Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans PUNK PYGMALION (Folge 1-33: Hier)
Lars
hat mir die nächste Beschreibung, "Wort-Skizze" wie er es nennt, geschickt. Er habe Emmi nicht mehr getroffen, nach jener Begegnung in der Galerie,
bis er sie im Dezember in Hamburg besuchte. Mir hatte sie erzählt, sie werde
dann Ansgar wiedersehen. In den drei Monaten, die dazwischen vergingen, „baggerte sie mich auf Facebook an.“ Schreibt er. „Er hat mich auf Facebook
gefunden. The rough guy.“, hatte sie mir im Oktober 2010 in der Kneipe erzählt,
als ich ihr beim Umzug half. Lars schreibt in seiner
Mail, sie habe ihm im August eine Freundschaftsanfrage geschickt. „Ein Account
auf deinen Namen, M. Inzwischen ist er gelöscht, wie alles, was ich von ihr
hatte oder wusste. Sie hatte das gut vorbereitet. Sie hatte Freunde auf FB,
nicht zu viele, lauter Leute, die Anfragen wahllos bestätigen, weil sie FB als
Verteilplattform benutzen. Ich habe das nicht nachgeprüft damals. Nur die Infoseite
hatte ich angeschaut: kein Geburtsdatum, aber ich wusste ja, dass sie alt war
wie meine Mutter. Beruf: Kunsthistorikerin/Journalistin, selbstständig. Das
recherchierte ich, denn das war interessant für mich. Konnte sie mir helfen? Es
erschien kein Text über meine Skulptur in irgendeiner Kunstzeitschrift. Doch
der Galeristin hatte sie lange vorgeschwärmt, während ich geschmeichelt und verlegen
daneben stand. Wie großartig das sei, was ich machte. Ob es nicht noch mehr von
den Blöcken gab, eine Serie? Sie sei sicher, dass es eine Serie gebe. Es gab
eine und natürlich wusste sie das. Obwohl ich nicht glaube, dass sie das
Skizzenbuch je gesehen hatte. Sie redete der Galeristin zu, eine
Einzelausstellung mit mir zu machen. Und sie wirkte überzeugend, als wisse sie,
wovon sie rede und vor allem, als habe sie Beziehungen. Sie sah mich nicht
einmal an dabei. Aber sie streifte beim Rausgehen mit der Hand meine
Vorderseite, ganz leicht, und drehte sich in der Tür noch einmal um, machte
einen Kussmund, geradezu obszön wirkte das, da sie sich ansonsten so damenhaft
gab. Ich fand diese elegante und dreiste Frau abstoßend. Ich wollte bestimmt
kein Cougar Boy sein. Doch der Kontrast zwischen ihrem vornehmen Getue und
dieser Anzüglichkeit machte mich auch geil. Trotzdem hätte ich sie nie
gesucht. Sie suchte mich.“ Er hat nichts gespeichert, nichts heruntergeladen
von diesem gefakten FB-Account auf meinen Namen, kein Foto, keinen Post; er war nicht misstrauisch. So
wenig wie ich.
AKT
AUF WEIß (August – November 2010)
Auf
dem Profilfoto bei Facebook hat sie die Haare streng zurück gekämmt, trägt nicht die weiche
und doch steife blonde Welle, mit der ich sie kennengelernt hatte. Das Gesicht
wirkt trotzdem kindlich, so herzförmig und klein, stupsnasig und niedlich. Ein
zartes Kind mit Runzeln um die Augen und Falten auf der Stirn. Um den Hals aber
eine Perlenkette wie Queen Mum. Der Mund ist verkniffen und korallenrot. Sie
ist kühl und unstimmig, diese Frau, sie strahlt etwas aus, das mich beunruhigt und anmacht zugleich. Und sie weiß, wie sie es angeht. Sie postet Fotos von
Ausstellungen, die sie besucht, den ganzen Spätsommer über: Wien, Hamburg,
London, Paris. Zeigt mir die Konkurrenz. Per privater Nachricht erkundigt sie
sich gleichzeitig dauernd nach meiner Arbeit. Lobt die Kraft und Expressivität
der Steinwunden, die filigrane Berührung durch meine Drahtkörper. Ich sende ihr
Fotos. Sie verspricht, mich in der Werkstatt zu besuchen, aber verschiebt den Termin
immer wieder. Postet Fotos von sich, wie sie bei einer Vernissage an der Wand
lehnt, ein Knie vorgeschoben, an den Waden zeichnet sich
das gespannte Muskelspiel ab, die Füße hat sie in hochhackige Pumps gesteckt,
das schwarze Kleid ist kurz, sehr kurz. Sie lehnt den Kopf zurück gegen die Wand, streckt den Hals aus, das Sektglas
hält sie locker in der Hand. Ein grauhaariger Mann mit graugestreiftem
Galeristenschal stützt sich neben ihr an der Wand ab und beugt sich zu ihr hinüber. Auf einem anderen Foto sitzt sie im dunkelblauen
Badeanzug in einem Strandkorb, die Füße aufgestellt, das kleine Gesicht zu mehr
als der Hälfte von einer Sonnenbrille verdeckt. Die Zehennägel sind knallrot
lackiert. Sie spreizt die Zehen ab. Der Mund ist leicht geöffnet. Die Augen kann
man nicht erkennen. Im Chat frage ich sie: „Wer hat dieses Bild aufgenommen?“ „Ein
Freund.“, schreibt sie. „Dein Freund?“. „Ich bin Single. Frisch geschieden.“
Den Beziehungsstatus hat sie bei FB offen gelassen. Ich weiß nicht, warum mich
das interessiert. Aber wenn ich morgens FB öffne, schaue ich zuerst, ob sich
auf ihrer Seite was getan hat. Oft geschieht tagelang nichts. Sie ist selten
online. Vielleicht. Es kann auch sein, dass sie die Chat-Funktion ausgeschaltet
hat. Ich poste Versuchsballons: Fotos meiner Skulpturen. Das habe ich noch nie
getan. Sie drückt noch am selben Tag den „Gefällt mir“-Button. Ich kann nicht
länger leugnen, dass ich mich für sie interessiere. Sie lebt jetzt in Hamburg.
Ende Oktober hat sie den Wohnort-Eintrag geändert. „Warum Hamburg?“, frage ich
im Chat. „Das Wasser.“, schreibt sie. Und gleich drauf: „Ich weiß nicht. Nur
weg aus Berlin.“ „Schade.“
„Wirklich?“ „Klar.“ Ein Hauch von einem Flirt. Tatsächlich nur ein Hauch. Noch
immer gefällt sie mir nicht. Diese Sprünge zwischen Zurückhaltung und forscher
Anmache. Mein Unbehagen, weil ich sie natürlich auch als Mittel zum Zweck
betrachte: Sie könnte mir nützlich sein. Und sie ist zu alt für mich. Ich
möchte nicht mit so einer Frau gesehen werden. Es ist nicht nur ihr
tatsächliches Alter, sondern auch die Art, wie sie sich kleidet und gibt. Ich
kann sie mir nicht in Jeans vorstellen. Trotzdem fange ich an, ihren Account zu
stalken. Das wird beinahe zur Besessenheit im Herbst. Ich habe in der Zeit viel
Sex, beinahe jede Nacht. Mit Kommilitoninnen aus
der Kunsthochschule, Frauen, die ich in der Kneipe kennenlerne, manchmal geht es
auch ein paar Wochen lang mit einer, aber ich versuche immer klar zu machen, dass ich
keine Beziehung will. Es ist mir noch nie zuvor so leicht gefallen, Frauen
aufzureißen wie in jenen Wochen, in denen ich keine wirklich will außer ihr, die
ich auch nicht will. Manche machen sich natürlich was vor und ein paar Mal
kommt es zu hässlichen Szenen in meiner Atelierwohnung. Ich schmeiße sie raus
und fahre den Computer hoch. Was macht M.? Sie postet ein Foto von sich. Sie
liegt seitlich auf einem weißen Laken, das sie vor der Brust mit der Faust zusammen hält. Sie
ist nackt. Sie lächelt. „Lasziv“ ist wohl das passende Wort. Es ist ein Foto
wie für ein Sex-Bekanntschaften-Suchportal oder die Annonce einer Käuflichen.
Billig - und doch packt es mich. Weil da wieder diese Mischung ist aus
Aufforderung und Verweigerung. Sie hält den Knoten vor ihrer Brust sehr
fest. Sie schreibt mir in den
Direktnachrichten: „Dieses Foto kannst nur du sehen.“ Ich antworte nicht. Kein
Kontakt für zwei Wochen. Ich stalke sie weiter. Ficke mich durch die Nächte.
Nach zwei Wochen schreibe ich ihr: „Im Dezember besuche ich meine Mutter in
Hamburg. Hätte Lust, dich zu sehen.“ Sie antwortet zwei Tage später. „Gern.“
Wir vereinbaren ein Treffen im Café Liebermann in der Kunsthalle. Ich male sie vor weißem Hintergrund. Nackt. Kein
Laken. Wie ich sie mir vorstelle. Später werde ich viele Akte von ihr malen.
Sie sieht anders aus unter dem Laken, als ich sie mir vorstellte. Und genauso.
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