Lange her - als Mastermind und Amazing noch mit den Eltern durch den Rheingau wanderten |
An
der Hallgartener Zange haben wir uns noch bei jeder Wanderung verlaufen.
Dafür schätzen wir den Riesling der Lage, den der hiesige Bio-Supermarkt im
Angebot hat, zu einfachen Abendessen. An einem lauen Abend schmeckte uns das
leckere Dunkelbier im Klostergarten der Gaststätte des Kloster Eberbach. Nach
Bacharach am Rhein fuhr ich einmal mit einer Freundin in der Lebenskrise. Wir
trafen uns in Bingen am Steg und saßen an Bord des Rheindampfers zwischen
lauter Rentnern, die sie mit ihrem Turban und den dunklen Augen für eine
strenggläubige Muslimin hielten. Die verwinkelte Pension, in der wir
unterkamen, wurde von einem verhuschten Männchen geführt, das jedoch kein
einziges Mal seine Mutter
erwähnte,obwohl man sich gut
vorstellen konnte, sie oder ihr Skelett hause irgendwo unterm Dach in
einer Kammer Zum Glück waren die
Zimmer nur mit fließend warm und kalt Wasser - ohne Dusche! Als sensationell
stellte sich das Frühstück heraus, kein Büfett, keine abgepackten Marmeladen
und Butterportionen, sondern ein großer Tisch, nur für uns zwei gedeckt mit Brötchenkorb
und Brezeln, Aufschnitt, Käse, einer selbstgemachten Erdbeermarmelade und
frisch gemahlenem Kaffee. Danach konnten wir uns kaum mehr rühren und
spazierten bloß noch eine kurze Strecke über die Promenade. Die Krise blieb und
verging anderswo und anderswie, doch die zwei Tage auf und am Rhein lenkten von
Schmerzen ab und schenkten uns Momente des Lachens und Lächelns. Ein andermal
wanderten Morel und ich mit zwei maulenden Söhnen bis fast hoch in den Hunsrück
hinauf und stießen unvermittelt auf dem Rückweg auf das sogenannte
Günderrode-Häuschen, das Hermann und Clarissa in HEIMAT 3 von Edgar Reitz
renovieren. Im Film liegt es gegenüber der Loreley, doch wir fanden es in
Oberwesel, wo die Jugendherberge wahrhaftig ein eigenes Hallenbad hat.
Der
Rheingau ist ein Ausflugsziel, das ich seit vielen Jahren liebe. Ich kenne die
Gegend gut, doch ich war noch nie in einer Garage Winery, ich lauschte noch nie
den Papageien im Schlosspark von Bieberich, ich betrat
noch nie das Brentanohaus in Winkel oder suchte Karoline von Günderodes Grab. Sie
scheint so vertraut, die Tour in den Rheingau, dass man leicht glaubt, es gäbe
darüber nichts zu erzählen, über eine Gegend, durch die man so oft gewandert,
in der man so oft gezecht hat. Doch Eva Demski schafft es in einem kleinen Buch
über den Rheingau, ganz ohne Rührseligkeit, dieser vertrauten
Landschaft neue Seiten abzugewinnen und ihren alten Glanz aufzupolieren.
Demski
beginnt mit ihren Kindheitserinnerungen, Frühling und Herbst am Rhein statt an
der Donau, wo sie aufwuchs, zwei Flüsse voller Geschichten, die
unterschiedlicher nicht sein könnten, Rheingold und Drachenblut, Donauwellen
und Schwarzmeer. Am Rhein herrschte, so erinnert sie sich, stets eine
Überschwänglichkeit, „immer machte jemand
ein Fläschchen auf“. Sie sind redselig, die Rheinländer, sie tratschen und
klatschen, dass dem Kind die Ohren klingen, alles scheint voller Andeutungen,
Anspielungen, Sehenswürdigkeiten, Musik und Wein, Fülle statt Düsternis,
Heiterkeit statt Melancholie. So fühlt sich in der Erinnerung Demskis der
Rheingau an, zwischen Wiesbaden und Koblenz, wo die Burgruinen geradezu
epidemisch von den Felsen grüßen und die betrunkenen Kegelvereine sich in den
Gebüschen vergnügen.
Die
„Reise in die vertraute Fremde“, auf die Demski die Leser:innen mitnimmt, führt
über die A66 direkt zur Sektkellerei Henkell, deren Riesenwürfel ihr als
Eintrittstor in den Rheingau erscheint. Im Schlossgarten von Biebrich findet
sie die legendären „käfigflüchtigen“ Papageien, unverschämte Eindringlinge, die
die heimische Vogelwelt bedrohen, wie der Parkwächter meint, der sie abschießen
will. Einwanderer aus fernen Ländern sind halt auch im Rheingau, wo es so
gemütlich wirkt, nicht allseits willkommen, obwohl der Landstrich von
asiatischen Touristen durchaus profitieren will.
Die
Gasthäuser sind urig häßlich, Butzenscheiben, Plastikreben, karierte
Tischdecken und Damastvorhänge. Ein kleines Gebiet jenseits der Kaub war
zwischen 1919 und 1923 der „Freistaat Flaschenhals“, da wanderten auch wir
einmal hindurch und prägten aus Blech Münzen. Das Essen ist im Rheingau
jederzeit „touristenkompatibel“, immerhin, manchmal auch besser. Demski sieht
von der üblichen Verachtung gegenüber den Kegelbrüder und –schwestern, die sich
in der Drosselgasse volllaufen lassen, ab: „Damit
man zu einer schönen Enthemmung findet, gibt es längst nicht mehr nur den
berüchtigten Riesling, sondern mehr und mehr Bier und Exotisches. Ein Drink heißt
Orgasmus, so steht es jedenfalls auf einer Tafel...“ Man kann sich
selbstverständlich im Rheingau auch gediegener betrinken. Demski kann dem
hellen, trockenen Riesling allerdings nicht viel abgewinnen, den ich im Sommer
liebe, sie lobt die roten, schweren Weine von Assmannshausen. In der Drosselgasse werden schiefe
Gesänge angestimmt, während andernorts im Rheingau die hohe Sangeskultur beim
Rheingau-Musikfestival gepflegt wird. Luxus und Volksgut, Heißhunger und
Gourmetküche, rundgeschliffene Kieselsteine im trockenen Flussbett und
Hochwasser bis an die Brückenkante: der Rheingau bietet jedem etwas und will es
sich mit keinem vermiesen. So scheint es.
Viele
Male besuchten wir das Kloster Eberbach und wanderten vorbei an der langen
Mauer von Eichberg. Ich wusste das nicht, das hinter diesen Mauern zwischen
1941 und 1945 behinderte Kinder ermordet wurden. Das erfuhr ich erst aus
Demskis kleinem Buch über den „Rheingau“.
„Der Gedenkstein für die toten Kinder liegt der Kapelle gegenüber. Er ist weiß,
etwa sarggroß, der Text ist schwer zu lesen. Ich betrachte den gemeißelten
Teddy, das steinerne Suppentellerchen mit Löffel und Spielszeugpferd. Bis 1993
haben sie gebaucht, um das hier zustande zu bringen. Sonderlich frequentiert
sieht sie nicht aus, diese Kindertotengedenkstätte, die so seltsam aus den
Elementen einer normalen Kindheit zusammengesetzt ist, Essen und Spielzeug.
Nicht mal ein vertrockneter Blumenstrauß liegt da, das ganze ist einfach eine
Verlegenheitslösung zu spät, zu leise, zu uninspiriert, zu klein.“ Die
spüre ich auch, die Verlegenheit, denn genau so wäre es, wenn ich nun dort
hinführe: zu spät, zu leise, zu uninspiriert, zu klein. Ich bin so viele Male
an dieser Mauer entlang gegangen, fröhlich und munter, wie soll ich jetzt die
rechte Einstellung finden zu diesem Ort, nachdem ich das weiß, was ich hätte
wissen müssen und können die ganze Zeit?
Germania
droht vollbrüstig vom Niederwalddenkmal hinab und tief in der Nacht mag es aus
irgendeiner dunklen Kneipe schallen: „Fest steht die Wacht am Rhein...“ In
vielen gemütlichen Brustkörpern lauert eine Metzgerseele. Der Rheingau ist
schön und golden, üppig, verkommen und veraltet, fröhlich und brutal. Oder er
kann das sein. Die Lektüre der Sammlung von Reiseerzählungen von Eva Demski
führt in diese nahe Ferne, nicht kitschig verklärt und nicht sarkastisch
verhöhnt.
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet, Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet, Das weiße Haus inmitten aufgestellt, Was ist's, worin sich hier der Sinn gefällt? Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt! Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen, Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt, Nichts ist's, was mir den Blick gefesselt hält. Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt! Und könnt ich Paradiese überschauen, Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen, Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt, Denn der allein umgrenzet meine Welt.
Bettina Arnim
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Eva Demski: Rheingau, Hoffmann & Campe, 2011 Kindle Edition € 9,90
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