Pfui, Obama!
10 Jahre Guantanamo gestern. Ein Fazit: Präsident Obama hat kläglich versagt; Cheney/Bush haben den US-amerikanischen Rechtsstaat dauerhaft nicht nur beschädigt, sondern im Wesentlichen abgeschafft. Der Habeas Corpus Act ist dessen Kern, wo er keine Geltung hat, herrscht der Rückfall in absolutistische Verhältnisse. Von US-amerikanischen Amtsträgern braucht sich kein Diktator auf der Welt mehr zur Rechtstaatlichkeit ermahnen lassen. Ob der Mormone, der so erfolgreich Kapitalgesellschaften führt, oder der unitäre Christ, der ein spektakulärer Jura-Student war, die nächsten Wahlen gewinnt, spielt aus der Sicht mancher radikaler Liberaler daher vielleicht kaum mehr eine Rolle. Dennoch gibt es Unterschiede, aus von Wut und Enttäuschung verstellter Sicht sind sie schwer zu erkennen.
Die Frankfurter Rundschau prägt unter dem Foto Günther Wallraffs die Schlagzeile „Lebenslänglich für Wulff“: „Die Lebenserwartung steigt ja nun auch ständig. Deshalb plädiere ich für lebenslängliche Amtsbekleidung. Man müsste ein neues Gesetz schafffen, dass dieser Mann dieses von ihm über alles geliebte und so ramponierte Amt lebenslänglich ausübt – auch über das 67. Lebensjahr hinaus. Das ist die härtere Strafe für die Verfehlungen, die Wulff sich geleistet hat. Er wird sich solche Verfehlungen, solche Vorteilsnahmen in seinem Amt nicht mehr leisten. Das wissen wir vom kommenden Präsidenten nicht.“ Diese Argumentation ist geradezu zwingend. Ich ziehe hiermit meinen Vorschlag, Petra Roth ins Amt zu heben (überwiegend optische und stimmliche Gründe), zurück. Allerdings versteht sich dann von selbst, dass bis zum hoffentlich noch lange nicht eintretenden Todesfall des männlichen Präsidenten das Amt der Kanzlerin aus Gründen der Geschlechterparität nicht mit einem Mann besetzt werden sollte. (Dies gilt insbesondere solange, wie die männliche Einheitsamtskluft des dunklen Anzugs mit Krawatte weiter als Konvention besteht. Da Form und Inhalt, wie jede Kultur- und Medienwissenschaftsstudent:in im ersten Semester lernt, im Abhängigkeitsverhältnis stehen, kann und muss von der Politik in Zukunft ein verbessertes und differenzierteres Styling erwartet werden. Hier besteht vor allem bei männlichen Protagonisten erkennbarer Nachschulungsbedarf.)
Mit Dünkel gegen Diekmann, Blome et al.
Die Erleichterung über die zufriedenstellende Klärung des „Falles Wulff“ kann nicht über den Ekel hinwegtäuschen, dass zwei so überaus unappetitliche Herren wie Kai Dieckmann und Nikolaus Blome weiterhin ihre schmuddeligen Finger ausstrecken, um überall ihren Dreck und ihre Schmierigkeit dran abzuwischen. Das ist, so leid es mir tut, auch weiterhin unter den unvermeidlichen Leibschmerzen abzubuchen, die die (Presse-)freiheit mit sich bringt. Es bleibt mindestens die Minimalreaktionsmöglichkeit, jedermann und jederfrau, die sich mit dem von diesen beiden abstoßenden Herren verantworteten Blatt einlassen oder dieses lesen, mit eben jener Haltung abzustrafen, die er oder sie sich so redlich verdient hat: Verachtung und Ignoranz. Ein bisschen Dünkel tut immer gut, im Großen wie im Kleinen.
Freiheitskosten
Dass Freiheit anstrengend ist und weh tut, wird ja überhaupt gern verdrängt. Freiheit ist halt doch was anderes, als die Wahl zwischen 20 Sorten Kaugummis. Nervig ist vor allem für alle vorgeblichen Freiheitsliebhaber, wenn sich die anderen auch ihre Freiheit nehmen. Wo soll denn das hinführen, wenn jede macht, was sie will? Eine Ordnung muss her, die klarstellt, wer was leistet und wer nix kann, wo oben und unten ist und hinten und vorne, wem man zuhören muss und wen man getrost ausschließen darf. So funktionieren die Systeme: Einschluss und Ausschluss. Im Kapitalismus ist Geld die entscheidende Währung, über die selektiert wird: bezahlte und unbezahlte Leistungen, Eigentümer und Besitzlose, Produktionsmittelinhaber und Arbeitnehmer. Pierre Bourdieu hat gezeigt, wie daneben auch soziales Kapital zum Einsatz kommt: Geschlecht, Bildung, Herkunft, Anerkennung in bestimmten Milieus. Jede Irritation dieser Verhältnisse wir von den (tatsächllichen oder selbstsuggestiven) Rechteinhabern und Kapitaleignern als überaus unangenehm erlebt. Deshalb stellen sie auch gern mal Behauptungen über die vorgebliche „Natur des Menschen“ (respektive - hier fast immer eigentlich gemeint: - des Mannes) auf: homo oeconomicus („Ohne anständige Bezahlung, keine anständige Leistung.“), Verlangen nach Hierarchie und Unterordnung („Es muss doch einen Leitwolf geben.“), klare Machtverhältnisse im Subsystem („Es gibt doch eindeutige Qualitätsunterschiede.“). Da nervt zur Zeit besonders das Internet. Die Wikipedia ist informativer und vielseitiger als der Brockhaus, Linux ist ein stabileres Betriebssystem als die meisten bezahlpflichtigen Konkurrenten und jeder kann ohne einschlägige Rechtschreibkenntnisse oder gar Hochschulabschluss seine mehr oder minder interessanten Gedanken und Recherchen weltweit über Blogs oder per Twitter verbreiten. Das macht echt keinen Spaß. Was soll das nur werden, wenn allerlei Leute allerlei Sachen ganz umsonst machen?
Das weiß ich auch nicht, was das werden soll. Doch ich freu mich drauf.
„Ich liebe den Tausch. Dort blitzen Federn/Von Rufen strömt ein Regen ganz naiv.“
Ossip Mandelstam
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