Sie
hatte schon öfter „so Tage“ (nicht dass sie „ihre Tage“ hätte, das fühlt sich
anders an, quälender und austreibender). So Tage sind Tage, an denen sie merkt, wie verkehrt sie lebt und was
sie alles falsch macht, wie überflüssig ist, was sie tut und kann, und wie wenig davon auch nur für sie
von Wert ist und erst recht für keinen anderen. Dann werden die Lider über den
Augen schwer, die sich nicht schließen lassen, aber schließen müssten, weil es
nichts zu sehen gibt, was sich lohnt, dann schnürt sich der Hals zu und
erstickt ihren Widerstand gegen die Trübsal, so dass sie keucht, als sei sie so
alt, wie sie sich fühlt. Das sind „so Tage“, an denen sie in den Augen der
anderen forscht, ob die es auch merken, dass da niemand ist, der hier wohnt
hinter dieser Stirn, nur ein gut gemachter Fake: Mutter, Pädagogin,
Kunsthistorikerin, Doktor Sowieso, Frau, Geliebte, tut nur so, zero, zero,
da ist nix und kommt nix und wird nix, nur Maskeraden. Sei offen und ehrlich,
ist eine doofe Aufforderung an jemanden, hinter dessen Fassade gar nichts
versteckt ist. Das sind so Tage.
Sie will sich hinlegen. Wenn sie die Hände über der Brust faltet, kann sie sich
vorstellen, in einem Sarg zu liegen. Wenn der Deckel zugeklappt würde, käme der
Frieden.
Das
ist kindisch. Und widerlich. Schäbiges Selbstmitleid wird gnadenlos
bestraft. Jetzt wird sie sich aufraffen und Hassobjekte suchen. Es ist gar
nicht schwer, fündig zu werden. Die SPD-Troika, zum Beispiel, grinst ihr von
einem Foto entgegen. Steinmeier, der Murat Kurnaz in Guantanomo darben ließ,
Steinbrück, der sich um die milliardenschwere Rettung der Banken verdient
gemacht und sich den Sozialstaat erspart hat und Sigmar Gabriel, der ehemalige
Pop-Beauftragte, der die SPD-Frauen als Radikalfeministinnen beschimpft. Bei
den Grünen tummeln sich Schwachmaten genug, die jeden von denen frei- und
bereitwillig zum Kanzler wählen würden. (Ah, sie fühlt sich schon viel besser!)
Das Angebot ist groß: Die Linken lassen sich von einem alten Herrn mit
unattraktiver Figur tyrannisieren, dessen Sexyness für eine gutaussehende Frau,
die jünger ist als sie, sich ihr nicht erschließt. Auch das kotzt sie aus ästhetischen
und anderen Gründen an. Die Erinnerung an seine ehemalige Tusse, die heilige Hausfrau, liefert gleich noch einen Extra-Energieschub. Wen hätten wir denn
noch? Gerwald Claus-Brunner, Pirat im Berliner Abgeordnetenhaus gibt
sexistische Kackscheiße von sich und fühlt sich anderntags gemobbt. (Sie ist
schon fast wieder auf der Höhe.)
Ich
habe nicht viele Talente. In der Oberstufe belegte ich Chemie und Englisch als
Leistungskurse. Ich kann vieles ganz gut und nichts richtig. Aber ich habe das
Talent, mich ganz schnell aufladen zu können, mit Wut und Energie. Ich brauche
dazu nicht mal richtig große Anlässe. Es ist immer was im Angebot und ich
greife zu. Damit ich über „so Tage“ komme. Frau kann sich ja nicht immer und
stundenlang in die Badewanne
legen. (Das ist auch nicht gut für die Haut.)
Liebe Melusine,
AntwortenLöschenzum gestrigen Beitrag hätte ich fast kommentiert, wie froh ich bin, dass Du Dich traust zu schreiben (Zitat), weil ich wachse an dem, was ich in anderen Blogs und vor allem auch in Deinem lesen kann. Gemäß dem Zitat, das ANH einem seiner Briefe vorangestellt hat:
"Nur das Schwierige ist anregend;
nur der Widerstand, der uns herausfordert,
kann unser Erkenntnisvermögen
geschmeidig krümmen, es wecken
und in Gang halten.
José Lezama Lima"
Ich kann sowohl das Glück nachempfinden, das es für Dich bedeuten muss, dass Du Dich zu schreiben traust, als auch die zyklisch wiederkehrenden Zweifel an Deinem Talent. (Ohne mich mit Dir vergleichen zu wollen. Oder überhaupt in irgendeiner Weise zu messen oder zu werten.)
Du brauchst ja weder Bestätigung noch Trost, auf die zyklische Wiederkehr der Freude, auch der am eigenen Vermögen und über die wütende Energie hinaus, ist ja ebenso Verlass.
Mir ist das hier viel wert.
Herzliche Grüße, Iris
DANKE!
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