Montag, 19. März 2012

Louvre in 20 Minuten und noch vier andere Museen.

Ein Beitrag von Morel

Vorwort

Quelle: www.sukultur.de
Als kürzlich ein gewisser David Woodard von sich reden machte, fiel mir wieder die Südharzreise von Frank Fischer (dem Paco von Der Umblätterer) ein, das erste Werk, das ich hier auf die Gleise brachte. Woodard nämlich hatte vor zwei Jahren das Nachwort zur Südharzreise geschrieben, ein Zusammenhang, der mich als Türklopfer des Kulturbetriebs sehr nachdenklich und betroffen machen musste. Um diesem Umstand abzuhelfen, lud ich sofort das neueste Werk Fischers Der Louvre in 20 Minuten für den Schlecker-Schnäppchen-Preis von 99 Cent auf mein elektronisches Lesegerät. Die Lektüre dieser Mini-Novelle dauerte 18 Minuten und 14 Sekunden, danach las ich dann den Economist von übermorgen. In Fischers, ähm, Minireiseerzählung geht es um eine von einem gewissen Sebastien2000 organisierte Besichtigung des Louvres im Joggingtempo, wobei auch die kulturelle Einordnung des Gesehenen im Wikipedia-goes-Marco-Polo-Wochenendtipp-Stil nicht ausgelassen wird. Da der Erzähler aber weder fit genug ist, um läuferisch mit den wahrscheinlich täglich trainierenden Geschäftsleuten in seiner Gruppe mithalten zu können, noch intellektuell in der Lage, Meisterwerke der Malerei in ihrem Wesen zu erfassen - ich sage nur Nipplegate! -, ist das Heftchen kaum als Museumsführer für kulturell anspruchsvolle Zeitgenossen zu empfehlen.  Auch ist es schlampig und hastig produziert worden: die Reproduktion der Mona-Lisa auf der Titelseite etwa ist unscharf. Politisch allerdings ist das Heftchen unbedenklich. Nicht ganz zufällig vergaß der Autor zu erwähnen, dass er nicht der erste ist, der einen Museumsbesuch im Schnelldurchlauf absolviert hat.


Das Museum in der Moderne
Als kleine Hommage an diese ironische Feier unser musealisierten Eventkultur hier nun die Erinnerung an eine Zeit, als das Museum noch der Feind war und nicht in Sonderbeilagen abgefeiert wurde. Das Museum passte zunächst überhaupt nicht zu den Medien der Moderne, die immer die Gegenwart aufzeichnen möchten. Aber die Paradoxa gehören auch zur Moderne und als ihr Anderes hat sie das Museum, wie schon der Philosoph Hermann Lübbe noch vor seiner eigenen Musealisierung leicht beunruhigt feststellen musste, gerne immer an die Brust gedrückt. Es folgen jetzt exklusiv fünf der schönsten Museumsszenen in der Geschichte des Films, der ja einzig originären Kunstform der Moderne.

1. Bande a part,  Louvre, Paris
Quelle: www.kineticframes.com
97 Minuten pures Glück. Der leichteste und spielerischste Film Godards. Beim besten Willen kann ich mich an keine Handlung erinnern. Aber von Hal Hartley über Tarantino (seine Filmproduktionsfirma heißt A band apart) bis Bertolucci wurden seine Kabinettstücke nachgespielt und zitiert. Berühmt und von Fischer um mehr als 10 Minuten verfehlt ist die mit 9 Minuten 47 Sekunden schnellste Louvre-Besichtigung der Welt durch die drei Außenseiter Odile, Arthur und Franz. Die Träumer in Bertoluccis Spätwerk schaffen es, noch einige Sekunden schneller zu sein. Aber die Kulturverachtung und Gegenwartsverherrlichung Godards erreichen sie nicht mehr, weil inzwischen auch diese Szene nur noch ein Museumsstück ist.


2. Bringing up baby, Naturkundemuseum
Quelle: www.boston.com (Film at the museum)
In Howard Hawks Komödie ist das Museum ein Ort nicht des kulturellen Erbes, sondern der Zuflucht vor den Zumutungen der noch völlig unreflektiert als wild angebeteten Natur (und insbesondere der Sexualität). Die toten Dinosaurier, mit denen sich Cary Grant als Dr. David Huxley befasst, sind ein Spiegelbild seiner Angst vor Kontrollverlust: als Verlobter einer Spießerin und Charmeur alter Witwen will er lieber zu Lebzeiten mumifiziert und ausgestellt werden wie seine Dinosaurier. Das wird dann bekanntlich durch Katherine Hepburn als Susan Vance und ihren als Haustier gehaltenen Leoparden Baby verhindert. Was bei der von der Filmkritik ein bisschen zu sehr gefeierten Frauenfreundlichkeit Howard Hawks übersehen wird: die Geschlechterrollen werden hier und auch in seinen anderen Filmen mit Sicherheit nicht in Frage gestellt. Die Frauen dürfen bei Hawks stark sein, um die Männer auf Vordermann zu bringen. Der nicht ganz männliche Cary Grant (zum ersten Mal wird das Wort „gay“ in einem Film in einem uneindeutigen Sinn gebraucht) wird durch die Begegnung mit der nicht ganz fraulichen Katherine Hepburn dazu gebracht, die für ihn von der Mehrheit vorgesehene Rolle anzunehmen, also den Pullunder abzulegen und seinen Zeugungspflichten nachzukommen. Dann wird auch „Baby“ ausgedient haben. Wenn der Dinosaurier zum Schluss zusammenbricht, ist der Spaß, den wir zwischendrin mit den aufgelockerten Geschlechtsstereotypen hatten, erst Mal so vorbei wie der Film an seinem Ende.   


3. Vertigo, California Palace of the Legion of Honor, San Francisco
Quelle: www.bonniematildapryce.blogspot.com
In dieser Studie über Nekrophilie und Depression wird zumindest eine im Museum porträtierte Tote lebendig (und das ist natürlich ein genretypischer Spaß für unzählige Horrorfilme und zuletzt die nette Komödie Night at the Museum). Der Privatdetektiv, James Stewart als Scottie, verfolgt Madeleine (Kim Novak) im Auftrag ihres Mannes. Als Beobachter zweiter Ordnung betrachtet er sie, wie sie sich in das Porträt of Carlotta versenkt, der sie vermeintlich, so folgert der eher schwerfällige Detektiv später, in den selbst gewählten Untergang nachfolgen will. Das Museum ist hier ein Ort des Übergangs: in eine Welt der Illusionen und des Todes. Das Porträt von Carlotta wird den Detektiv in seine Träume verfolgen. Aber Hitchcock ist kein Romantiker und so werden im zweiten Teil des Films alle Uneindeutigkeiten wie Sümpfe trocken gelegt. Die Ruinen sind, wie in einem perfekten englischen Garten, eben mit Absicht ruiniert worden. Nur das Porträt of Carlotta scheint unheimlicher Weise aus dem Museum in San Francisco verschwunden zu sein.



4. Dressed to kill, Metropolitan Museum of Art, New York / Philadelphia Museum of Art, Philadelphia
Quelle: www.selfstyledsiren.blogspot.com
Die Mutter aller Museumsszenen, von Brian de Palma, immer noch, wie manche Schriftsteller unserer Tage, als bloßer Epigone geschmäht, der nichts anderes geleistet habe, als in tausenden von Zitaten Hitchcock zu verhackstücken. Die ersten zehn Minuten dieses Films, wenn Angie Dickinson und der mysteriöse Fremde sich gegenseitig durch das Museum verfolgen, machen sich auf böse Art lustig über die Vorstellung von Triebsublimierung durch Kunstgenuss. Damit ist es dann schon beim spontanen Sex im Taxi vorbei(auch so eine Lieblings-Männerphantasie von Hitchcock, die De Palma wiederholt und kritisch bricht). Aber das Archiv der im Museum gespeicherten Bilder wird von ihm eben auch produktiv genutzt. Nur von außen ist es im Übrigen das Metropolitan, die Innenszenen wurden im Philadelphia Museum of Art gedreht, das der Regisseur aus seiner Jugend kannte. Und vielleicht lernte er da, die Bilder nicht als bildungsbürgerliche Endstation sondern als Material zu begreifen. 



5. Les deux anglaises et le continent, Musée Rodin, Paris
Quelle: www.danzon2008.blogspot.com
Während in den meisten bisher genannten Filmen das Museum verlassen werden muss, wenn man leben möchte (oder wenigstens guten Sex haben, bevor man stirbt), ist es für die Melancholie Truffauts der Fluchtpunkt auf den alle Linien zulaufen. Das Museum ist hier ein Ort der Erinnerung, in dem das was einmal lebendig war, noch einmal aufblitzt, bevor es als Meisterwerk endgültig erstarrt. In einer der schönsten Schlussszenen in Truffauts Werk geht Claude, nachdem er die Chancen auf Liebe, die das Leben ihm gleich mehrfach eröffnet hatte, nicht nutzen konnte oder wollte, in Erinnerung an die Bildhauerin Ann in das Musée Rodin. Das was einmal umstrittene Provokation war, sind inzwischen gedankenlos gefeierte Meisterwerke (die dann auch Kulisse sind für die Angebereien des überheblichen Paul in Woody Allens letztem Film). Zwischen den Statuen (die Claude an ein Spiel erinnern, das er mit den beiden Engländerinnen gespielt hat: auf ein Zeichen mussten sie in ihren Bewegungen still halten), bemerkt er eine Gruppe junger Mädchen. Eines der Kinder erinnert ihn an Muriel, die Schwester Anns. Zum Schluss bemerkt Claude, dass er heute alt geworden sei. Während die Kinder sich nicht still stellen lassen, bleiben ihm nur Skulpturen, angehaltene, eingefrorene Momente eines Lebens, das ihm entglitten ist. Auch wenn dieser Film in seinen Kostümen und Farben nostalgisch anmutet – nichts lag Truffaut ferner.

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