Mittwoch, 9. Mai 2012

PUNK PYGMALION (32): Im Stillen Don


Fortsetzung des Brief- und Blogromans: PUNK PYGMALION (Folge 1 - 31: Hier)



Am nächsten Morgen blinzelte ich vorsichtig in die Strahlen, die sich zwischen den gelben Vorhangschals durchdrängelten. Aber der erwartete schrille Schmerz blieb aus. Nur ein wenig dumpf fühlte ich mich. Es war erst halb acht, kein Grund schon aufzustehen. Bevor ich mich wieder auf die andere Seite drehen wollte, hob ich mit der Hand das Mobile vom Boden, auf den ich meine Handtasche am Abend ausgeleert hatte. Bei Alban Nikolai Herbst hatte ich es ausgeschaltet. Ich bin da altmodisch und finde es unhöflich, Besuche zu machen und nebenbei Telefonate zu führen. In der Nacht war ich zu müde und zu betrunken gewesen, das Mobile  noch einmal einzuschalten. Ich tippte den Code ein und sah, dass ich zwei SMS erhalten hatte und drei Nachrichten auf meiner Mailbox waren. Zuerst hörte ich die Mailbox ab. Nichts Wichtiges, zu Hause würde ich mich im Laufe des Vormittags melden, eine Reaktion auf die anderen Anrufe hatte Zeit bis Montagfrüh. Eine SMS war von meinem älteren Sohn und hatte sich inzwischen erledigt. Die zweite war von Lars. Als ich den Namen las, fühlte es sich an wie ein Stich unter das Brustbein. Es ist nicht vorbei. Gegen alle Vernunft klang das wie ein Hallelujah. Ich wollte nicht abschließen mit dieser Geschichte. Noch immer wollte ich Emmi finden oder zumindest ihre Gründe; mein Versagen begreifen.

„Ich war voreilig. Können wir uns heute noch mal sehen? Lars“ Das hatte er gestern um 17.30 Uhr geschrieben, also als ich bei Herbst gesessen und gedacht hatte: „Das war´s“ oder versuchte hatte, nicht daran zu denken, wie sehr mich der Rauswurf verletzt hatte und wie viele neue Fragen er aufwarf. Emmi hatte Lars eingeweiht. Oder hatte er eigenständig recherchiert? Alle Namen hatte ich verändert. Auch die Orte. Google hätte ihm nicht geholfen. Nur Emmi konnte ihn auf Gleisbauarbeiten gelenkt haben. Ich setzte mich im Bett auf. SMS sind nicht gerade meine Stärke. Ich brauche gefühlte Stunden, um eine einzige Kurznachricht abzusetzen. Ich hätte auch zurückrufen können. Aber auch darin bin ich altmodisch: Ich antworte gewöhnlich in dem gleichen Medium, in dem ich angesprochen werde. Ich wünsche oft, mir gegenüber würden die Leute sich ähnlich verhalten, mich nicht anrufen, wenn ich ihnen eine Mail geschrieben habe oder mit mir chatten wollen, wenn ich ihnen eine Direktnachricht gesendet habe. Ich finde es überflüssig, dauernd erreichbar zu sein und übergriffig, diese Bereitschaft vorauszusetzen. Lars hätte ich allerdings gerne sofort, gestern schon, geantwortet. Denn ich wollte nicht, dass es so aussah, als ließe ich ihn aus Rache zappeln. „Lese das jetzt erst. Geht es auch heute noch? Am Abend ab 20.00 Uhr? Freue mich sehr. M.“ Das dauerte fast zehn Minuten, bis ich das überlegt, getippt und gesendet hatte.  Es sollte freundlich, ohne einen Hauch von Beleidigtsein, aber auch nicht zu eilfertig wirken. Ich wollte ihn auf keinen Fall verschrecken. Er antwortete binnen weniger Minuten. „Ja. Wo?“ „ Um 20.30 Uhr im ´Stillen Don´, Erich-Weinert-Str. 67“. Das kostete mich noch mal fünf Minuten. Die Antwort aber kam prompt: „Bis dann.“

Die Uhr zeigte nun fast halb neun. Immer noch früh genug. Ich ging ins Bad, spritzte mir ein bisschen Wasser ins Gesicht, entleerte meine Blase und schlüpfte wieder unter die Decke. Es war nicht vorbei. Nicht vorbei. Nicht vorbei. Sagte ich mir auf. Mit diesem Sound im Ohr schlief ich wieder ein. Um halb elf erwachte ich erneut. Ich dachte, jetzt sei es spät genug, um wie verabredet Bersarin, den Blogger, mit dem ich für den Mittag zu einem Ausflug auf die Rennbahn in Hoppegarten verabredet war, anzurufen. Er war wach und wir machten aus, dass er mich um halbeins vor der Tür abholen würde. Ich überlegte, was ich anziehen wollte und wie lange es dauern würde, mich ausgehfertig herzurichten. Kein Problem, das simple braunschwarz-karierte Kleid aus dem knitterfreien Jersey musste ich einfach nur überstreifen. Die Haare - ich hatte vor einer Stunde einen kurzen Blick in den Spiegel geworfen-  ließen sich mit Lockenstab und Spray leicht in Form bringen; ein bisschen Make up und fertig. Das war in einer halben Stunde hinzukriegen. Kein Grund vor zwölf aus dem Bett zu kommen. Ein wenig spürte ich nun doch die Folgen des übermäßigen Weinkonsums, aber immer noch war es eher ein dumpfes Dröhnen als ein stechender Schmerz. Anderthalb weitere Stunden des Dösens, hoffte ich, würden das kleinkriegen.

So war es leider nicht. Als Bersarin kam, setzte die Wirkung des Aspirins, das ich unmittelbar vor seiner Ankunft genommen hatte, gerade erst ein. In der ersten halben Stunde, als wir stadtauswärts am Roten Rathaus vorbei, über die Karl-Marx-Allee gen Osten fuhren, musste ich meinen Kater überspielen. Die gute Laune half mir dabei. Die ganze hilflose Traurigkeit, wegen der ich mich in den Schlaf geschluchzt hatte, war verflogen. Es ist nicht vorbei, jubilierte ich innerlich, während ich mich mit der rechten Hand am Wagengriff festhielt, um den schwankenden Kopf oben zu behalten. Es wurde ein rauschhafter, wenngleich alkoholfreier Nachmittag auf der Rennbahn. Ich setzte „Alles auf Sieg“ auf einen Außenseiter und gewann. Das nahm ich als gutes Omen für das Treffen mit Lars. Wer nicht gewagt, gewinnt nicht. Daran war ich gescheitert: an meiner Feigheit. Das hatte ihn wütend gemacht, wie ich noch bis zum Schluss versucht hatte, ihm etwas vorzumachen.

Bersarin setzte mich gegen sieben vor der Haustür ab. In der Wohnung wanderte ich auf und ab. Diesmal wollte ich ehrlicher sein. Er kannte die Story von „PUNK PYGMALION“, wie ich sie auf „Gleisbauarbeiten“ erzählt hatte. Einiges, was ich verschwiegen, verändert hatte, konnte er sich ohne weiteres zusammenreimen, anderes nicht. Er wusste, was ich wissen wollte: Südfrankreich, die Liebesgeschichte zwischen Emmi und ihm, falls es eine war oder gewesen war, vielleicht sogar hatte Emmi ihm von Barcelona erzählt, vielleicht wusste er, was aus Ansgar geworden war. Ich musste ihn zum Reden bringen. Er schien doch reden zu wollen, sonst hätte er dieses Gespräch nicht vorgeschlagen.

„Der Stille Don“ ist eine Schwulenkneipe, aber kein Szenelokal, man kann sich da auch als Frau und/oder Hetero wohl fühlen. Es ist locker und gemütlich, den Wirt kenne ich, seit ich die Wohnung in der Weinertstraße habe. Ich überlegte, was strategisch klüger sei: Auf ihn warten oder ihn warten lassen? Ich entschied mich dafür, ein wenig früher da zu sein. Ich wollte das Heft in der Hand behalten. Um zehn nach acht verließ ich die Wohnung, um die paar Schritte die Straße hoch zur Kneipe zu gehen. Doch als ich die Tür aufstieß, sah ich, dass er schon auf dem Sofa in der linken Ecke Platz genommen hatte. Er stand auf, um mir aus dem Mantel zu helfen. „Nett, dass du auch früher kommst.“, sagte er leise. Ich schaute zu ihm hinauf. War das ironisch gemeint? Hatte er die gleiche Idee gehabt? Er rückte mir einen Stuhl dicht an seinen Sofaplatz heran. „Hier darf sogar geraucht werden.“ „Stört es ...dich?“. Vor dem „Du“ hatte ich ein wenig gezögert. Ich sah, dass er es bemerkt hatte, aber er ging darüber hinweg. „Nein, gar nicht. Rauchst du?“ „Nein.“ „Ich auch nicht.“ Wir lächelten uns versuchsweise an. Der Wirt winkte mir vom Tresen aus zu. „Das Übliche?“ Ich nickte. Lars sah mich fragend an. „Ein Pils“, sagte ich. „Wie du.“ Ich deutete auf das Glas, das vor ihm stand.

Bis der Wirt das Bier brachte, schwiegen wir. Es war kein unangenehmes Schweigen. Dann prosteten wir uns zu. „Ich war ziemlich wütend, gestern. Und grob. Das tut mir leid.“ „Du hattest einen Grund. Ich hätte die Wahrheit sagen sollen.“ „Kennst du die Wahrheit?“ „Ich will sie wissen.“ „Das ist viel verlangt. Wahrscheinlich zuviel.“ Seine Stimme hatte wieder den harten Klang, den sie gestern vor dem Bild eingenommen hatte. Ich suchte seinen Blick. „Ich wurde benutzt. Ich will wissen, wozu.“ „Da sind wir schon mal zwei.“ Seine Züge entspannten sich.

„Sag mir noch mal deinen Namen.“ Ich hob fragend die Augenbrauen. „Meinen Namen?“ „Bitte.“ Ich nannte ihn. „Das war sie. Sie war du. Für mich. Verstehst du?“ „Sie nannte sich M.?“ „Deine Emmi nannte sich M. Meine M. war deine Emmi.“ Er lachte höhnisch. „Wir sprechen von der Frau auf dem Bild?“ „Wir sprechen von der Frau, die mein Vater liebte. Wir sprechen von der Frau, die er seinem Skizzenbuch M. nannte.“ Ich verschluckte mich beinahe, runzelte dann sichtbar die Stirn: „Er hat mich in seinem Skizzenbuch erwähnt?“ „Nicht deinen vollen Namen. Nur den Buchstaben.“ „Em“, wiederholte ich. „Emmi“. „Ist das so?“ Er wirkte misstrauisch. „Wie soll es sonst sein?“ „Bist du die Frau, die er kannte, oder war sie es?“ „Sie war das.“, fast schrie ich. „Ich habe ihn nur ein einziges Mal getroffen.“ „Zeig mir die Briefe.“, forderte er. Das war unmöglich, das musste ich ihm ausreden. „Das kann ich nicht. Sie gehören Emmi.“ „Wenn sie Emmi gehören.“ „Hat sie gesagt, dass sie an mich waren?“ „Sie hat viel gesagt und viel gelogen.“ „Wo steckt sie?“ Er machte eine Handbewegung, als wolle er diese Frage vom Tisch wischen. „Woher soll ich das wissen? Sie hatte genug. Sie konnte mich nicht länger manipulieren. Da ging sie.“ „Du wolltest nicht länger dein Vater sein?“ „Genau. Was weißt du darüber?“ „Ich dachte es mir.“

Wir hatten ein Patt. Das folgende Schweigen war nicht mehr freundlich. Wir wussten jetzt, was wir voneinander wollten, zumindest glaubten wir, es zu wissen. Keiner wollte zuviel geben und zuwenig dafür bekommen. Wir starrten ins Leere. Er war es, der zuerst wieder meinen Blick suchte. „Du hast braune Augen.“, sagte er. „Mein Vater hat ihre Augen blau gemalt, blau wie die der Frau, die mir sagte, sie sei M.“ Ich spürte, wie Tränen in mir aufstiegen, die ich nicht zurück halten konnte. „Ich werde sie nicht mehr wiedersehen. Nicht wahr?“ Er hob den Zeigefinger der linken Hand und strich mir die Tränen unter beiden Wangen weg. „Ich weiß es nicht. Aber ich glaube kaum.“ Ich nickte. „Wirst du mir erzählen, was zwischen euch geschah?“ „Warum willst du es wissen?“ „Weil sie mir vorgemacht hat, er lebe noch. Sie und er seien ein Paar – und sie wollte ein Happy End von mir.“ „Was hat das mit mir zu tun?“ „Seit wann liest du auf Gleisbauarbeiten?“ „Erst nachdem sie ging. Sie sagte es mir, bevor sie abreiste. Kurz vor Weihnachten.“ „Hast du alles gelesen?“ Er nickte. „Wann trafst du sie?“ „Bei meiner ersten Ausstellungsbeteiligung in Berlin. Und dann als sie vorgab, meinen Vater das erste Mal wieder zu treffen.“ „Da hast du die Antwort. Ich will wissen, was wirklich geschah. Welches Happy End sie wollte. Was ich damit zu tun hatte.“ „Darauf habe ich keine Antwort.“ „Vielleicht finde ich sie, wenn du mir erzählst, was sie dir erzählt hat.“ Er sah mich und nickte dann langsam. Das schien ihm einzuleuchten. Er winkte den Wirt. „Noch zwei Pils, bitte.“ Er holte mit einem kurzen Blick mein Einverständnis ein. Ich schloss zustimmend die Lider.

„Erzähl mir von dir.“, sagte er, als der Wirt die nächste Runde gebracht hatte. „Was willst du wissen?“ „Emmi und du, ihr seid in dem gleichen Ort groß geworden. Sie hat Jura studiert wie ihr Vater. Sie hatte eine Affäre mit dem Dorf-Hippie und – wie schriebst du – seriell-monogame Beziehungen. Und du?“ Ich lächelte. „Es gehört zum Konzept dieses Romans, dass die Herausgeberin im Hintergrund bleibt.“ „Manchmal funktionieren Konzepte nicht. Davon kann ich ein Lied singen.“ „Ich habe Kunstgeschichte studiert. Brotlose Kunst. Ein Horror für meine Eltern. Ist aber gut gegangen. Schon während des Studiums habe ich Kurse an der Volkshochschule gegeben und Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften geschrieben. So schlage ich mich immer noch durch. Nicht schlecht sogar.“ „Und privat?“ Er ließ nicht locker. „Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.“ „Angaben wie im Erfassungsbogen der Krankenversicherung. Mehr willst du nicht sagen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Warum lebst du in Brandenburg? Du kommst doch aus dem Westen?“ „Mein Mann hat dort eine Stelle.“ „Der große Unbekannte.“ Ich nickte. „Wenn das ein Roman werden soll, ist eines sicher: Er will nicht darin vorkommen.“ Lars lachte. „Und wenn ich dir sage: Ich auch nicht.“ „Du bist eine Hauptfigur. Da lässt sich nichts machen.“ „Das stimmt wohl. Und außerdem: Ich habe nichts dagegen, darin vorzukommen. Du hast genügend Vorkehrungen getroffen, damit ich nicht erkannt werden kann. Darin hast du meine Mutter nicht reingelegt. Das kannst du diesem Leser sagen, der immer so besorgt ist.“ „Danke.“ „Falls es ihn gibt.“ Ich zuckte die Achseln. Das ging ihn nichts an. Er grinste. „Du bist schon eine Nummer.“ „Ich nehme das als Kompliment.“ Wir stießen an. Ich mochte ihn, mochte ihn verdammt noch mal mehr, als ich seinen Vater gemocht hatte. Sein Vater war anziehend gewesen, gefährlich anziehend und überhaupt gefährlich, doch Lars war viel lässiger - und er hatte Humor. Das war der größte Unterschied zwischen den beiden, wurde mir klar: Ansgar hatte überhaupt keinen Humor gehabt.

„Woran denkst du?“ „An deinen Vater. Ihr gleicht euch sehr. Aber seid doch völlig verschieden.“ Sein Gesicht wurde hart, wurde mit einem Schlag dem des Vaters ähnlicher. „Genau das hat sie auch gesagt. Wörtlich.“ Ich legte die Hand auf seinen Arm. „Ich bin nicht sie. Ich habe ihn nicht geliebt. Ich vergleiche euch nicht von diesem Standpunkt aus.“ Mein Magen zog sich zusammen, als ich das sagte, aber ich fühlte, dass ich es sagen musste. Er sollte mir vertrauen. „Ich wünschte, sie hätte mich nicht so belogen. Aber ich verdanke ihr auch viel. Ohne sie hätte ich keinen Weg aus der Sackgasse gefunden.“ „Der Sackgasse?“ „Nach ´Fatherhood´. Daran habe ich gearbeitet, seit ich begonnen habe Kunst zu machen. Das wollte ich. Danach war ich leer. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.“ „Und wie kamst du raus?“ „ Sie behauptete, sie könne mir zeigen, wer er war. Als wäre es nicht schon krass genug, dass ich dieselbe Frau gefickt hatte wie mein Vater.“ Er beobachte, ob ich bei dem Wort zusammen zuckte. Diesem Test hielt ich ohne Weiteres stand. „Sie zeigte mir oder gab vor mir zu zeigen, wer er war, indem sie mich zu ihm machte. Sie war wie besessen davon. Wir kämpften miteinander. Es wurde hässlich. Und ich gab nach. Eine Weile. Ich weiß nicht mal, warum.“ „Liebtest du sie?“ Ich traute mich jetzt, das zu fragen. Seine Antwort kam ohne Überlegen: „Nein. Ich redete es mir vielleicht ein. Ich brauchte sie. Um er zu werden. Um von ihm loszukommen.“ „Warum habt ihr euch getrennt?“ „Ich begann zu malen. Je besser meine Bilder wurden, desto weniger brauchte ich sie.“ „Das ist hart.“ „Sie hat mich die ganze Zeit belogen, vergiss das nicht.“ „Erzähl mir die Geschichte.“ „Dazu wird ein Abend kaum reichen. Ich male sie.“ „Es gibt mehr Bilder als das eine, das ich gesehen habe?“ „Ich arbeite daran.“ „Darf ich sie fotografieren? Für mein Blog?“ „Nein.“ Auch diese Antwort kam klar und hart. „Meine Gemälde. Keine Veröffentlichung, über die ich nicht die Kontrolle habe. Sie werden erst öffentlich zu sehen sein, wenn der Zyklus fertig ist. So arbeite ich.“ „Der Skizzenblog deines Vaters.“ „Den hat sie mitgenommen. Das war ihr letzter Schlag gegen mich.“ „Was?“ „Ich habe es erst gemerkt, als sie schon weg war.“ „Scheiße.“

Emmi hat das Einzige, was von Ansgar geblieben war, außer den Briefen, die sie mir übergab, verschwinden lassen. Wie sich. Wie Ansgar. Warum, Emmi? Er hatte  Tränen in den Augen, der mächtige, selbstbewusste junge Mann. „Das war ihre Rache.“ „Wofür?“ „Dass er mich geliebt hat.“ Er schluchzte jetzt. Ich legte ihm die Hand auf die Wange. „Das war so. Er liebte dich mehr als sie. Selbst ich habe das schon bemerkt. Stell dir vor, wie sehr es sie verletzt haben muss, das festzustellen.“ „Ich soll Verständnis für sie haben? Vergiss es.“ Er hatte Recht. Das war zuviel verlangt.

„Erzähl mir von den Monaten mit Emmi. Für mein Blog. Bitte.“ Ich weiß nicht, warum mir so viel daran liegt. Ich will vergleichen. Was Emmi schrieb. Was ich glaubte. Was Lars erlebte. „Ich werde es versuchen.“ „Sehen wir uns wieder?“ „Gerne. Im Juni bin ich wieder in Berlin.“ Wir verabschiedeten uns mit einem festen Händedruck und einer kurzen Umarmung vor dem „Stillen Don“. Ich sah ihm noch nach, wie er die Weinertstraße hinunterging. Er hatte die Statur seines Vaters, aber sein Gang war weniger stampfend, tänzerischer, gefälliger. Er würde über Emmi hinwegkommen. Von mir wusste ich das noch nicht.

2 Kommentare:

  1. Lieber "Lars", verehrte Frau M.B.,

    nachdem ich nun zum wiederholten Male eine "Rolle" zugewiesen bekomme in dieser Romanerzählung, möchte ich mich nun doch auch einmal öffentlich und nicht wie bisher lediglich durch Mails "einmischen".

    Junger Freund, es gibt mich "wirklich", soweit und insofern es die Wirklichkeit gibt, doch das ist ein philosophisches Problem. Es gibt mich, obwohl Frau M.B. sich so fragwürdig verhalten hat, als Sie mich erwähnten.

    Je länger ich diese Erzählung lese, desto unruhiger macht sie mich.Wider Erwarten bin ich von der Figur dieses jungen Kerls (wirklich oder nicht?) recht angetan, obwohl ich selbst eher der Ansgar-Generation angehöre, wenn auch ganz ohne Punk-Vergangenheit.

    Diese Mischung von Realität und Fiktion, die hier stattfindet - ich kann einfache keine klare Haltung dazu finden. Einiges ist wohl "aus dem Leben" gegriffen: der Karton mit Briefen und Zeichnungen (Ich habe den Zoom benutzt: Sie sind auf Englisch verfasst!). Die Dame war wohl vor drei Wochen bei Alban Nikolai Herbst, wie auch in dessen Blog nachzulesen war (wo sich sogar ein Foto der Tulpen anschauen lässt, die sie ihm mitgebracht haben will) und am nächsten Tag mit einem Herrn, der sich im Netz Bersarin nennt auf der Rennbahn in Hoppegarten, zumindest wird auf dessen Blog auch darüber widerspruchsfrei zum hier Erzählten berichtet. In der Berliner Erich-Weinert-Str. gibt´s ein Lokal namens "Der Stille Don". Aber ob sie (und wer denn - M.B., die als A.B. am See in Neuglobsow lebt oder die J.SP., die "in der Nähe von Frankfurt" stationiert ist, wie das Impressum ausweist -??? ) dort einen jungen Bildhauer getroffen hat? Eher nicht, nehme ich an. Aber jemand anderen. Gut getarnt, wie uns immer versichert wird.

    Wie gesagt, ich weiß nicht, was ich von diesem Spiel hatten soll. Ob es reizvoll ist oder doch nur albern. Nun habe ich meine Rolle in diesem Spiel. Indem ich hier kommentiere, weite ich sie am Ende sogar noch aus. Ich bin verwirrt, auch moralisch übrigens, wenn ich ehrlich bin.

    Das mag Ihnen altmodisch vorkommen oder komisch.

    Trotzdem bin ich gespannt, wie´s weiter geht, mit der "Dame in Blau" und dem jungen Mann.

    Herzlich
    D. Sorge

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  2. Lieber D.,
    welche (angenehme!) Überraschung, dass Sie hier kommentieren.
    Ganz verstehe ich aber Ihre "moralische Verwirrung" (?) nicht. Es wird doch niemand durch mich "hereingelegt". Wenn Sie mir schreiben, so wissen Sie doch, mit wem Sie kommunizieren (soweit man das wissen kann: Sie kennen mein Alter, mein Geschlecht, meine berufliche Tätigkeit, meinen Familienstand, viele meiner Interessen und auch meinen richtigen Namen). Inwiefern nun allerdings autobiographische Fakten in die literarische Fiktion eingehen, tatsächlich, das habe ich nicht offenbart. Muss ich das? Sie wüssten das, behaupte ich, nicht einmal bei einer Person, die Sie besser kennten als mich. Was wissen wir über die Träume, Vorstellungen, Ängste selbst der uns nächsten Menschen? Ja, ich verwende "reale Begebenheiten" in diesem Text. Es gibt in jedem literarischen Text, glaube ich, "Anker", Anknüpfungen (manchmal an der ganz langen Kette) an das, was "Realität" genannt wird. Es gibt viele Autor:inn:en (und ich zähle mich dazu), die sich diesen Ankerplätzen in einer besonderen Treue verpflichtet fühlen. Es kann in jedem Text um ganz andere Anker gehen. Welche es in diesem Text sind, das werde ich tatsächlich nicht verraten.
    Ganz herzliche Grüße
    M.B. /J.S.P.

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