weil er halt in mein Städtchen dann doch noch gekommen, den und dessen Botschaft ich nach wie vor nicht ablehnen kann, das Unvermeidliche ist unvermeidlich, die Brücke läßt sich nicht überqueren (schon in ‚Antichrist’ das Brückenmotiv), wenn auf der anderen Seite das Nichts wartet (? (selbst in ‚Unter dem Vulkan’))). Der Film nimmt nach ‚Men and Wives’ tatsächlich eine andere Couleur an. Mich zumindest hatte der Film zergliedert nach der ersten Vision, so daß ich mich auf dem Weg zum Auto wieder zusammensuchen mußte. Überraschend zumindest, daß gerade meine spontane Wahl den tragischen Titel wollte von Ford Madox Ford, weil ich tatsächlich damals gerade den Film gesehen, um dann mich von Ihnen überzeugen lassend der Compton-Burnett zustimmte, um dennoch ein verbindendes Substrat wiederzufinden.

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  2. Lieber parallelie,
    Danke für diese Darstellung Ihres Leseeindrucks.
    Auch ich habe beim erneuten Lesen dieses Buches an Lars von Triers "Melancholia" denken müssen, obwohl die Wirkung des Films auf mich eine andere war (darüber hat es ja schon viel Streit in "Die Dschungel" gegeben, drum möchte ich hier nur kurz darauf eingehen). Beide, der Film und dieser Roman Ivy Compton-Burnetts, stellen aus meiner Sicht "das Böse" dar. Und sie sind ausweglos (Die Brücke lässt sich nicht überqueren. Auch dieser Parallele kann ich folgen.) Beide ermüden und erschöpfen (mich) mit dieser fürchterlichen Gewissheit; beim Film führte das bei mir zu Langeweile und auch zu Wut, den Roman dagegen las und lese ich trotzdem mit Vergnügen. Wie kommt es zu dem Unterschied? Verschiedenes spielt eine Rolle: Compton-Burnett zeigt eine böse, kleine Welt, an der nichts schön und keinen Augenblick etwas überhöht wird; das Aufrufen all der christlichen und bürgerlichen Symbole des Anstands, der Würde, der Liebe, das Beten und Räsonnieren erscheinen lächerlich und dumm. Das Böse hat keine Würde und es hat auch nicht Recht (Für eine alte Rechthaberin wie mich von besonders großer Bedeutung!) Es ist einfach bloß unausweichlich. (Und dabei auch komisch: "Dinner for one"). Lars von Triers Film scheint mir das Krankhafte (und seine Bosheit) nicht nur darzustellen (auf vielleicht sehr eindrucksvolle Weise), sondern es zu verherrlichen. Das nehme ich übel.

    Ford Madox Fords "allertraurigste Geschichte" ist im Gegensatz zu beiden, zu "Melancholia" und "Men und Wives", ein Werk, das Liebe, Hoffnung, Glaube (wenn man so will: "das Gute") nicht verneint, sondern - eben - "trauert". Es ist - und dieser Gedanke - kommt mir eben, nichts "unmenschlicher" (das heißt "böser"), als keine Tränen zu haben. (Der Umkehrschluss aber gilt nicht: Geheule allein ist kein Ausdruck von Menschlichkeit.)

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