Sonntag, 27. Mai 2012

PUNK PYGMALION (35): To me you are a work of art


Fortsetzung des Brief- und Blogromans PUNK PYGMALION (Folge 1-34: Hier: )


Eine Leserin (also diesmal nicht jener Ihnen schon bekannte, regelmäßige Mitleser D. des PUNK PYGMALION) hat mir geschrieben: „Nach den Beschreibungen stelle ich mir Emmi wie Ursula von der Leyen vor. Liege ich richtig?“ Ich war platt. Da wäre ich nie drauf gekommen. Ich las nach, was Lars geschrieben hatte. Ja, - da erschien eine damenhafte, strenge Blondine.  Hat von der Leyen blaue Augen ? Das wusste ich nicht. Aber: Ich finde ihr Gesicht nicht kindlich und den Gesamteindruck niemals unstimmig. Die Arbeitsministerin wirkt auf mich völlig konsistent, womit ich nicht sagen will, dass ich sie, ihre Ansichten oder ihre Arbeit schätze, keineswegs. Ich rief Lars an, um ihn zu fragen. „Von der Leyen?“ Er war genauso erstaunt wie ich. Wir googelten beide, das Handy unters Ohr geklemmt, nach Bildern und mussten lachen. „Eine gut aussehende Frau. Kann man nicht leugnen. Tolle Figur“, sagte Lars. „Aber Emmi...“ „Nee.“ Die Merkmale, die Lars aufgezählt hatte, von der Stupsnase mal abgesehen, stimmten, sogar die blauen Augen, wie wir feststellten. Aber Emmi ist in unserer Erinnerung und auf Lars Bildern viel  unbestimmter, „wirrer“, - das war das Wort, auf das wir uns einigten. „Weißt du was“, sagte ich zu Lars, „wenn ich die Fotos von Ursula von der Leyen sehe, dann fällt mir auf, dass ich von Emmi kein einziges Bild und keine einzige Erinnerung habe, wo sie offen lacht.“ „Nicht mal aus eurer Kindheit?“ Ich dachte eine Weile nach. „Nein, nicht mal aus unserer Kindheit.“ „ Auch ich habe sie nie laut lachen hören.“, sagte Lars. „Das hatte ich mir noch nie klar gemacht.“ Wir schwiegen beide.  „Sie war mir ein Rätsel. Ist mir eins.“ „Ich glaube, das wollte sie sein. Sie wollte nicht erkannt werden.“ „Du hast sie nackt gemalt.“ „Du kannst die Erscheinung sehen, aber sie offenbart sich nicht. Mir jedenfalls nie.“ „Nie.“, bestätigte ich. Ich habe auch nicht nachgefragt, dachte ich, ohne es laut zu sagen. Ich hatte es auch nicht wissen wollen.  Er sagte es: „Ich habe mich auch nicht dafür interessiert. Wenn ich ehrlich bin. Wer sie wirklich war. Es reichte mir, dass sie eine Weile so war, wie ich sie haben wollte.“ Per Mail schickte er mir zwei Tage später diesen Text:


TO ME YOU ARE A WORK OF ART (Dezember 2010)

Ich bin aufgeregt wie ein Teenager, wenn er sich zum ersten Mal mit einem Mädchen vor dem Kino trifft. Die Hoffnung, im Dunkeln den Mut zu fassen, nach ihrer Hand zu greifen. Vielleicht ein Kuss. Zugleich die Wut auf mich selbst, dass ich mich von dieser alten Frau in den Bann ziehen lasse, die ganz offensichtlich etwas von mir will. Ich weiß nur nicht, was. Aber als ich sie sehe, ist alles ganz anders. Sie sitzt unter einer marmornen Säule auf der Vorderkante des Stuhls, die Beine zusammengeklemmt. Sie knetet ihre Hände, den Kopf hat sie nach vorn gebeugt; das Gesicht in den Schein des grünlichen Lampenschirms, der über dem weiß eingedeckten Tisch hängt, gereckt. Sie ist nervös, offensichtlich, und sie ist schön, nicht kapriziös und kokett, wie ich sie mir vorgestellt habe, sondern verwegen und verletzlich. Sie will sich hergeben, fühle ich sogleich, und sie ist bereit, dafür zu büßen. Ich bin gerührt, ohne erklären zu können, warum meine Augen feucht werden, als ich sie so da sitzen sehe, als wäre es ein Bild, auf das ich schon lange gewartet habe. Wir sehen keine Dinge, meinte Philipp Otto Runge, dem die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet ist, sondern Bilder, die uns etwas bedeuten. Ich weiß nicht, was sie mir bedeutet; in diesem Moment ist es viel. Aber nicht Runges „Weltenmaler Sonne", sondern das künstliche Licht der Birne unter dem gefältelten Lampenschirm im Café Liebermann zeichnet dieses Bild, das ich nicht vergessen werde. Ihr Haar leuchtet warm vor dem sienischen Marmor mit einem zarten grünen Schimmer am Scheitel. Der Braunton ihres Jackets und das Orange des Pullovers, den sie darunter trägt, lassen ihre Gestalt mit dem Hintergrund des Cafés, dessen Wände und Dekoration diese Farben aufgreifen, beinahe verschmelzen. Sie ist keine scharf konturierte Figur in diesem Bild, sondern eine Erscheinung im sanften Licht. Sie trägt Jeans und flache Sneaker.

Wir sitzen einander gegenüber, lächeln und fangen beide gleichzeitig an zu sprechen, wollen einander den Vortritt lassen, schließlich beginnt sie. Sie freut sich und ich freue mich und der Kaffee ist gut hier, ein Stück Torte vielleicht, lieber nicht, schön hier und wollen wir nicht gemeinsam die Runge-Ausstellung anschauen? Ja. Während wir reden, stelle ich fest, dass meine Farben zu den ihren passen, genau  wie mein Stil heute. Sie hat sich legerer gekleidet als beim letzten Mal in der Galerie, ich habe ein wenig mehr Wert als sonst auf mein Outfit gelegt. Ich trage Jeans wie sie und einen dunkelbraunen Strickpullover mit V-Ausschnitt.  Später sehe ich, wie wir uns nebeneinander spiegeln in den Glasscheiben vor den Gemälden. Wir sehen gut aus zusammen, als Paar. Wir sehen keine Dinge. Wir sehen Bilder. Wir sind ein schönes Bild, sie und ich, im Spiegel vor Runges „Großem Morgen“.

Philipp Otto Runge: Der große Morgen,
Kunsthalle Hamburg


Lars schreibt mir dazu: „Unsere Finger berührten sich, wie zufällig, ein paar Mal und am Ende des Rundgangs hielten wir uns an den Händen. So schlenderten wir durch Hamburg. Es fühlte sich wie Glück an. Wirklich. So kitschig. So schön. Ich blieb bei ihr ein paar Tage. Wir verließen ihre Wohnung kaum in der Zeit. Die Mail, die sie dir schickte, die angeblich von meinem Vater war, die schrieb fast wörtlich ich ihr, als ich wieder in Berlin war.“





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