Die Ausstellung ist eröffnet. "Das ist ein Ding...", "Und wie...", "Wie lange hat das gedauert?", "Hast du gesehen?" Allseits Staunen und Raunen. Auch der Vater des Künstlers war stolz, wie er dem meinem sagte. Schneck08 (Sebastian Rogler) war da, was mich besonders gefreut hat. Unsere Freunde Guido Rohm und Seraphe waren mit Tochter Sternchen aus Fulda angereist. Mein Hals war immer noch rauh und die Stimme reichte kaum für die ganze Rede (hätte ich mich besser kürzer gefasst). Apfelwein und - saft floss, man stand in Gruppen und sprach (über das Kunstwerk, tatsächlich, was bei Ausstellungseröffnungen nicht üblich ist). Morel klopfte BenHuRum auf die Schulter: "Das ist dein Meisterwerk." So ist es! Gehen Sie hin, schauen Sie selbst!
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Mountains of Disbelief |
Ich interviewte den Künstler nicht, wie mir Phyllis Kiehl, die leider nicht kommen konnte, geraten hatte. Großmütig verzichtete ich auf unangenehme Fragen wie: „Was
willst du ausdrücken mit dieser architektur-parodistischen Installation?“ oder
„Welche erotische Beziehung hast du zum Material Verpackungspappe?“. Selbst Suggestivfragen stellte ich nicht, bei denen er
bloß sagen hätte müssen: „Ja, kann man so sehen.“ Wie zum Beispiel:
„Ist es nicht so, dass der Kontrast von organischem Wachstum und anorganischer Ordnungsstruktur
dein Gesamtwerk prägt?“ Ich ordnete das Werk auch nicht kunsthistorisch ein, weder soziokulturell („Wegwerfgeschirr und Hochkultur“), noch hermeneutisch („Wunden
zeigen. Wunder glauben. “) noch dekonstruktivistisch („Die Abwesenheit von
Laokoons Waschbrettbauch“).
Stattdessen sprach ich über den "ungläubigen Thomas" (Auszug):
"Das
Erste, woran ich spontan dachte, als ich die Einladungskarte las und sah:
MOUNTAINS OF DISBELIEF und ZEIGE DEINE WUNDE, war der Apostel Thomas, der auch „der
Ungläubige“ genannt wird. Thomas, der einer der zwölf Jünger Jesu war,
verlangte, die Wunde des Herrn mit eigenen Augen zu sehen, um zu glauben. Es
genügte ihm nicht, dass der abstrakte Gott der Schrift in der Gestalt Jesu Fleisch
geworden war, Thomas forderte nun sogar: ZEIGE DEINE WUNDE.
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Guido Rohm, Melusine Barby (aka J.S. Piveckova), Seraphe,
staunend |
Das
Bilderverbot des jüdischen Glaubens hatte seinen Sinn darin, mit der abstrahierenden Definitionsmacht
des Wortes sich der Magie der gegenständlichen Bildnisse zu entziehen. Geglaubt
werden sollte fortan gerade, was nicht zu sehen und anzufassen war. Diese
Abstraktionsleistung verweigert der „ungläubige Thomas“. Thomas erscheint in
seiner Gier nach Anschaulichkeit als ein
schwerfälliger Schüler, der halt ein bisschen länger braucht, um das
Ganze zu begreifen. Am Ende genügt es ihm nicht einmal, die Wunde bloß zu sehen.
Ich glaube nur, wenn ich meine Hand in seine Seite lege., sagt Thomas im Johannes-Evangelium.
Jetzt wird deutlich, wie gewaltsam
sein Verlangen nach Beweisen ist: LASS MICH IN DEINER WUNDE BOHREN.
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Mountains of Disbelief (Detail) |
Während
die Gläubigen Thomas´ Unwillen, irgendetwas zu glauben, was nicht zu sehen und nicht
anzufassen ist, beklagen mögen, können die Zweifler in ihm einen frühen
Schutzpatron erkennen. Das ist ein Mann, der sich kein X für ein U vormachen
und sich nicht mit schönen Worten abspeisen lässt. Thomas kann damit gleichsam als
ein Vorläufer unserer modernen westlichen Weltsicht gelten, die eine Welt des
Zeigens und Gezeigt-Werdens ist, der Entblößung und Aufdeckung, aber eben auch eine
Welt des Misstrauens - gegenüber dem Wort und der Schrift, jedoch ebenso des Misstrauens
gegenüber den Bildern, die lügen können und mit deren Hilfe dauernd gelogen
wird. Es steckt, das Verlangen des ungläubigen Thomas zeigt es, im Bilderwollen
genauso viel Gewalt wie im ursprünglichen Bilderverbot.
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Mountains of Disbelief (Raucherecke) |
In
der Welt der Bilder kann nur Sinn machen, was vorzeigbar und festzuhalten ist. Auf
diese Weise ist das Bild stets auch ein Ausschluss, eine Löschung all dessen,
was nicht gezeigt wird. Wie in der Wörterwelt das Konkrete der Abstraktion
geopfert wird, so wird in der Bilderwelt ausgeschlossen, was als nicht
bildwürdig gilt. Die Installation MOUNTAINS OF DISBELIEF von Thomas Hartmann zeigt
Ihnen vieles, aber sie trifft offenbar diese Unterscheidung zwischen bildwürdig
und bildunwürdig nicht. Vor meinen Augen entsteht hier – jenseits des Logos - ein
faszinierender und lustvoller Einspruch gegen die Herrschaft der erstarrten und
erstarrenden Sinn-Bilder. Es ist nicht wahllos, was und wie Sie hier etwas zu
sehen bekommen, aber es ist auch nicht zwingend in jenem zwanghaften Sinn, der
behauptet, etwas könne nur so und nicht anders sinnfällig und bedeutsam werden.
Sie können umher gehen in dieser Kirche und zeigen: auf bunte Bälle und
Trinkhalme, auf Sumo-Ringer-Hosen und Joseph-Silhouetten, auf Teppichrohre und
Kruzifixe, auf Grass und Ente, Pfeife und Schlange. Sie können einen
eingehegten Altar umkreisen oder eine Raucherecke finden. Aber wann immer Sie
versuchen werden, sich ein Bild zu machen, werden Sie vor diesen Gebilden feststellen,
dass der Bilderrahmen überschnitten wird, dass es aus ihm herausquillt und in
ihn hineinwuchert. Immer wieder kann man hindurch und hinaus schauen. Sie können
sinnstiftende Bezüge herstellen zwischen Formen und Farben, Zitaten und
Metaphern und doch wird sich wohl kaum alles schlüssig zu einem einzigen Gesamtbild
fügen. Das Gebilde, das hier entstand, ist stabil und fragil zugleich: Es hält,
aber es wird nicht bleiben. Die Bildwerke aus Pappe und Papier,
Zeitungsausschnitten, Spielzeug und Müll, die hier gezeigt werden, können woanders ganz anders zusammen gesetzt sein.
Sie stehen nicht für sich allein, sondern sind in Beziehungen und
Abhängigkeiten gebracht, die jedoch nur befristet gelten. Metamorphosen deuten
sich an; alles kann zu anderer Zeit, an anderem Ort sich anders fügen. Vielleicht
werden Sie stehen bleiben und staunend schauen, während andere durch die
Pappkonstrukte hindurch auf Sie schauen, wie Sie zeigen, was Sie gerade sehen. Die
Gesetze des Bildes: Kohärenz, Konzentration, Kontemplation sind hier außer
Kraft gesetzt. Stattdessen finden Sie Übersprünge und Überfülle, stoßen Sie auf
Weiterungen und Wucherungen.
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Mountains of Disbelief (Laokoon-Gruppe) |
Es
behält hier keiner recht oder wird ins Unrecht gesetzt. Weder der Skeptiker noch
der Sinnstifter. Sie können beide Positionen einnehmen. Sie können mit ihnen
spielen. Sie kamen her, um Berge des Unglaubens zu sehen. MOUNTAINS OF
DISBELIEF. Sie werden gesehen inmitten von Bergen des Unglaubens. Wo ein Berg
ist, ist auch ein Weg durch den Berg. Aus der Wunde der Stadt, der sich dieser
Kirchenbau Werner Neumanns aus den
fünfziger Jahren verdankt, weil die alte Weißfrauenkirche in der Altstadt 1944
bei einem Bombenangriff ausbrannte, ist ein Raum geworden, fest und farbig, in
dem sich zu Zeigendes verbirgt und Unzeigbares sichtbar werden kann. Die Stadt,
deren Wunde von damals nicht mehr offen liegt, wird aber auch weiter verwundet.
Um die Ecke wurden Zeichen gesetzt, indem man in Zelten vor Bankentürmen
kampierte. Nebenan finden Wohnungslose dieser Stadt Hilfe. Sie können manche Wunden
sehen und auf sie zeigen. Sie können auch in den Wunden bohren.
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Thomas Hartmann (BenHuRum) |
Aber
vor allem können Sie hier in und vor Thomas Hartmanns Installation erleben, wieviel Lust und Energie, Farbe und Formenfülle sich aus Verwundung und
Verwunderung, Wohlstandsmüll und Verpackungsmaterial, Überfluss und Schein, Kitsch
und Kunstwollen schöpfen lassen. Alles hat einen Wert, jedoch nicht den, der
sich auf ein Preisschild schreiben lässt. Statt der Ökonomie des Mangels zu
huldigen und sich dem Spar-Zwang zu beugen, wird hier in barocker Manier verschwenderisch in die Vollen
gegriffen. Sie können das genießen und dabei etwas verstehen, was in Worten nicht
ausgedrückt werden kann. Und deshalb müssen Sie tatsächlich hier sein und sehen;
nicht um zu sehen, was sie nicht glauben können, sondern um zu sehen, was nicht
zu beschreiben ist. VERSORGE DEINE WUNDE. VERSORGE DICH.
Schweifen
Sie umher, entdecken Sie die Gastbeiträge von Gerald Domenig, fabelhafte Tiere
und transsexuelle Skulpturen, die Eierkartons und das kubistische Bildnis und vieles mehr. Die
Möglichkeiten scheinen unendlich, Bezüge und Deutungen herzustellen. Seien Sie
nicht geizig!"
Schauen Sie selbst, wenn Sie in Frankfurt am Main sind. Bis zum 28. Juni in der Weißfrauen Diakoniekirche Gutleutstraße/Ecke Weserstraße. (Nur 5 Minuten zu Fuß vom Frankfurter Hauptbahnhof).
Fotos: Morel
Fantastisch! Ich wünschte, ich könnte es selbst erleben. Danke für den Bericht.
AntwortenLöschenSchade, dass Du soweit weg bist. Denn es ist wirklich sehenswert! Herzliche Grüße Melusine
AntwortenLöschenLiebe Melusine, das reizt mich wirklich sehr, ich werde versuchen hinzukommen.
AntwortenLöschenUnd wenn ich es schaffe, werde ich Dir, liebe Eva, im Spätsommer in Berlin (hoffentlich!) davon berichten.
Grüße aus der Sonne, Iris
Das würde mich sehr freuen. Und wenn Du kommst, würde ich Dich sehr gerne einmal persönlich kennenlernen. Schreib mir eine Mail, wenn es klappt! HG Jutta
LöschenDas mach ich.
LöschenO Ja!
LöschenTja, bei dieser Ausstellungseröffnungen wäre ich gerne dabeigewesen. (Zumal es auf Ausstellungseröffnungen sicherlich auch Riesling gibt?!) Diese Installation, dieses Environment sieht sehr großartig aus. Doch Frankfurt ist nun einmal nicht gerade um die Ecke. Aber ich werde sicherlich einmal nach Frankfurt reisen.
AntwortenLöschenJa, es ist in der Kunst beides: Die Lust an der reinen Sinnlichkeit, dem Moment des Materialen, des Materials selbst und die an der wilden und tiefen Reflexion. (Das ist wie mit den Frauen.)
Der ungläubige Thomas gefiel mir schon als Kind: Wie er seinen Finger in die Wunde bohrte! Aber zugleich bedeutet der Glaube eben die bedingungslose Hingabe, durch keine Empirie, durch kein Faktum gesichert. Ich konnte diese Weise der Intuition ab einem bestimmten Punkt nicht mehr leisten.
Die Entblößung gibt ein schönes Bild ab, und sie bedeutet zugleich, daß ewig mit den Schleiern gespielt werden muß, damit in der Enthüllung nicht zum Vorschein kommt, daß da womöglich nichts ist, was sich zeigen könnte. (Es ist der Schleier natürlich zugleich mit dem Fetisch konnotiert.)
Diese Passagen von mir, durch Deinen Text inspiriert, gefallen mir wieder so gut, daß ich sie irgendwann zu einem eigenen Text verarbeiten werde, den ich im Rahmen meines „Belinda Project(s) - Datumsgrenzen“ geben werde.
Die gefallen mir auch. Bin ohnehin schon mächtig gespannt auf die "Belinda-Project(s) - Datumsgrenzen" (Wow!)
Löschen"wie mit den Frauen". Männer sind material und materiell auch ganz interessant. Dagegen bleibt die Reflexion doch eher ... verzagt ;-).
(Die Sache mit dem Bankraub geht klar! Maske/Schleier hab´ ich schon.)
Eine wunderbare Ausstellung, ein sehr interessanter Kirchenbau, ein symphatischer Künstler, eine (zwar leise, aber) zutreffende und schöne Einführung (Rede) und endlich auch mal Fleisch und Blut und nicht immer nur Pixel - das alles hat mir sehr gefallen! Ich wünsche der Ausstellung viel Beachtung und beim nächsten Mal gehen wir dann noch ein sonniges Bier trinken, ja? (oder Wein) /Herzliche Grüße, gestern Abend wiederheimgekehrt vatertäglich, vom jetzt gläubigen Schneck ;)
AntwortenLöschenJa! Das machen wir, Wein oder Bier...ich trinke beides! (Und sogar Äppelwoi!) Ein gläubiger Schneck, das wird eine ganz neue Erfahrung. ("Meine" Salafisten haben mich grade wissen lassen, dass Jesus Muslim war, sowieso. Na dann...)
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