Ein Beitrag von Morel
Dabei machen die verschiedenen Variationen auf das Erzählen
im Präsens diesen Story-Band abwechslungsreich. Die erste Geschichte, Oktober, ist sozusagen im
Alzheimer-Modus erzählt. Der Erzähler wird immer wieder von Otto abgeholt. Er
selber aber kann die Erlebnisse mit Otto, drastische Sex- und Gewaltszenen
nicht zu einer Geschichte verbinden. Wenn er im Radio von Serienmorden hört,
ist das nur eine von vielen Nachrichten aus einer verfallenden Welt. Was er zu
tun hat, sagt ihm Otto. Das Protokoll seines Lebens ergibt keinen Sinn, es wird
ihm von anderen diktiert. Immer wieder erhält er Anrufe und kann sich denken,
von wem. Meist ist es seine Mutter, die er sehr liebt, die ihn aber nicht
besuchen darf. Aber der letzte Anruf am Ende der Geschichte kommt von jemand
anders, denn Mutter ist gestorben.
Ohne aufmerksame Leser, war das alles: ein paar krasse Szenen. "Otto stopft der Politikerin
seinen Schwanz in den Mund."
Aber diese Drastik ist kein Selbstzweck: Rohm schreibt, um zu verstehen,
nicht um zu verurteilen. Auf andere Weise in der Hölle der Gegenwart gefangen
ist der Protagonist von !toT. Hier
folgen kurze Szenen aufeinander, aber die Zeit fließt in die umgekehrte
Richtung, weshalb auch das erste Wörtchen „Nichts“ lautet. Wovon erzählt wird,
erfährt man erst am Schluss. Auch hier wird dem Geschehen der Sinn entzogen:
wenn wir den Anfang am Ende erreichen ist alles vorbei. Nur eine falsche Bemerkung
hat eine Katastrophe ausgelöst. Eine andere Variante des Ausgeliefertseins an
die Gegenwart findet sich in der Geschichte Noch
2 Stunden. Es wird ein alltäglicher Morgen von Leon, einem Schüler mit
Patchworkfamilie und Liebeskummer geschildert. In dieser Geschichte muss Rohm
die Vergangenheitsform mit dem Futur verbinden, weil die Gegenwart schon ausgelöscht
wurde: denn Leon, der in einer Welt narzistischer Machtillusionen zu Hause war
(harte West-Coast Rapper, Hakenkreuze, Tarantinofilme) begegnet dem übersehenen
Realen in Form eines ehemaligen Mitschülers, "den niemand ernst
nahm". Wie überhaupt Irrtümer und pathologische Wahnvorstellungen in
vielen Geschichten Rohms die Erzählperspektive prägen. Die Kluft zwischen
Innen- und Außenwahrnehmung bricht dann immer wieder gewaltsam auf, was Lechner
in der Geschichte Untergrund ein Ohr
kostet und Marie in Spion in der Nacht
das Leben. In Unter Dampf, einer
Hommage an den Film Fitzcarraldo,
wird der Wahn des verrückten Filmregisseurs dann auf hochkomische Weise von außen
betrachtet. Nur ist die Hoffnung mit Beseitigung des Wahnsinnigen, wieder einen
Sinn in die Welt zu bringen, bei Rohm immer vergebens. Wie bei einer Epidemie
stecken sich seine Protagonisten am Wahnsinn der anderen an. Das ist vielleicht
auch eine Erklärung für Die Sorgen der
Killer, die Titelgeschichte, die aber tatsächlich nur von einem Serienmörder handelt, der seiner
Arbeit nachgeht und dabei darüber räsoniert, ob es ihn überhaupt gibt. Er ist
eben nur einer von vielen. Dabei nimmt Rohm, auch hier wieder auf durchaus
komische Weise, das Vokabular von hartnäckigen Alkoholikern auf, die ihre Sucht
vor sich selbst abstreiten. "Drei Leichen. Da kann man nicht von Sucht
sprechen. Er hält sich auf Diät." Rohms Killer sind niemals allein,
sondern immer abhängig von dem Bild, das ihre Auftraggeber und Opfer von ihnen
zeichnen. Auf leicht metaphysische Weise kehrt dieses Motiv in der letzten
Geschichte, Leise Killer, wieder.
Hier werden Bilder beschrieben, Bilder, auf denen Killer zu sehen sind und die
in einer "stadtbekannten Galerie" hängen. Aber ein Killer fehlt. Um
diesen Killer sorgen sich die Geschichten Rohms: denn er befreit sich aus den
Vorstellungen, die das Leben all der anderen Killer (und der einen Killerin!),
die uns in diesem Erzählungsband begegnen, in der Hölle der ewigen Gegenwart
fixieren. In seinen Geschichten treibt Rohm das Krimigenre so auf die Spitze,
dass es weh tut: grausam komisch, experimentell verspielt, aber niemals belanglos.
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