"Ob wir es wollen oder nicht: weil wir soziale Geschöpfe sind, werden wir in die Experimente anderer Menschen immer mit einbezogen werden. Besonders heikel ist dabei, dass es diesen anderen gar nicht so sehr darum geht, ob sie für Nächste erkennbar werden; dies zeigt jetzt die Erfahrung. Sondern ihr offenbarer Schmerz entsteht alleine schon dadurch, dass sie es für sich selbst werden. Dem wollen sie nicht ausgesetzt sein. Ihre Verdrängungsprozesse wehren sich, die doch Prozesse der Abwehr sind und solche der Verleugnung. "Nicht hinsehen: dann ist, was ich nicht sehe, nicht da."
Imgrunde ist das ein magisches Denken bzw. Fühlen. Tatsächlich verschieben Verdrängungen die Nöte aber nur und konservieren sie für den Moment des endlichen, aber irrelaufenden Ausbruchs. Die Anstrengung des ständigen Verdrängens schleift den Menschen überdies ab, bis er brüchig geworden ist und an Verkalkung versiecht. Das Leben als einen Roman zu betrachten, erwehrt sich dieser Vergreisung, allein schon, weil es sich durch die Öffentlichkeit ständig kampfbereit hält.
Aber nicht nur die Prozesse der Verdrängung wirken, sondern auch eine eine religiöse Angst: nämlich die vor jenem imaginären Feind, der bei Androhung höchster Strafen verlangt, dass man ihn nicht nennt. In der Diskussion nahezu jedes Intimen wirkt dies Mythische mit. So gesehen ist Das Leben als einen Roman zu betrachten Lästerung: Sie bringt den Menschen das Feuer.
(A l l e persönlichen Weblogs tragen diese olympische Flamme weiter. Nichts anderes taten die großen Romanciers, deren Büchern man heute verböte - mit Gründen der Persönlichkeitsrechte.)"
Alban Nikolai Herbst: Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. Erste Lieferung, edition taberna kritika, Bern 2011 jetzt auch als Kindle Edition: Hier.
(Ich fing wieder an zu schreiben - als eine Melusine - weil ich mich verloren fühlte. Ich hätte nicht weitermachen können, wenn der Zufall (oder das Schicksal) es nicht gewollt hätte, dass ich Alban Nikolai Herbst begegnete (im Netz zuerst). Ich befolgte seine Ratschläge (die er bereitwillig, aber ganz unpädagogisch gab), ohne sie zu verstehen. Ihm verdanke ich viel, nämlich das ich mich traue zu schreiben, obwohl ich mein LEBEN ALS ROMAN nicht lebe. Und deshalb passt es gut, dass ich heute - nach langer Pause - den letzten Teil des Briefwechsels mit Alban Nikolai Herbst eingestellt habe, aus dem kein Roman wurde, aber mit dem für mich das Bloggen begann. Hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3)
Fast unheimlich ist das, liebe Melusine. Denn auch ich nahm gestern die Kleine Theorie zur Hand, um daraus eine Stelle zu zitieren auf TT - las mich dann aber fest. Nun haben Sie mit "Nicht hinsehen ..." genau eine der Passagen gewählt, die auch ich gestern für spätere Verwendung markiert habe.
AntwortenLöschenIhr Briefwechsel mit ANH: der machte mich schon zu Zeiten seines öffentlichen Entstehens atemlos. Er gehört zu den schönsten und aufregendsten, die ich je gelesen habe. Ah, Melusine, ich war eifersüchtig auf Sie, auf Ihre (Sprach)gewalt, Ihre Verwegenheit und bin es noch: mit Vergnügen.