Donnerstag, 10. Mai 2012

ARBEIT AM ICH (Nachtrag 11: 46 Uhr: In your face!)

My own brain is to me the most unaccountable of machinery - always buzzing, humming, soaring roaring diving, and then buried in mud. And why? What's this passion for?


Virginia Woolf



Die Kehle ist rau und rot wie ein blutiges Reibeisen. Wunden, an die sie glaubt, ohne sie zu sehen. Linkes Nasenloch und rechte Stirnhöhle füllt der Schleim. Kein Mangel an Empfehlungen für wunderwirkenden Hausmittel: Wadenwickel, Pellkartoffelpackung, Sanddornsaft und heiße Zitrone. Sie pfiffe drauf, wenn sie noch aus dem letzten Loch pfeifen könnte. Sie schleppt sich ins Bad. Aus seiner Vorhölle schreit der Mastermind: „Nix da. Ich bin dran.“ Sie zieht sich maulend zurück ins Schlafzimmer. Der Mastermind duscht. Sie sehnt sich nach einem Erkältungsbad. Sie hat das Laken durchgeschwitzt. Sie schnüffelt. Der Geruchsnerv ist dahin. Der Amazing steht um halb neun im Schlafanzug vor ihr. Mottotag. Heute: sleepy. Morgen: business. Montag: schrill. Dienstag: Kinderhelden (Amazing kommt als Pirat.), Mittwoch: 1. Schultag (Amazing hat sich eine Maulwurf-Schultüte im Internet bestellt.). Vielleicht gibt´s auch einen Abi-Streich. Hierzu muss eine Versicherungssumme hinterlegt und ein Formular in 3facher Ausfertigung ausgefüllt werden. Selbst Schulstreiche werden heutzutage erfasst und verwaltet. 

Damit dem Abschluss der glorreichen Schullaufbahn des Amazing nichts im Wege steht, hat sie sich gestern am späten Nachmittag ein dickes Make up über die rote Nase gelegt und mit ihm die Herrenausstatter von Bahnhof bis Hauptwache abgeklappert. Der Amazing sieht umwerfend aus im dunkelblauen taillierten Anzug. Hemden mit überlangen Armen sind allerdings nur in geringer Auswahl im allgemeinen Herrenausstatterangebot. Ton und Stil der ausstattenden Herren entlocken dem Amazing immer wieder ein Lächeln. Trotz Husten und Verbrauch von gefühlt 150 Papiertaschentüchern, Regengüssen, aber wegen lecker Tomatensuppe beziehungsweise Spaghetti Carbonara im Café Karin war das ein schöner Mutter-Sohn-Nachmittag. Zum Abschluss noch ein Besuch beim Künstler in der Weißfrauen Diakoniekirche. Die Skulptur wächst. Schon bis zur Empore. Der Künstler trifft verspätet und durchnässt ein. Mit dem Pressetext, den die Noch-Nicht-Rekonvaleszentin verfasst hat, ist er einverstanden. Bis Mittwoch nächster Woche muss die Stimme wieder da sein.

(Dann nennt sie sich auch wieder „Ich“.)








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11:46 Uhr Nachtrag: Die nicht gesundheitsförderliche Beinahe-Lektüre der ersten Seite der "Zeit"



Da geht mir mal wieder die Hutschnur hoch, läuft die Galle über, muss ich mich auskotzen, scheiß ich drauf und was dergleichen eklig-böse Bilder sonst noch herbeiphantasiert werden können, denn bevor ich aufbrechen muss, um meinen Lebensunterhalt, allerdings nicht im Schweiße meines Angesichts und in durchaus angemessener Höhe, zu verdienen, lese ich auf der ersten Seite der „ZEIT“ wider besseres Wissen in den Artikel des von mir ohnehin keineswegs geschätzten Irak-Krieg-Befürworters Josef Joffe hinein und lese also, wie seinesgleichen mal wieder Wein säuft, aber Wasser predigt (ein abgedroschenes Bild, auf das ich ausweiche, um strafrechtlich relevante Formulierungen zu vermeiden). Gefordert wird von Joffe et.al. wie gewöhnlich ein„schmerzhafter Wandel“, denn der Staat ist pleite und leider, leider kann er nicht länger „versorgen und verwöhnen“ und nicht noch mehr Leute „in der Stütze kampieren“ lassen. So geht´s nicht weiter. Raus mit den Armen und Kranken und Faulen und Hilflosen und Widerspenstigen ins kalte Freie, bald schon wird´s Sommer, trinkt aus den schmutzigen Flüssen, fresst Beeren und schafft endlich was! Schreiben, sprechen, predigen die Joffes der Welt, während sie in ihre Gürtelschnallen ein weiteres Loch stampfen lassen. Denn den Gürtel enger schnallen, müssen immer die anderen.



Wisst Ihr was, Leute? Der Staat ist pleite, weil ihr nicht genügend Steuern zahlt! Weil ihr an eure nichtsnutzige Verbraucherbrut vererbt, statt Erbschafssteuer abzudrücken, weil ihr in sagenhafte Abschreibungsprojekte investiert, statt in Bildung und Infrastruktur. So simpel ist das, stupid! Der Staat wäre gar nicht mehr pleite, ratzfatz, wenn einmalig auf alle Vermögen über, sagen wir mal, 100.000 € eine 10% Vermögenssteuer erhoben würde. Nur mal als Beispiel. Nur einmalig.



Da könnte er verwöhnen und pflegen wie nur was, stellt euch mal vor! Ach Joffes, da tätet ihr aber heulen. Denn das kann sich „der Staat“ wirklich nicht leisten, euch in die Tasche zu greifen. Da können „wir“ wählen, wen wir wollen. Und deshalb – IN YOUR FACE! – verschont uns wenigstens mit eurer Lamentiererei!


(Sonst könnte irgendwann doch was passieren, was dann gar nicht mehr nett wäre und gar nicht mehr metaphorisch und das wär doch schade, denn, selbstverständlich, wie die mitregierenden Grünen in Frankfurt sagen, wo alle Blockupy-Kundgebungen verboten wurden: Protest ja, Gewalt nein!)

2 Kommentare:

  1. Was ist das? Übertragung, Empathie, Wahlverwandtschaft, der Virus des Hegelianismus oder bloß die furchtbare Rache des Oligarchen?

    Ich habe das selbe. Bin zu Hause, bleibe im Bett, die Stimme ist rau, der Kopf schwer. (Das Herz sowieso, von Anbeginnn meines Lebens an.)

    Ja, die guten Hausmittel: ich inhaliere mit Pinimenthol, trinke Tees, bei denen ich niemals auf die Idee käme, sie freiwillig zu trinken.

    Bleibt zu hoffen, daß wir uns besseren.

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  2. Es muss Wahlverwandtschaft sein. Wenn es die Rache des Oligarchen wäre, das wär gar zu schrecklich...Dann müssten wir das sehr ernst nehmen.

    Ich besser mich! Du auch?! :-)

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