Fortsetzung des Brief- und Blogromans PUNK PYGMALION (Folge 1-34: Hier: )
Eine
Leserin (also diesmal nicht jener Ihnen schon bekannte, regelmäßige Mitleser D.
des PUNK PYGMALION) hat mir geschrieben: „Nach den Beschreibungen stelle ich
mir Emmi wie Ursula von der Leyen vor. Liege ich richtig?“ Ich war platt. Da wäre
ich nie drauf gekommen. Ich las nach, was Lars geschrieben hatte. Ja, - da
erschien eine damenhafte, strenge Blondine. Hat von der Leyen blaue Augen ? Das wusste ich nicht. Aber:
Ich finde ihr Gesicht nicht kindlich und den Gesamteindruck niemals unstimmig.
Die Arbeitsministerin wirkt auf mich völlig konsistent, womit ich nicht sagen
will, dass ich sie, ihre Ansichten oder ihre Arbeit schätze, keineswegs. Ich
rief Lars an, um ihn zu fragen. „Von der Leyen?“ Er war genauso erstaunt wie
ich. Wir googelten beide, das Handy unters Ohr geklemmt, nach Bildern und
mussten lachen. „Eine gut aussehende Frau. Kann man nicht leugnen. Tolle Figur“,
sagte Lars. „Aber Emmi...“ „Nee.“ Die Merkmale, die Lars aufgezählt hatte, von
der Stupsnase mal abgesehen, stimmten, sogar die blauen Augen, wie wir
feststellten. Aber Emmi ist in unserer Erinnerung und auf Lars Bildern viel unbestimmter, „wirrer“, - das war das
Wort, auf das wir uns einigten. „Weißt du was“, sagte ich zu Lars, „wenn ich
die Fotos von Ursula von der Leyen sehe, dann fällt mir auf, dass ich von Emmi
kein einziges Bild und keine einzige Erinnerung habe, wo sie offen lacht.“ „Nicht
mal aus eurer Kindheit?“ Ich dachte eine Weile nach. „Nein, nicht mal aus
unserer Kindheit.“ „ Auch ich habe sie nie laut lachen hören.“, sagte Lars. „Das
hatte ich mir noch nie klar gemacht.“ Wir schwiegen beide. „Sie war mir ein Rätsel. Ist mir eins.“
„Ich glaube, das wollte sie sein. Sie wollte nicht erkannt werden.“ „Du hast
sie nackt gemalt.“ „Du kannst die Erscheinung sehen, aber sie offenbart sich
nicht. Mir jedenfalls nie.“ „Nie.“, bestätigte ich. Ich habe auch nicht
nachgefragt, dachte ich, ohne es laut zu sagen. Ich hatte es auch nicht wissen
wollen. Er sagte es: „Ich habe
mich auch nicht dafür interessiert. Wenn ich ehrlich bin. Wer sie wirklich war.
Es reichte mir, dass sie eine Weile so war, wie ich sie haben wollte.“ Per Mail
schickte er mir zwei Tage später diesen Text:
TO ME YOU ARE A WORK OF
ART (Dezember 2010)
Ich bin aufgeregt wie ein
Teenager, wenn er sich zum ersten Mal mit einem Mädchen vor dem Kino trifft.
Die Hoffnung, im Dunkeln den Mut zu fassen, nach ihrer Hand zu greifen.
Vielleicht ein Kuss. Zugleich die Wut auf mich selbst, dass ich mich von dieser alten Frau in den Bann
ziehen lasse, die ganz offensichtlich etwas von mir will. Ich weiß nur nicht,
was. Aber als ich sie sehe, ist alles ganz anders. Sie sitzt unter einer
marmornen Säule auf der Vorderkante des Stuhls, die Beine zusammengeklemmt. Sie
knetet ihre Hände, den Kopf hat sie nach vorn gebeugt; das Gesicht in den
Schein des grünlichen Lampenschirms, der über dem weiß eingedeckten Tisch hängt,
gereckt. Sie ist nervös, offensichtlich, und sie ist schön, nicht kapriziös
und kokett, wie ich sie mir
vorgestellt habe, sondern verwegen und verletzlich. Sie will sich hergeben, fühle
ich sogleich, und sie ist bereit, dafür zu büßen. Ich bin gerührt, ohne erklären zu können, warum meine Augen feucht werden, als
ich sie so da sitzen sehe, als wäre es ein Bild, auf das ich schon lange gewartet
habe. Wir sehen keine Dinge, meinte Philipp Otto Runge, dem die aktuelle
Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet ist, sondern Bilder, die uns etwas
bedeuten. Ich weiß nicht, was sie mir bedeutet; in diesem Moment ist es
viel. Aber nicht Runges „Weltenmaler Sonne", sondern das künstliche Licht der
Birne unter dem gefältelten Lampenschirm im Café Liebermann zeichnet
dieses Bild, das ich nicht vergessen werde. Ihr Haar leuchtet warm vor dem
sienischen Marmor mit einem zarten grünen Schimmer am Scheitel. Der Braunton
ihres Jackets und das Orange des Pullovers, den sie darunter trägt, lassen ihre Gestalt mit dem Hintergrund des Cafés, dessen Wände und
Dekoration diese Farben aufgreifen, beinahe verschmelzen. Sie ist keine scharf
konturierte Figur in diesem Bild, sondern eine Erscheinung im sanften Licht.
Sie trägt Jeans und flache Sneaker.
Wir sitzen einander gegenüber,
lächeln und fangen beide gleichzeitig an zu sprechen, wollen einander den
Vortritt lassen, schließlich beginnt sie. Sie freut sich und ich freue mich und
der Kaffee ist gut hier, ein Stück Torte vielleicht, lieber nicht, schön hier
und wollen wir nicht gemeinsam die Runge-Ausstellung anschauen? Ja. Während wir
reden, stelle ich fest, dass meine Farben zu den ihren passen, genau wie mein Stil heute. Sie hat sich
legerer gekleidet als beim letzten Mal in der Galerie, ich habe ein wenig mehr
Wert als sonst auf mein Outfit gelegt. Ich trage Jeans wie sie und einen
dunkelbraunen Strickpullover mit V-Ausschnitt. Später sehe ich, wie wir uns nebeneinander spiegeln in den
Glasscheiben vor den Gemälden. Wir
sehen gut aus zusammen, als Paar. Wir sehen
keine Dinge. Wir sehen Bilder. Wir sind ein schönes Bild, sie und ich, im
Spiegel vor Runges „Großem Morgen“.
Philipp Otto Runge: Der große Morgen, Kunsthalle Hamburg |
Lars
schreibt mir dazu: „Unsere Finger berührten sich, wie zufällig, ein paar Mal und am Ende des Rundgangs hielten wir uns an den Händen. So schlenderten wir
durch Hamburg. Es fühlte sich wie Glück an. Wirklich. So kitschig. So schön.
Ich blieb bei ihr ein paar Tage. Wir verließen ihre Wohnung kaum in der Zeit.
Die Mail, die sie dir schickte, die angeblich von meinem Vater war, die schrieb
fast wörtlich ich ihr, als ich wieder in Berlin war.“
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