Dienstag, 3. April 2012

Ein gemeinsames Leben

"Zwei Menschen heiraten einander, um zusammenzuleben. Warum ist denn zu dem überwältigenden, außerordentlichen Geschenk dieser Möglichkeit noch Glück nötig? Warum können die Menschen sich nie und nimmer mit wahrhaftiger, unbeschönigender Größe zufriedengeben und wählen lieber die herausgeputzte Lüge? Warum versprechen sie einander etwas, dem sie selbst nicht, dem aber auch Welt, Natur, Himmel, Schicksal, Leben nicht genügen können, und das niemals und nirgends jemand zu erfüllen vermag? Warum stellen sie einem reelen, wirklichen, heiligen, irdischen Vertrag Anforderungen von so literarischer Phantastik wie Glück? Warum verlangen sie vom anderen mehr als sie selbst zu geben imstande sind, warum verlangen sie überhaupt etwas, angesichts eines so großen, so tiefen Geschehens wie es ein gemeinsames Leben darstellt?"

Milena Jesenká-Polak, zitiert nach: Navid Kermani: Mein Name

3 Kommentare:

  1. Liebe Melusine,
    das ist schön, und ich denke mir, es ist eine Herausforderung, die, wenn man sich ihr stellt, zu Selbstfindung wie zu Selbstverlust führen kann, und das ist von so viel mehr Faktoren abhängig als bloß vom reinen Willen, ein Versprechen zu halten. Es kann ein Kampf sein um eben dieses Zusammenleben, in dem Scheitern möglich ist, was umso mehr schmerzt, je höher man den Wert dieses gemeinsamen Lebens über alles andere (Glück?) gestellt hat. Es treibt mich jedenfalls um.
    Dennoch (und das ist ja kein Widerspruch): Danke für und ein uneingeschränktes Ja zu diesem Text.
    Ich wünsch Dir einen schönen Tag.
    Iris

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  2. Ich bin mir fast sicher, dass diese "Idee vom Glück" [die für jeden eine andere sein mag, aber vermutlich für jeden gleichermaßen unfassbar ist], das ist, was ein erfülltes und zufriedenes Leben verhindert, weil es sich vor all die kleinen glücklichen Momente stellt, die wir erleben, aber nicht immer wahrnehmen. Und mit zufrieden meine ich wirklich diesen inneren Frieden, den einer finden kann, wenn er sich mit sich und seinen Möglichkeiten und seinem Leben begnügt, statt zumeist fremden und fremdbestimmten Idealen nachzulaufen.
    Nicht, dass ich dem praktisch auch nur nahe kommen würde, aber darüber zu reden, sich klar zu werden über dies und das, ist vielleicht ein Anfang.

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  3. Liebe Iris, liebe Mützenfalterin!
    Die Aussage dieses Zitates fühlt sich bitter an. Welchen Wert kann ein gemeinsames Leben haben, das unglücklich macht? Sin Verlässlichkeit oder Dauer an sich erstrebenswert? Ich werde niemals ein "zufriedenes Leben" führen, das liegt einfach nicht in meinem Charakter. Zufriedenheit setze ich mit Stillstand gleich und vor nichts habe ich mehr Angst. (Das heißt nicht, dass ich nicht viel Zeit vertrödeln, viel die Decke anstarren und nichts denke oder Musik höre. Aber ich will nicht, dass alles bleibt, wie es ist.) Das "Begnügen" ist für mich keine Option - diese Haltung hat mir auch den Buddhismus immer fremd gemacht. "Genug kann nie genügen!" - Das ist eher meins. Ich will zwar nicht immer mehr, aber immer was anderes ;-). Daher hängt der Wert eines gemeinsamen Lebens für mich daran, ob es Veränderungen zulässt, sogar fördert oder eher verhindert. Nicht am "Glück" oder der "Zufriedenheit".

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