Ich
habe es getan, habe Lars angerufen, Ansgars Sohn. Denn ich habe keine andere
Wahl, wenn ich herausfinden will, was aus dem deutschen-dänischen Punk geworden
ist, dessen Briefe mich seit anderthalb Jahren faszinieren und erschrecken. Hier liegt unveröffentlicht
noch sein letzter Brief vom 31. Juli 1984, auch der, wie einige
andere, ohne Umschlag und bei diesem bin ich beinahe sicher, dass Emmi ihn nie
per Post bekommen hat, dass er die Hütte bei Barcelona erst in ihrem Gepäck
verließ, als sie ohne ihn zurückfuhr nach Norden in ihr altes, neues Leben, um ein
Studium zu beginnen. Der Brief erklärt nichts, aber er gibt ein erschreckendes
Bild von Ansgars Zustand kurz bevor Emmi kam.
Am
Telefon habe ich mich Lars als Journalistin vorgestellt, die sich für seine künstlerische Arbeit interessiert; ich habe Fatherhood
erwähnt und davon gesprochen, wie sehr mich die Ausstellung beeindruckt hat. Das
war nicht gelogen. Ich werde in einer Woche nach Berlin fahren und Lars am
Samstagnachmittag treffen; vielleicht, wenn das Gespräch gut läuft, können wir
es am Sonntag fortsetzen. Während ich das schreibe, habe ich ein flaues Gefühl.
Ob ich erneut in eine Falle tappen werde? Ist es nicht unwahrscheinlich, dass
Emmi Lars nie von diesem Blog erzählt hat, dass er hier nicht mitliest, was
sein Vater geschrieben hat? Er klang ganz unbefangen, als er meinen Namen
hörte. Aber warum sollte er weniger gut schauspielern können als Emmi? Sie
wurde nicht erwähnt, während des kurzen Telefonats. Ich glaube auch nicht, dass
ich Emmi bei Lars treffen werde. Wenn sie
noch etwas zu sagen hat, dann wird sie es auf andere Weise tun, nicht indem sie
mir in Lars Atelier Tee serviert. Obwohl ich auch das nicht ausschließen kann. Es könnte sein, dass ich dort hinkomme und Emmi zeigt
ihre neue, junge Liebe vor, den PUNK PYGMALION, den sie sich geschaffen hat,
streift vor meinen Augen mit den Händen seine Schenkel, lässt sich von hinten
von ihm über dem Spülbecken umarmen, dreht sich in seinen Kuss hinein. Es kann sein, dass ich dort sitzen werde, unruhig auf meinem Stuhl hin und her
rutschend, wie damals in Emmis Zimmer als Ansgar zu Besuch war, nicht wissend
wohin mit meinen Blicken, weil sie so offensichtlich geil aufeinander sind und
es mir zeigen wollen.
Noch
einmal hat mir auch jener Leser geschrieben, der im Blog aufmerksam
mitliest, wie sich diese Geschichte fortschreibt. Er fand unglaubwürdig, wie
das Verhältnis zwischen Maja und Lars sich darstellt. Einerseits, schrieb er,
zeige der Brief, den ich als Majas ins Netz gestellt hatte, eine
besorgte Mutter, andererseits scheine es, als ob Maja niemals von
der älteren Geliebten ihres Sohnes gehört habe, mit der er sogar eine Weile
zusammen lebte und – noch unwahrscheinlicher – als habe sie die erste Einzelausstellung
ihres Sohnes in Berlin nicht zur Kenntnis genommen. Denn hätte sie „Fatherhood“
gesehen, wie ich es beschrieben habe, so hätte sie gewusst, wie ihr
Sohn sich nach dem Vater sehnte. Auch ich habe darüber nachgedacht. Es ist nicht
leicht für mich, auf diese Fragen einzugehen, weil ich versprochen habe, Majas
Identität zu schützen, zum Beispiel, indem ich ihr den Namen lasse, den Emmi
ihr auf den gefakten Seiten von Ansgar Homepage gab. Sie lebt selbstverständlich
nicht in Hamburg. Ich hatte behauptet, dass Ansgar
dort aufgewachsen sei, dass Emmi dorthin zog, nachdem ihre Ehe gescheitert war
und dass Maja, die Mutter von Ansgars Sohn, dort immer noch lebt. Nehmen Sie einfach
an, dass die Entfernung, in der Lars´ Mutter zu ihrem Sohn lebt, größer ist, als
die zwischen Hamburg und Berlin, groß genug, um einen Wochenendtrip unmöglich
zu machen. Selbst dann aber, wenn Sie dies voraussetzen, bleibt ein ungutes
Gefühl, nicht wahr? Wieso weiß sie so wenig über ihren Sohn? Ich habe noch
einmal Mails mit Maja ausgetauscht, gefragt, ob ihr Lars nie von den Arbeiten
mit dem Skizzenblock seines Vaters erzählt hat. Sie hat mir geantwortet, dass
sie darüber zum ersten Mal hier im Blog gelesen habe.
„Ich habe nicht gewollt,
dass Lars in Ansgars Fußstapfen tritt. Wir interessieren uns nicht für Kunst,
mein Mann und ich. ... Als Lars damit anfing zu zeichnen und zu malen, als klar
wurde, welchen Raum das in seinem Leben einnahm, da habe ich gehofft, dass es
vorüber geht. Mit uns spricht er wenig davon. Er weiß, wir verstehen nichts
davon. ... Im letzten Jahr haben wir ihn kaum gesehen, einmal im Frühjahr und
dann zu Weihnachten. Dass er zwischendurch angeblich aussah, wie sein Vater, wie
ein 80er Jahre-Punk, habe ich nur aus ihrem Blog erfahren. Ich weiß nicht, ob
das stimmt. Ich will ihn das auch nicht fragen. ... Es ist wahr, ich war noch
nie bei ihm in Berlin. Wir telefonieren viel. Aber wir reden nicht über sein
Leben da in Berlin. Er weiß, wie fremd mir das ist....“
Das
sind Auszüge aus den Mails, die Maja mir schrieb. Sie rechtfertigt sich nicht.
Sie kann das trennen offenbar: Ihre Liebe zu Lars und Interesse an seiner Arbeit, seinem Leben. Ansgar und alles, was ihn
betrifft, sind offenbar ein gut und lang gepflegtes Tabu zwischen ihr und ihrem Sohn. Ich denke an meine Eltern, die jeden
Zeitungsartikel, der von mir erscheint, ausschneiden. Als ich in Chicago lebte,
flogen sie über den Atlantik. Das sprengte ihr Urlaubsbudget und sie mussten
das Ersparte angreifen, doch sie wollten mit eigenen Augen sehen, wie ich mich
eingerichtet hatte am großen See. Und dann erinnerte ich mich an Emmis Eltern.
Auch die waren nie nach Heidelberg gefahren und später nicht nach Berlin, um
Emmi zu besuchen. Es war immer Emmi gewesen, die „heim“ kam, kam, um den Vater
beim Sterben zu begleiten und der Mutter beim Ausräumen zu helfen, als sie das
Haus am Kirchberg aufgab. Emmis Mutter hat die letzte bekannte Wohnung ihrer
Tochter erst betreten, als diese schon verschwunden war. Mein Leben lang habe
ich gewusst, dass die, die mich lieben, mich kennen wollen. Wie das sich anfühlen
mag, wenn es nicht so ist, kann ich mir nicht vorstellen.
Vielleicht
gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser Entdeckung und jenem Bruch in Emmis
Verhalten, der die Liebesgeschichte mit Ansgar von Anfang an so monströs
machte. Sie, in deren Elternhaus viel offener über Sex geredet wurde als in dem
meinem, deren Eltern viel direkter die körperliche Seite ihrer Beziehung in
unserem Beisein demonstrierten, war selbst, so war es mir in der Pubertät vorgekommen,
verklemmter als ich. Unsere Freundschaft blieb eng, auch nachdem sie mit ihren
Eltern in den schicken Bungalow am Kirchberg gezogen war. „Verknallt“ in
irgendeinen waren wir immer gewesen, das hatte nichts zu sagen. Aber mit
vierzehn, im Herbst jenes Jahres, in dem ich mich während Emmis Abwesenheit im
Sommer hatte im Bunker küssen lassen, fühlte ich, dass sich etwas verändert
hatte. Es ging nicht mehr um Händchenhalten und trocken gespitzte Lippen, die einander kurz berührten. Ich entdeckte meinen Körper
und sein Verlangen, aber mit Emmi konnte ich darüber nicht reden. Sie hatte
eine Art, sich abzuwenden, in der Herablassung lag und die ich als demütigend
empfand. Was ich sagte, klang plötzlich in meinen eigenen Ohren schmutzig und
kindisch zugleich. Über den Jungen aus dem Bunker, den ich mochte
und wollte, sagte sie abstoßende Dinge, wie: „Hast du gesehen, was der für
einen eiternden Pickel in der Nase hat?“ Sie ignorierte, dass ich „mit ihm ging“, wie wir das damals
nannten, bis es vorüber war. Das blieb so: Gab es einen Jungen, mit dem ich
„was hatte“, sprachen wir nicht darüber, obwohl sie es natürlich mitbekam in
der Schule oder im Jugendclub. Ich schwärmte für Draufgänger und diese Flirts
hielten nie lange. Emmi fand die Kerle lächerlich und öde. Das waren sie vielleicht
auch, unerfahren und ungeschickt wie ich selbst. Ein wenig sorgloser waren sie
als ich, denn ich war entschlossen, kein Risiko ein- und deshalb niemals
zu weit zu gehen. An diesen Vorsatz hielt ich mich, auch wenn es manchmal
schwer fiel. Darüber hätte ich gern mit Emmi geredet, wie sie das machte, ob
sie mit ihrer Mutter reden konnte über einen Besuch beim Frauenarzt und die
Pille. Mit meiner traute ich mich das nicht. Aber Emmi ließ sich auf ein
solches Gespräch nicht ein. Ich überlegte sogar, ob ich mich direkt an Emmis
Mutter wenden könnte mit diesem Problem, wagte es aber doch nicht. Emmis Mutter
war selbst dann, wenn sie zu Hause war, nie ganz da, immer irgendwie schwebend
über den Dingen. Sie begrüßte mich mit
einem Luftküsschen über der Schulter, rief: „Ach schön, du, komm rein,
Emmi ist oben...“ und manchmal fragte ich mich, ob sie sich meinen
Namen gemerkt hatte.
Dass
ein Mädchen zu diesem Thema auch einen Mann, zum Beispiel Emmis Vater, hätte
fragen können, kam mir nicht in den Sinn, obwohl ich zu ihm seit dem Herbst 1977
ein engeres Verhältnis hatte, als zu Emmis Mutter. Er war öfter zu Hause
und gelegentlich suchte er das Gespräch mit uns. Er lud uns ein, mit
ihm zu Abend zu essen oder auf der Veranda zu sitzen und wenn er mich antraf,
wie ich seine Plattensammlung durchforstete, zog er eine heraus und erzählte
mir von der Band und wie er sie zum ersten Mal gehört hatte. Emmi hielt sich
dann fern, schaute zum Fenster hinaus und gab einsilbige Antworten, wenn wir versuchten, sie in diese Gespräche mit einzubeziehen. Ich diskutierte mit ihm
über die RAF, deren Taten ich, wie jeder, den ich kannte, abscheulich fand.
Emmis Vater hatte eine andere Sicht. Er benutzte Worte, die ich noch nie
gehört hatte. Er sprach über Vietnam
und Imperialismus und natürlich sei die Strategie falsch, aber die Fragen
richtig. Ich verstand das nicht, aber wandte ein, was mein Vater gesagt hatte, als
wir die Bilder des zerschossenen Mercedes von Hanns Martin Schleyer in der
Tagesschau gesehen hatten: „Als ersten haben sie den Fahrer erschossen.“ Emmis
Vater sah mich an und schüttelte den Kopf. „Die Arbeiterklasse versteht die
Botschaft nicht.“ Das war so ein Satz, den ich nicht kapierte, den ich aber
verletzend fand. Ich zog dann vom Leder und wiederholte, was mein Vater weiter gesagt hatte: „Denen ist von
ihren Eltern Zucker in Hintern geblasen worden und jetzt haben sie nichts Besseres
zu tun, als einfache Leute zu erschießen.“ Hanns Martin Schleyer, sagte Emmis
Vater, sei kein „einfacher Mann“, sondern Vertreter des Systems und ein Nazi
gewesen. Da nickte ich dazu. Mein Vater hatte gesagt: „Kann sein, dass es der
Schleyer verdient hat. Aber wer sind die, dass die ihn verurteilen wollen?“ Für
meinen Vater führten Schleyer und die, die ihn entführt hatten, einen Krieg, in
dem die anderen, die Unbeteiligten, wie Schleyers Fahrer oder die Polizisten,
die ihn schützen sollten, die Zeche zahlten. Er hatte kein Mitleid für den und
keines für die. Mir dagegen tat der dicke, alte Mann in seinem Unterhemd leid,
wie er so verängstigt die auswendig gelernten Sätze in die Kamera sprach. Wir
bewunderten Helmut Schmidt, mein Vater und ich, wie der kühl und arrogant
blieb, auch als die Lage sich zuspitzte und das Flugzeug entführt wurde. Jürgen
Schumann, den Kapitän der „Landshut“, hielt ich für einen Helden und die ihn erschossen,
für widerliche Mörder. Erst Jahre später erfuhr ich, dass an Bord der „Landshut“
nach Juden gefragt worden war, die zuerst erschossen werden sollten. Wenn ich
das damals schon gewusst hätte, wäre mein Urteil noch härter ausgefallen. Der
Nachricht, dass die Häftlinge in Stammheim sich umgebracht hatten, begegnete
ich völlig gleichgültig. In Emmis Elternhaus reagierte man anders. Emmis Vater
zog in Zweifel, dass die Gefangenen Selbstmord begangen hatten. „Das kommt
denen zu sehr zupass.“ Emmis saß dabei, wenn ich mit ihrem Vater stritt, und
schwieg. Ihr Schweigen war hochmütig, empfand ich. Ich wusste, dass ich
keine Ahnung hatte und meine Argumente schwach waren, aber ich fühlte mich
verpflichtet, meinen Vater und das wofür er stand, gegen eine Haltung zu
verteidigen, von der ich vage das Gefühl hatte, es werde ein ungerechtes Urteil über sein Leben gefällt. Ich kann bis heute nicht
erklären, wieso ich die Thesen von Emmis Vater – ohne Verve und rein
theoretisch vorgetragen- , als frontalen Angriff gegen meinen
sozialdemokratischen Arbeitervater verstand. Aber Emmis Vater schien es zu
gefallen, dass ich ihm widersprach und ich versuchte ihm standzuhalten, obwohl
ich mit meinen 12 Jahren gar keine Chance hatte. Seit jenen Diskussionen gab Emmis Vater mir das Gefühl mich ernst zu nehmen und sich zu freuen,
dass Emmi mich zur Freundin hatte. Wenn ich jetzt zurück denke, kann ich nicht mehr
sagen, wodurch jenes ungute, wie vereinbarte Schweigen in unsere Freundschaft eindrang,
wegen der Liebesgeschichten, in die ich mich pubertierend verstrickte oder wegen
meiner Gespräche mit Emmis Vater? Es war jedenfalls das Muster, nach dem wir
Jahre später dann über Ansgar schwiegen, nur dass es sich umgekehrt hatte: Jetzt wollte
ich nicht wissen, was sie vielleicht zu sagen hatte, bis sie es nicht mehr
sagen wollte.
Um
Emmi zu besuchen, nahm ich meist einen Schleichweg über die Friedhofstreppe
hinter der Kirche hinauf auf den Berg. In den Hang waren dort die Häuser gesetzt,
schmale Bauten, erweitert um Dachgauben und Austritte, die für Balkone herhalten sollten. In einem dieser Häuser wohnte „der Hippie“, ein nicht mehr ganz
junger Mann mit langen Haaren und magerem, knochigem Körper. Das Haus hatte er von seiner Oma
oder Großtante geerbt, genau wussten wir das nicht. Es war jedenfalls ein
Skandal, denn oft lungerte er halbnackt mit eben so wenig bekleideten Mädchen
auf dem Außenbalkon zum Kirchhof herum, langsam und provokant ließen sie dann einen
Joint kreisen. Vom Gitter herab hing ein Bettlaken, auf das sie das
Peace-Zeichen gemalt hatten. Im Herbst 1977 hatte ein zweites Laken daneben
gehangen: „Freiheit für Gudrun, Andreas und Jan.“ Man zerriss sich am Ort das Maul
über den Kerl und seine Freunde, die in wechselnden Besetzungen mit ihm in dem
Haus lebten. Ab und an fuhr die Streifenpolizei vor, aber sie fanden wohl nie
mehr als das, was zum Hausgebrauch verwendet wurde. Viel Kontakt gab es nicht
mit der heimischen Bevölkerung, denn zum Einkaufen oder was er sonst so
unternahm, fuhr der Typ mit seinem grünen VW-Bus, einer ausgemusterten "Minna" in die Kreisstadt. An einem
Frühlingstag in den Osterferien, kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag, stieg
ich die Treppe hinauf, weil ich mit Emmi zum Schwimmen verabredet war. Von
unten sah ich, dass eine zierliche blonde
Frau mit dem Rücken am Balkongitter lehnte, gegen das sie der Hippie presste,
dessen dunklere Strähnen sich mit ihren blonden vermischten, während er ihr mit
der Zunge übers Gesicht fuhr. Mich schüttelte es bei der Vorstellung dieser klebrige Zunge auf der Haut und ich schaute angestrengt über die
Kirchhofmauer auf die Gräber. Erst als ich schon beinahe an seinem Balkon
vorüber war, riskierte ich noch einmal einen Blick. Es war Emmi, die sich mit
der linken Hand am Gitter festhielt und mit der rechten ihre nackte Brust
anhob, seiner Zunge entgegen. Sie hat sich ins T-Shirt gefasst, dessen
Halsausschnitt weit genug war, um mit der Hand eine Brust herauszuziehen. BHs
trugen wir damals nicht; keine von uns beiden hatte es nötig und es war nicht "in". Emmi sah mir direkt in die Augen. Das brannte unter meinen Rippen wie ein
Messerstich und ich musste tief Luft holen, um nicht zu ersticken. Sie schlug
die Augen nicht nieder; sie sah mich an, wie sie mich Jahre später hinter der
Disco anschauen würde. Ich drehte mich herum und rannte die Treppe hinauf. Keuchend
blieb ich oben stehen und stützte die Hände auf die Knie, um durchzuatmen. An
diesem Tag ging ich nicht zu Emmi. Ich nahm einen weiten Umweg über die
Kahnstraße nach Hause, um nicht an Emmis Haus vorbei zu müssen und nicht mehr
zurück über die Friedhofstreppe. Wir sprachen auch darüber nie. Manchmal dachte
ich, ich hätte mir das nur eingebildet, dass Emmi da gestanden und ihre bloße
Brustwarze wie eine Beere den Lippen des alten geilen Bocks entgegen gestreckt hatte.
Ich
weiß nicht, warum mir diese Geschichte jetzt eingefallen ist und warum ich sie
erzählt habe, als wollte ich mich drücken vor der Veröffentlichung des
allerletzten Briefes, als habe ich Angst davor, diese Erzählung zu beenden, für
die mir kein Ende einfällt und erst recht kein „Happy End“, wie Emmi es sich
gewünscht hat. Zwei Menschen sind verschwunden, eine habe ich geliebt und den
anderen kaum gekannt, aber ein wenig kennengelernt durch diese Briefe.
Vielleicht wollte ich durch diese Geschichte meinem Leser und mir zeigen, dass "jemanden lieben" und "jemanden kennen" nicht dasselbe sind und dass es möglich ist
und nicht so unwahrscheinlich, wie er annimmt, dass man jemanden liebt und
dennoch nicht wissen will, was er getan hat oder tun wird.
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