Sonntag, 20. Mai 2012

PUNK PYGMALION (34): Akt auf Weiß


Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans PUNK PYGMALION (Folge 1-33: Hier)

Lars hat mir die nächste Beschreibung, "Wort-Skizze" wie er es nennt, geschickt. Er habe Emmi nicht mehr getroffen, nach jener Begegnung in der Galerie, bis er sie im Dezember in Hamburg besuchte. Mir hatte sie erzählt, sie werde dann Ansgar wiedersehen. In den drei Monaten, die dazwischen vergingen, „baggerte sie mich auf Facebook an.“ Schreibt er. „Er hat mich auf Facebook gefunden. The rough guy.“, hatte sie mir im Oktober 2010 in der Kneipe erzählt, als ich ihr beim Umzug half. Lars schreibt in seiner Mail, sie habe ihm im August eine Freundschaftsanfrage geschickt. „Ein Account auf deinen Namen, M. Inzwischen ist er gelöscht, wie alles, was ich von ihr hatte oder wusste. Sie hatte das gut vorbereitet. Sie hatte Freunde auf FB, nicht zu viele, lauter Leute, die Anfragen wahllos bestätigen, weil sie FB als Verteilplattform benutzen. Ich habe das nicht nachgeprüft damals. Nur die Infoseite hatte ich angeschaut: kein Geburtsdatum, aber ich wusste ja, dass sie alt war wie meine Mutter. Beruf: Kunsthistorikerin/Journalistin, selbstständig. Das recherchierte ich, denn das war interessant für mich. Konnte sie mir helfen? Es erschien kein Text über meine Skulptur in irgendeiner Kunstzeitschrift. Doch der Galeristin hatte sie lange vorgeschwärmt, während ich geschmeichelt und verlegen daneben stand. Wie großartig das sei, was ich machte. Ob es nicht noch mehr von den Blöcken gab, eine Serie? Sie sei sicher, dass es eine Serie gebe. Es gab eine und natürlich wusste sie das. Obwohl ich nicht glaube, dass sie das Skizzenbuch je gesehen hatte. Sie redete der Galeristin zu, eine Einzelausstellung mit mir zu machen. Und sie wirkte überzeugend, als wisse sie, wovon sie rede und vor allem, als habe sie Beziehungen. Sie sah mich nicht einmal an dabei. Aber sie streifte beim Rausgehen mit der Hand meine Vorderseite, ganz leicht, und drehte sich in der Tür noch einmal um, machte einen Kussmund, geradezu obszön wirkte das, da sie sich ansonsten so damenhaft gab. Ich fand diese elegante und dreiste Frau abstoßend. Ich wollte bestimmt kein Cougar Boy sein. Doch der Kontrast zwischen ihrem vornehmen Getue und dieser Anzüglichkeit machte mich auch geil. Trotzdem hätte ich sie nie gesucht. Sie suchte mich.“ Er hat nichts gespeichert, nichts heruntergeladen von diesem gefakten FB-Account auf meinen Namen, kein Foto, keinen Post; er war nicht misstrauisch. So wenig wie ich.



AKT AUF WEIß (August – November 2010)



Auf dem Profilfoto bei Facebook hat sie die Haare streng zurück gekämmt, trägt nicht die weiche und doch steife blonde Welle, mit der ich sie kennengelernt hatte. Das Gesicht wirkt trotzdem kindlich, so herzförmig und klein, stupsnasig und niedlich. Ein zartes Kind mit Runzeln um die Augen und Falten auf der Stirn. Um den Hals aber eine Perlenkette wie Queen Mum. Der Mund ist verkniffen und korallenrot. Sie ist kühl und unstimmig, diese Frau, sie strahlt etwas aus, das mich beunruhigt und anmacht zugleich. Und sie weiß, wie sie es angeht. Sie postet Fotos von Ausstellungen, die sie besucht, den ganzen Spätsommer über: Wien, Hamburg, London, Paris. Zeigt mir die Konkurrenz. Per privater Nachricht erkundigt sie sich gleichzeitig dauernd nach meiner Arbeit. Lobt die Kraft und Expressivität der Steinwunden, die filigrane Berührung durch meine Drahtkörper. Ich sende ihr Fotos. Sie verspricht, mich in der Werkstatt zu besuchen, aber verschiebt den Termin immer wieder. Postet Fotos von sich, wie sie bei einer Vernissage an der Wand lehnt, ein Knie vorgeschoben, an den Waden zeichnet sich das gespannte Muskelspiel ab, die Füße hat sie in hochhackige Pumps gesteckt, das schwarze Kleid ist kurz, sehr kurz. Sie lehnt den Kopf zurück gegen die Wand, streckt den Hals aus, das Sektglas hält sie locker in der Hand. Ein grauhaariger Mann mit graugestreiftem Galeristenschal stützt sich neben ihr an der Wand ab und beugt sich zu ihr hinüber. Auf einem anderen Foto sitzt sie im dunkelblauen Badeanzug in einem Strandkorb, die Füße aufgestellt, das kleine Gesicht zu mehr als der Hälfte von einer Sonnenbrille verdeckt. Die Zehennägel sind knallrot lackiert. Sie spreizt die Zehen ab. Der Mund ist leicht geöffnet. Die Augen kann man nicht erkennen. Im Chat frage ich sie: „Wer hat dieses Bild aufgenommen?“ „Ein Freund.“, schreibt sie. „Dein Freund?“. „Ich bin Single. Frisch geschieden.“ Den Beziehungsstatus hat sie bei FB offen gelassen. Ich weiß nicht, warum mich das interessiert. Aber wenn ich morgens FB öffne, schaue ich zuerst, ob sich auf ihrer Seite was getan hat. Oft geschieht tagelang nichts. Sie ist selten online. Vielleicht. Es kann auch sein, dass sie die Chat-Funktion ausgeschaltet hat. Ich poste Versuchsballons: Fotos meiner Skulpturen. Das habe ich noch nie getan. Sie drückt noch am selben Tag den „Gefällt mir“-Button. Ich kann nicht länger leugnen, dass ich mich für sie interessiere. Sie lebt jetzt in Hamburg. Ende Oktober hat sie den Wohnort-Eintrag geändert. „Warum Hamburg?“, frage ich im Chat. „Das Wasser.“, schreibt sie. Und gleich drauf: „Ich weiß nicht. Nur weg aus Berlin.“  „Schade.“ „Wirklich?“ „Klar.“ Ein Hauch von einem Flirt. Tatsächlich nur ein Hauch. Noch immer gefällt sie mir nicht. Diese Sprünge zwischen Zurückhaltung und forscher Anmache. Mein Unbehagen, weil ich sie natürlich auch als Mittel zum Zweck betrachte: Sie könnte mir nützlich sein. Und sie ist zu alt für mich. Ich möchte nicht mit so einer Frau gesehen werden. Es ist nicht nur ihr tatsächliches Alter, sondern auch die Art, wie sie sich kleidet und gibt. Ich kann sie mir nicht in Jeans vorstellen. Trotzdem fange ich an, ihren Account zu stalken. Das wird beinahe zur Besessenheit im Herbst. Ich habe in der Zeit viel Sex, beinahe jede Nacht. Mit Kommilitoninnen aus der Kunsthochschule, Frauen, die ich in der Kneipe kennenlerne, manchmal geht es auch ein paar Wochen lang mit einer, aber ich versuche immer klar zu machen, dass ich keine Beziehung will. Es ist mir noch nie zuvor so leicht gefallen, Frauen aufzureißen wie in jenen Wochen, in denen ich keine wirklich will außer ihr, die ich auch nicht will. Manche machen sich natürlich was vor und ein paar Mal kommt es zu hässlichen Szenen in meiner Atelierwohnung. Ich schmeiße sie raus und fahre den Computer hoch. Was macht M.? Sie postet ein Foto von sich. Sie liegt seitlich auf einem weißen Laken, das sie vor der Brust mit der Faust zusammen hält. Sie ist nackt. Sie lächelt. „Lasziv“ ist wohl das passende Wort. Es ist ein Foto wie für ein Sex-Bekanntschaften-Suchportal oder die Annonce einer Käuflichen. Billig - und doch packt es mich. Weil da wieder diese Mischung ist aus Aufforderung und Verweigerung. Sie hält den Knoten vor ihrer Brust sehr fest. Sie schreibt mir in den Direktnachrichten: „Dieses Foto kannst nur du sehen.“ Ich antworte nicht. Kein Kontakt für zwei Wochen. Ich stalke sie weiter. Ficke mich durch die Nächte. Nach zwei Wochen schreibe ich ihr: „Im Dezember besuche ich meine Mutter in Hamburg. Hätte Lust, dich zu sehen.“ Sie antwortet zwei Tage später. „Gern.“ Wir vereinbaren ein Treffen im Café  Liebermann in der Kunsthalle. Ich male sie vor weißem Hintergrund. Nackt. Kein Laken. Wie ich sie mir vorstelle. Später werde ich viele Akte von ihr malen. Sie sieht anders aus unter dem Laken, als ich sie mir vorstellte. Und genauso.



  

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