Mini-Drama (4)
Carola WAR-MAL-HEXE
Vita OFF-FRAU
Carola sitzt in einem Rollstuhl vor einer Gummibergsteigerwand.
Ihre Beine sind von einer karierten Wolldecke bedeckt.
Vita (aus dem OFF):
„Nach dieser Nacht konntest
du dich nicht mehr rühren. War es nicht so?“
Carola:
„Wenn Sie es sagen.“
Vita (aus dem OFF):
„Wie lange hielt die Lähmung
an?“
Carola:
„Solange es Ihnen beliebt.“
Männerstimme (aus dem OFF)
Ich glaube, dass Beweise dafür
vorliegen, dass die Frauen ihren eigenen psycho-physiologischen Gesetzen folgen
und dass sie nicht freiwillig die Ziele anstreben, deren Erreichung Männer ihr
Leben widmen.
Vita (aus dem OFF):
„Jeder Glaube ist ein
Wahnsystem, ersonnen unsere Lust einzudämmen, unseren Willen zu brechen, unser
Verständnis zu ersticken.“
Carola (trotzig):
„Ich glaube, was ich will,
egal, ob es Ihnen gefällt.“
Vita (im weißen, fließenden Gewand betritt auf
Zehenspitzen die Bühne):
„Mein Strahlen verdanke ich allein
der männlichen Abhärtung, die ich mir verordnet habe.“
Carola (rollt im Rollstuhl an den äußersten Rand, in
den Schatten vor der Gummibergsteigerwand, Vita tanzt über die Bühne, seichte,
plätschernde Klaviermusik)
Männerstimme (aus dem OFF)
Einerlei wie lange es dauern mag, einerlei in welcher
Form es eines Tages geschehen wird, eines ist sicher: die endgültige Befreiung
der Frau kann nur in der Befreiung aus der Geschlechtlichkeit liegen. Die
klassenlose Gesellschaft der Zukunft kann nur eine geschlechtslose Gesellschaft
sein.
Vita (bricht auf der Bühne
zusammen)
„Meine Füße bluten,
Schwester.“
Carola (aus dem Schatten)
„Holt ihr einen Rollstuhl
und eine Decke.“
Zwei geschlechtslose Wesen in schwarzen, hautengen
Gymnastikanzügen betreten die Bühne mit einem Rollstuhl, in den sie Vita heben.
Sie decken ihre Beine mit einer karierten Decke zu.
Carola (aus dem Schatten)
„Sie wollten sich mit
Sorgfalt und Hingabe befreien. Sie glaubten Ihr Gefühlsinteresse, Ihre
Mutterrechte, Ihre Sozialarbeit lieferten Ihnen Argumente. Sie machten sich
lächerlich.“
Vita (im Scheinwerferlicht, hebt den Brustkorb)
„Du kannst sogar in mir den
Mann erkennen, wenn du willst.“
Carola (lacht schrill, der Scheinwerfer gleitet zu
ihr)
Männerstimme (aus dem OFF)
Es ist bemerkenswert, dass die exklusive sexuelle
Identität, d.h. das Gefühl, nur einem Geschlecht anzugehören, gleichermaßen der
sozialen „Normalität“ entspricht, wie dem, was uns als Extremform der sexuellen
Entfremdung erscheint: dem Transsexualismus.
Vita (im Schatten)
„Mit Tränen, Liebste, Tränen
der Freude, glaube mir, denke ich oft zurück an den Tag, an dem wir uns
fanden.“
Carola (im Licht)
„Du bist so bleich und deine
Lippe bebt.“
Vita (von einem zweiten Lichtkegel eingefangen)
„Ich habe mich an dir
erkältet.“
Carola (wendet sich ihr zu)
„Ich werde dich an mir
verbrennen.“
Vita (zieht eine Lippenstift und einen Spiegel unter
der Decke hervor und malt sich die Lippen rot.)
„Dann werde ich kein Mann
sein, aber etwas Anderes.“
Carola rollt auf sie zu, Vita beugt sich zu ihr
hinüber und zieht auch ihr die Lippen nach.
Carola
„Du innig
Rot.“
Vita
„Bis an den Tod.“
Carola
„Soll meine Lieb´ dir
gleichen.“
(Steinschlag über der
Gummibergwand. Schreie. Licht aus.)
Giovanni Antonio Cavazzi |
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