„Die Porträts der Renaissance leben vom Recht eines Transfers, der Koinzidenz des Inneren und des Äußeren im Äußeren: im Gesicht der Person und auf der Fläche des Bildes.“ (Gottfried Böhm: Bildnis und Individuum, Prestel 1985)
Agnolo Bronzino um 1537-40 Städel-Museum Frankfurt |
Dass sie mich binden kann, ist kein Zufall. Denn sie schaut auf mich herab. In ihren Bann zieht mich die Arroganz, mit der sie meine Wenigkeit vernichtet. Es gibt kaum Hoffnung, ihr jemals nahezu kommen. Doch gäbe ich viel, nur um ihr dienen zu können. Sie bleib kalt, aber sie weckt desto heißer das Begehren. Die Dame mit dem Schoßhündchen braucht wenig zu tun, weil sie schon JEMAND ist. Sie übersieht mich nicht, wie ich vor ihren Augen zu brillieren suche. Doch meine Bewegung bringt sie nicht aus der Ruhe. Nur ihr Hund hat ein wenig Rührung übrig für mich. Die Dame ist von Rang und hoher Würde, umgeben von kostbarem Schmuck, Büchern und Gebetsketten: fromm, sittsam, rein hält sie sich gerade und stolz auf ihrem prächtigen Stuhl. Dunkel ragt vor dem berauschenden Rot ihres Kleides der Arm heraus, der eine Schranke zwischen uns setzt: bis hierher und nicht weiter.
Mein Herz, so scheint mir, klopft tatsächlich ein wenig schneller, sobald ich in das Blickfeld dieser Frau gerate. Es gibt einen Hang in mir, mich zu unterwerfen und im Schutze eines stärkeren Kraftfeldes Energien aufzusaugen. Wäre ich ein Mann, so verwandelte mich eine Frau wie diese in einen Minnesänger. Jedoch ist zu bedenken, dass der Zauber einer solchen Verliebtheit bricht, sobald sie sich rührt. Der Beweglichkeit gegenüber beuge ich nicht das Knie, sondern recke den Hals. Einen Mann also, der so auf mich sähe, brächte ich dazu aufzustehen. Dann begänne der Kampf. Ihr aber könnte ich zu Füßen sitzen und schweigen.
Sie ist Ideal und Individuum; verkörpert ein radikales Menschenbild der Renaissance, das noch nichts mit moderner Innerlichkeit zu tun hat. Die Frage, die ein moderner Mensch an ein solches Bild wohl stellen mag: Was geht in ihr vor?, ist daher unangebracht. Der Gegensatz zwischen Oberfläche und Innenleben, der das Selbstverhältnis des Menschen in der Moderne prägt, ist dieser Selbstauffassung noch fremd. Hier ist ein Mensch, der sich als Bild begreift und zeigt. Das Individuelle entsteht aus der Repräsentation. Die Betrachtende erkennt die Dame im Bild als einen Menschen, der sich ähnelt, wieder. Ein paradoxes Phänomen: jemanden im Bild wiedererkennen, den man als Original nicht kennt. Genau dies aber ist die Leistung des Renaissance-Porträts, die nur gelingt, wenn die Originalität der Darstellung mit der Originalität der Dargestellten zu einem originellen Verhältnis findet. Diese Dame und der Maler, der sie malte, gingen ein Wagnis ein, indem sie so unvermittelt den Blickkontakt zum Betrachter aufnimmt. Denn anders als ein männlicher Herrscher (und dessen Porträt), kann sie sich nicht auf die Autorität eines Amtes stützen, das den Betrachter auf Distanz hält. Hier könnte leicht eine Beziehung entstehen, die ihre Würde mindestens in Frage stellt: ein Flirt. Auch das – andere Bildnisse zeigen dies – hätte wohl seinen Reiz. Doch diese hier lässt Nähe zu und hält doch vollkommen auf Distanz. Sie strahlt eine Ruhe ab, durch die die Beweglichkeit des Betrachtenden zum Stillstand gebracht wird. Doch findet er sich in ihrem Blick nicht als Individuum selbst wiedererkannt. Sie schaut herab auf jemand, der (noch) NIEMAND ist. Nur in der Putzigkeit des kleinen Hundes, der auf Augenhöhe gebracht ist, eröffnet sich für den Betrachtenden Potential, selber zu werden. Diese Dame kann ein Ansporn sein, JEMAND zu werden, um sie zu bewegen. Die Haltung, die sie vorstellt, ist ein überaus wirksames Aphrodisiakum, nicht nur in der Renaissance gewesen, behaupte ich. Wem dieses Bildnis zugedacht war, der mochte enormen Ehrgeiz entwickeln, dass die bezaubernde Dame den Arm zur Seite nehmen möge - oder aber resignieren unter ihrem unnahbaren Blick. Es ist ein Gemälde, das den Charakter des Betrachtenden eher offenlegt, als den der Dargestellten.
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